Liebe in Zeiten des Kapitalismus. Robert Misik

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Liebe in Zeiten des Kapitalismus - Robert Misik

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Panik, diese Angstkultur, die sich in die Gesellschaft hineinfrisst, ist eben nicht Resultat erfahrener Risiken, sondern wird vom alarmistisch-medialen Komplex produziert. Aufmerksamkeit ist das knappe Gut, um das Pharmaindustrie, Medien, Politik, Umweltschützer und Versicherungswirtschaft auf gleiche Weise konkurrieren. In all diesen Konkurrenzfeldern werden diejenigen die Nase vor ihren Mitbewerbern haben, die deutlich zu machen verstehen, dass ihre Sache am Dringlichsten ist. Und dies schafft man am besten mit Panikmache.

       #VERDRUSS

      Politik wird zunehmend mit Angst gemacht und nicht mehr mit Hoffnungen. Und was machen wir? Der Kopfschüttelmodus, Ärger und Zorn, das Missbehagen und auch die leise Verachtung – das ist der Modus, in dem wir der Politik gegenübertreten. Dann reden wir vom Verdruss über die Politik, und tun so, als wäre das der Verdruss der anderen; als wäre der Verdruss etwas, was sich nur auf bestimmte Teile der Bevölkerung erstreckt. Auf die Jungen etwa, die lieber Party machen, als sich mit Politik zu beschäftigen; oder auf die deklassierten „Modernisierungsverlierer“, mit ihrem Zorn auf die Politiker, aus dem heraus sie dann andere Politiker wählen, um die Politiker zu ärgern. Ist irgendjemand eigentlich nicht verdrossen? Nun, vielleicht ist gerade das das Problem. Gewiss kann man meinen, der Verdruss ist berechtigt – und wie kann denn etwas, was berechtigt ist, ein Problem sein? Aber der Verdruss, so berechtigt er sein mag, so sehr er eine Reaktion auf eine Problemlage ist (nämlich den Zustand der Politik), ist selbst auch schon wieder zum Problem geworden. Und wir alle sind Teil dieses Problems.

      WIE HAT DAS eigentlich angefangen, diese übel gelaunte Abkehr von der parteiförmigen Politik, der „Politik-Politik“, mit ihren Spielen, Ritualen, Machtkämpfen, Parteilichkeiten? Der Zufall will es, dass vor wenigen Jahren ein Buch mit nachgelassenen Schriften des französischen Soziologen Pierre Bourdieu erschienen ist, das den simplen Titel „Politik“ trägt. Gleich zu Beginn heißt es in einem Text aus dem Jahr 1988: „Wir werden von Politik überflutet. Wir schwimmen im unentwegten und wechselhaften Strom des täglichen Geschwätzes über die vergleichbaren Chancen und Verdienste von austauschbaren Kandidaten. … Die Äußerungen zur Politik sind, wie das leere Gerede über gutes oder schlechtes Wetter, im Grunde flüchtig.“

      Damals, Ende der Siebziger-, Anfang der Achtzigerjahre, begann etwas, was Bourdieu schon 1988 wie selbstverständlich zu diesem Urteil kommen ließ. Aber was hat sich da, zunächst allmählich und beinahe unmerklich verändert. Das politische Feld begann sich selbst abzukapseln. Parteiführungen, Mandatare wurden zu Spezialisten. Es etablierte sich ein politisches Feld mit seinen eigenen Spielregeln, mit seinen „Experten“ und „Professionellen“. Die Mitglieder in den Parteien verloren an Bedeutung, Bürger sahen sich zu passiven Wählern reduziert, die gelegentlich ihre Stimme abgeben, aber dazwischen sind die Spezialisten und Experten für das Politische am Zug. Je mehr sich das politische Feld professionalisiert und abkapselt, umso mehr haben die Professionellen die Tendenz, auf die Laien herabzusehen. Bloß ist die Trennung zwischen „Eingeweihten“ und „Laien“ keine vollständige. Anders als andere Spezialisten sind die Spezialisten der Politik ständig auf ihre Klientel bezogen, sie brauchen die Laien, und sei es nur, um gelegentlich von ihnen gewählt zu werden. Viel mehr aber sind die Professionellen aufeinander bezogen, auf die Mitspieler im politischen Spiel. Es entwickelt sich ein bestimmter Habitus, ein Rollenmodell, wie ein Politiker auszusehen habe, und ein Jargon, der die Sprache in diesem Feld wird. Bei aller Rivalität bilden die Berufspolitiker der unterschiedlichen Parteien doch die Gemeinschaft der Berufspolitiker, was, wie Bourdieu schön formuliert, bei den Laien, den Bürgern also, den Argwohn nährt, dass eine Art grundsätzliche Komplizenschaft die Leute, die bei dem Spiel mitspielen, das man Politik nennt, miteinander verbindet, vor jeder Meinungsverschiedenheit.

