Das Versagen der Kleinfamilie. Mariam Irene Tazi-Preve

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Das Versagen der Kleinfamilie - Mariam Irene Tazi-Preve

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erlaubt ist, ist die Kleinfamilie, die am Beginn patriarchaler Zeiten ersonnen wurde, um die sexuelle Freiheit der Frauen zu beschneiden und eine vaterlose Mutterschaft zu verhindern. Innerhalb der Ehe wurde die Fortpflanzung zur überwachten Pflicht. Die nichtverheiratete Mutter wurde zur Schande, die verheiratete ein Segen. Die Kindeswegnahme des „illegitimen“ Kindes war bis in die 1970er-Jahre eine übliche Praxis.29

      Die patriarchale Mutter muss dem Ideal der heterosexuellen Beziehung (vgl. Kap. 7) folgen, am besten in der Ehe, die angeblich für sie und ihre Kinder der sicherste Ort ist. Diese Lebensform wird als natürlich hingestellt, da Kinder von einem Mann und einer Frau gezeugt würden. Mit dem Bezug auf die „Natur“ werden Frauen und Männer in die Kleinfamilie gezwungen, indem die patriarchale Frau glauben gemacht wird, eine dauerhafte romantische Beziehung sei die Normalität. (Tazi-Preve 2012a). Die Wahrheit widerspricht dem aber deutlich: Zum einen ist die Familie der gefährlichste Ort für Frauen und Kinder überhaupt, die dort der Gefahr des physischen und psychischen [46] Missbrauchs und/oder des gewaltsamen Todes ausgesetzt sind (Kapella et al. 2011a). Zum andern ist die lebenslange Liebesbeziehung nicht die Regel, sondern sie ist ganz im Gegenteil die Ausnahme. Unglückliche Beziehungen, Scheidungen und Trennungen sind dagegen die Norm.

      Und trotzdem bleibt das europäische und nordamerikanische Mutter- und Kleinfamilienideal als Exportgut in nicht-westliche Gesellschaften ein Dauerbrenner. Seit der Kolonialzeit wird es verbreitet, gepredigt oder aber gewaltsam erzwungen. Dies geschieht und geschah in allen nichtpatriarchalen Gesellschaften – in Vergangenheit und Gegenwart – durch Missionare, also religiös begründet, oder durch die Einführung des Privateigentums und der Erwerbsarbeit auf der ökonomischen Ebene und politisch, indem durch das Familienrecht der Vatername eingeführt wird. Zum Beispiel werden derzeit die matrilineare Tradition und die Weitergabe des mütterlichen Namens der Khasi in Assam, Indien, durch das Familienrecht bedroht. Und die Mosuo in Südchina sind mit dem enormen Einfluss der Han-Touristen konfrontiert, die die „sexuell freien“ Mosuo Frauen prostituieren wollen.

      Ein weiteres Charakteristikum der Mutter im Patriarchat ist ihre Idealisierung. Gerade im deutschsprachigen Raum wurde ein Mutterideal kreiert, das wenig mit der Realität zu tun hat. Es ist vielmehr ein Produkt männlicher Phantasie, entworfen von Kirchenmännern, Juristen, Psychologen und politischen Theoretikern, das mit Jacques Rousseau im 18. Jahrhundert seinen Anfang nahm. Der Nationalsozialismus führte im 20. Jahrhundert eine spezielle Form des Mutterideals ein (Weyrather 1993), das bis heute Spuren hinterlassen hat. Seine Merkmale sind: eine normierte Kinderzahl und strikte Erziehungsregeln, die der Mutter vorschreiben, zumindest in den ersten drei Jahren ganz dem Kind zur Verfügung zu stehen. Auch der Umfang der Fürsorge und die Art der Bestrafung des Kindes, um es nur nicht zu „verwöhnen“, waren genau festgelegt. Die faschistische Erziehung strebte danach, Söhne für die Schlachtfelder zu produzieren und Töchter für den Kriegsdienst oder als zukünftige Mütter.30 Heute sind wir von der Zeugung eines Kindes bis zu seinem Schulabschluss mit einem strikt regulierten Familienleben konfrontiert. Speziell die Kleinkindzeit steht unter Dauerbeobachtung. Dem intensiv debattierten Thema „Wieviel Mutter braucht ein Kind?“ hat Lieselotte Ahnert [47] (2010) ein Buch gewidmet. Sie argumentiert, dass die Vorschulzeit zwar wichtig sei, aber nichts dafür spreche, dass die Betreuung ausschließlich durch die Mutter zu erfolgen habe, sondern dass dies die (Familien-)Gruppe durchaus gemeinsam bewerkstelligen könne.

      Mütter stehen unter dem Druck eines rigorosen Wirtschaftssystems mit seinen deregulierten Arbeitsgesetzen, „flexiblen“ Arbeitszeiten und dramatischen Lohnsenkungen. Sie ist gekennzeichnet von einer wachsenden Zahl unterbezahlter sinnentleerter Tätigkeiten, in denen überwiegend Frauen beschäftigt sind.31 Angesichts der ökonomischen Zwänge wurde der private Raum zur Familienmaschine und deren Mitglieder ihres Freiraums beraubt. Schulzeiten, Arbeitszeiten, das Zeitregime öffentlicher bürokratischer Institutionen, die Aktivitäten, die Kinder angeblich benötigen (soziale Aktivitäten, Sport etc.) und nicht zuletzt die Betreuung bei Hausaufgaben, die das Schulsystem von Müttern in Deutschland und Österreich erwartet, halten das Leben der Mutter in Wartestellung, zumindest je 15 Jahre für die demographisch erwarteten zwei Kinder. Im Prozess der Durchpatriarchalisierung von Gesellschaft wurde der private Bereich in eine feindliche pathogene Maschine verwandelt.