      UND ALL DAS geschieht in einem Moment, in dem noch ein paar andere Dinge geschehen: Die Zeit der großen Wachstumsraten ist vorbei, und Wohlstandszuwachs ist bekanntlich eine wichtige Quelle von Legitimität von Politikern; grundsätzliche programmatische Antagonismen schleifen sich ab. Es entsteht auch eine Entertainmentkultur in der politischen Medienberichterstattung. Parteiapparate entwickeln ein Eigenleben – eine innere Kultur. In ihnen kommt nur hoch, wer hineinpasst. Ein Politikertypus setzt sich durch, der natürlich jene eher anzieht, die zu ihm passen – also jene, die ihm „ähnlich“ sind –, und schreckt „unähnliche“ sowieso schon ab, er muss sie gar nicht mehr aggressiv abwehren. Menschen umgeben sich nun einmal lieber mit Menschen, die ihnen ähnlich sind. Das ist ganz normales menschliches Verhalten. Aber es hat eben auch politische Effekte. Demgegenüber wächst seit den Achtzigerjahren ein Verdruss in seinen unterschiedlichen Betriebsformen. Erst wird Indifferenz attestiert – sinkende Wahlbeteiligungen. Dann der Aufstieg diverser Populismen, hinterher ein sich verallgemeinerndes „Wutbürgertum“. Die Realität zeigt, dass es durchaus verschiedene Aggregatzustände dieses Frustes gibt. Da gibt es jene, die der Parteienordnung zunehmend reserviert gegenüberstehen, die sich selbst etwa so charakterisieren würden: Die Politik ist geprägt von überholter Parteilichkeit, nichts als Gezänk, kleinliche Streitereien um Vorteile im politischen Spiel. Die Kritik an den politischen Parteien lautet aus dieser Perspektive, dass sie selbst einfachste praktische Lösungen für Probleme nicht mehr zu finden imstande sind, weil es den Parteien nur um taktische Vorteile geht und sie sich gegenseitig blockieren. Jene, die solchen Deutungen nahestehen, definieren sich selbst gerne als „Jenseits des Parteiensystems“. Es ist vielleicht so etwas wie der Verdruss der bürgerlichen Mitte.

      Dann gibt es den – zweiter Aggregatzustand – unpolitischen Yuppieprotest: Bürger, die den Staat als bürokratisches Monstrum betrachten, der von „den Parteien“ gekapert wurde, um es sich an seinen Futtertrögen gut gehen zu lassen. Hinzu kommt – dritter Aggregatzustand – das Milieu der real (oder gefühlt) einheimischen Unterprivilegierten: Sie sind instinktiv der Auffassung, dass sich für sie im Grunde niemand interessiert, dass sie links liegen gelassen werden; dass keiner weiß, wie es ihnen wirklich geht. Über Politiker würden sie sagen: Die leben ja ganz anders. Die leben ja ganz woanders. Die haben ja gar keine Ahnung, wie es uns geht. Das hat auch wieder mit der milieumäßigen Verengung des politischen Personals in Folge der Professionalisierung zu tun, mit einem politischen Personal, das aus Menschen besteht, die von ihren gesamten Lebensumständen und ihrem personalen Habitus, ihrer Art, sich zu kleiden, zu sprechen und sich zu bewegen, mit diesen Unterprivilegierten nichts mehr zu tun haben. Natürlich sind diese Aggregatszustände nicht fein und trennscharf unterschieden. Eher lässt sich sagen, dass bestimmte populistische Vorstellungsreihen in bestimmten Milieus auf fruchtbaren Boden fallen, andere in anderen – und dass sie sich gegenseitig aufschaukeln. Das Ergebnis ist ein allgemeines, nebulöses, waberndes populistisches Klima.

      Die Pointe ist nun: Mag dieser Verdruss als Reaktion auf Entwicklungen im politischen Feld auch berechtigt sein, verstärkt er diese Entwicklungen noch. Parteien, denen alle den Rücken zukehren, werden in ihrer Selbstbezogenheit noch bestärkt. Politik, der die Legitimation entzogen wird, wird eher feiger als mutiger. Insofern produziert der Verdruss objektiv und ganz unabhängig davon, ob einem das gefällt oder nicht, die Probleme längst mit, die er ressentimentbeladen beklagt. Sodass es längst mehr als genug Gründe gibt, verdrossen am Verdruss zu sein. Aber verdrossen sind natürlich immer die Anderen. Ich bin nicht verdrossen. Sie sind es ja auch nicht. Wir sind ganz anders. Aber stimmt das überhaupt? Sind wir nicht auch voll gestopft bis Oberkante Unterlippe mit Ressentiments? Sind wir nicht schnell zur Stelle mit unserer Häme gegenüber beinahe allen Politikern? Ist nicht auch diese Häme, dieses kopfschüttelnde „die können es einfach nicht“, Ausdruck eines Verdrusses? Nehmen wir, nur als Beispiel, die mit viel theoretischem Geklingel vorgetragene linke Aversion gegen „Repräsentation“, dieses Hochhalten basisdemokratischer Verhinderung, dass irgendjemand nur seinen Kopf zu weit rausstreckt. Reiht sich das nicht ein in dieses Panoptikum?

      Aus dieser Perspektive wird das Feld der Politik-Politik links liegengelassen, und die Hoffnung wird auf die sich stets und täglich neu und spontan organisierende Vielheit gelegt – von Occupy Wall Street bis zur Audimax-Bewegung. Aber verweigert sich dieses „Against Representation“ nicht der Frage, ob nicht gerade das

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