      Ganz typisch für die doppelbelastete Mutter ist ihre Dauererschöpfung, nicht nur wenn sie Alleinerzieherin ist, sondern auch innerhalb einer Beziehung. Statistiken belegen, dass berufstätige Mütter einem Ungleichgewicht gegenüber dem Partner bei der Kinderbetreuung (Tazi-Preve 2003b), einem dauerhaften Lohnungleichgewicht und verminderten Aufstiegschancen ausgesetzt sind. Um den Alltag zu bewältigen, funktioniert die Mutter „wie ein Rädchen“ (Stillhart 2015) in der erbarmungslosen Familienmaschine. Heute ist die „Frauenarbeit“ eine finanzielle Notwendigkeit, und der linke Slogan von der Befreiung durch Arbeit war weder in der Vergangenheit noch ist er heute wahr. Die Arbeit der Frauen gilt zumeist als Zuverdienst, da Männer immer noch über weit höhere Verdienste verfügen. Weder die „weibliche Erfüllung“ durch Berufstätigkeit entspricht der Wirklichkeit noch jene durch Mutterschaft.

      Mütter haben also Optionen, von denen keine wünschenswert ist: Die erste ist die der Hausfrau, die ihr gesamtes Leben vom Ehemann abhängig bleibt. Angesichts einer europäischen und nordamerikanischen Durchschnitts-Scheidungsrate von 50 % ist dies keine realistische Lösung. Die zweite Option [48] bedeutet Teilzeitarbeit, ohne damit je den Lebensunterhalt für sich und die Kinder bestreiten zu können. Frauen bleiben bei diesem Modell weiterhin von Ehemann oder staatlichen Leistungen abhängig. Die dritte Wahlmöglichkeit ist die, Vollzeiterwerbstätigkeit mit Mutterschaft und Haushalt zu vereinbaren, was zumeist eine völlige Überforderung darstellt. Denn nur Frauen der Oberschicht verfügen über die notwendige bezahlte Hilfe und nur wenige andere haben ein großes Familien- und/oder Sozialnetz, das ihre Verpflichtungen teilen würde. Viele versuchen dennoch die Quadratur des Kreises. Innerhalb der patriarchalen Logik erweisen sich aber alle Optionen als Falle, denn es gibt in ihnen keine menschenwürdige Lösung.

      Da sie mehr oder weniger die alleinige Verantwortung – außerhalb einer Ehe oder Beziehung, aber auch häufig innerhalb einer bestehenden – überlassen wird, ist es Müttern oft unmöglich, der neurotischen Beziehung zu ihren Kindern zu entfliehen. Wie in einer kürzlich erschienenen israelischen Studie (Donath 2015) gezeigt wird, lieben Mütter ihre Kinder ohne jeden Zweifel, aber sie hassen die Umstände der Mutterschaft. Ständig bedürftige Kinder treiben Mütter in verzweifelte und aggressive Reaktionen und überlastete, ungeduldige Mütter erzeugen frustrierte und aggressive Kinder. Das ist eine folgenschwere Situation. Die Kleinfamilie stellt damit nicht nur die Basis der Ökonomie dar, in der die Frau als Gratisarbeitende vorausgesetzt wird, sie ist auch der Ursprung der mentalen Zurichtung des Menschen. Innerhalb der Kleinfamilie können emotionale Grundbedürfnisse gar nicht gestillt werden, wodurch in ihr die abhängige Persönlichkeit unserer Zeiten (Renggli 1992) produziert wird, der perfekte Konsument in einer Ökonomie, die Güter im Überfluss herstellt.

      Das sind die Folgen, wenn das „Kinder aufziehen“ zur individualisierten Aufgabe gerät, sich die Gesellschaft von jeglicher gemeinschaftlichen Verantwortung für die Betreuung, Verantwortung und das tägliche Management lossagt und dies an eine einzelne Person abgibt. Das ist meines Erachtens grob fahrlässig. Der Grund dieser sogenannten Individualisierung ist, dass Mütter nicht nur von ihrer Mutterlinie und anderen Frauen abgetrennt sind, sondern sie ist auch Resultat einer mentalen Manipulation, die sie glauben macht, diese Situation sei normal. Statt die Sorge mit anderen zu teilen, üben Mütter ihre täglichen Aufgaben in der „Einzelhaft“ (Rich 1979) der Kleinfamilie aus und unter genauer Anleitung, wie diese zu bewerkstelligen seien (Olorenshaw 2016). Mütterliche Solidarität hat sich in einen „Mutterkrieg“ verkehrt, in den Kampf um die „bessere Mutterschaft“, indem Mütter gegeneinander [49] ausgespielt werden. Wie Blaffer Hrdy (2000) zeigt, können Mutter und Kind aber nicht ohne die Fürsorge einer Gemeinschaft gedeihen. Sie vom Rest der Gesellschaft zu isolieren, ist für beide gesundheitsschädlich. Nur so kann das Phänomen des Kindsmordes in der postpartalen Depression erklärt werden (Williams 2014).

      Besonders in den USA ist

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