Liebe in Zeiten des Kapitalismus. Robert Misik

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Liebe in Zeiten des Kapitalismus - Robert Misik

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die ihre Anliegen an eine breite Öffentlichkeit kommunizieren können und die den langen Atem haben, den man braucht, wenn man dicke Bretter bohren will? „Le Monde Diplomatique“ hat diese Frage (oder ist es bereits eine Antwort?) unlängst so formuliert: „Warum ist sie (die Occupy Wall Street-Bewegung) gescheitert und hat alle zunächst so hoffnungsfrohen Erwartungen krass enttäuscht? Warum versinken selbst die populärsten Aktionen der Linken früher oder später in einem Gebräu aus akademischer Rhetorik und sinnloser antihierarchischer, antietatistischer Kraftmeierei?“

      DIE UNFÄHIGKEIT von Parteien und Regierungen sowie die Unfähigkeit von Bewegungen, NGOs und Aktivisten, gemeinsam mit Realismus, Elan und langem Atem Ziele zu verfolgen, sind korrespondierende Aspekte eines einzigen Problemzusammenhanges. Wer ernsthaft glaubt, das bunte Gewusel von Bewegungen, die heute entstehen und morgen verpuffen, wäre auch nur annähernd die Kraft, die eine völlig andere Konfiguration herbeiführt, muss sich fragen lassen: Wie, bitteschön, heißt der Planet, auf dem Du lebst? Oder noch einmal anders gesagt: Ist, während sich auf der eher rechten Seite ein antipolitischer Populismus breitmacht, auf der linken nicht ein Zynismus endemisch geworden, der von seiner Verwandtschaft mit Ersterem bloß nichts wissen will? Und wie begründet das allgemeine Misstrauen auch sein mag: Stellt es nicht längst auch die Funktionstüchtigkeit unserer Demokratien in Frage?

      „In Mistrust we Trust“ – „Ins Misstrauen vertrauen wir“ – hat der bulgarische Theoretiker Ivan Krastev einen klugen kleinen Essay genannt. Er hat darin die Frage aufgeworfen: Kann die Demokratie ohne Vertrauen überleben? Nun ist Misstrauen eine gute Sache. Misstrauen in Politiker ist in Demokratien nicht nur berechtigt, die Demokratie ist ja gerade die beste Regierungsform, dieses Misstrauen zu managen. Denn sie ist transparent, Missstände werden aufgedeckt, und in Form von Wahlen (die meist „Abwahlen“ sind) werden Konsequenzen gezogen. Ihre Stärke ist eben gerade ihre Fähigkeit zur Selbstkorrektur. Aber wenn das Misstrauen endemisch und verallgemeinert wird, wenn allen Parteien misstraut wird, niemand mehr sich in Parteien engagieren will, Stimmverhalten nur mehr darauf abzielt, es denen zu zeigen, zerstört das dann nicht eben gerade diese Kapazität von Demokratien zur Selbstkorrektur? Krastev äußert den Verdacht, dass das so sein könnte.

      Selbst die heute so populäre – gewiss sinnvolle – Forderung nach Partizipation und direkter Demokratie steht, recht besehen, in diesem Zusammenhang: Sie ist nicht nur getragen vom Wunsch der Bürger, heute mehr mitzureden, sondern von der Überzeugung, dass bessere Entscheidungen getroffen würden, würden diese den unfähigen Politikern abgenommen, oder dass bessere Politiker hochkämen, wären die Bürger direkter in die Personalauswahl eingebunden. Dahinter steht die Idee, wie das der Architekturtheoretiker Markus Miessen in seinem Buch „Albtraum Partizipation“ beschreibt, „jeder Depp soll immer überall mitmachen“, und die Entscheidungen, die auf diese Weise herbeigeführt werden, wären noch bessere Entscheidungen, als wenn man sie den Spezialisten und den Experten überließe.

      Sicher, Parteien sind träge Apparate, aus nicht wenigen ist alles Leben verschwunden. Viele Politiker sind unfähig, feige und phantasielos. Aber es gibt objektive Faktoren, die sich nicht einfach auf das Unvermögen der Akteure reduzieren lassen. Die Heterogenität unserer Gesellschaften macht es schwierig, soziale Milieus zu „repräsentieren“. Da kaum eine Partei mehr als 30 Prozent der Stimmen erlangt und angesichts des Mehrebenen-Systems in Europa mit EU, Nationalstaaten und Regionen, steht jedem, der etwas bewegen will, ein anderer gegenüber, der entschlossen ist, es zu blockieren. Weil alles allenfalls nur sehr langsam geht, sind Bürger und Bürgerinnen (und sogar die Parteibasis der einzelnen Politiker), schon vorauseilend sicher, enttäuscht zu werden. An einem Strang zu ziehen mit Leuten, mit denen man in manchem einig, in anderen Dingen uneinig ist – auf diese Idee käme das nörgelnde Wutbürgerbewusstsein nicht einmal. Bloß braucht man sich dann nicht zu wundern, wenn ein paar Minister, auf sich alleine gestellt, nichts zuwege bringen. Wobei, das nörgelnde Wutbürgerbewusstsein wundert sich ohnehin nicht darüber. Es hat nichts anderes erwartet und kann sich glücklich bestätigt fühlen – oder zumindest in seinem Unglück bestärkt.

      In seiner Gewissheit: Die können es nicht. Aber wie sollen sie es eigentlich können – angesichts von beschränkter Handlungsfähigkeit, Blockaden, medialer Verdummung und Bürgern, die für nicht mehr zu haben sind, als von der Seitenoutlinie ins Feld zu keppeln? Der Verdruss war irgendwann eine Reaktion auf eine Problematik, aber er ist längst auch zu einer Ursache dieser Problematik geworden. Verdruss mag gute Gründe haben, aber er macht die Luft nicht besser.

       #GLEICHHEIT #UNGLEICHHEIT

      Die Idee der Gleichheit ist ganz gehörig aus der Mode gekommen. Dies ist kein bloß sekundäres polit- und ideengeschichtliches Phänomen, sondern von unerhörter Brisanz für „die Linke“ jedweder Couleur, für die – nach dem Wort des italienischen marxistischen Philosophen Norberto Bobbio – „das Ideal der Gleichheit immer der Polarstern war, den sie angeschaut hat und weiterhin anschaut“. Für ihn blieb, auch in Zeiten der modischen Relativierung des Gegensatzes „Rechts und Links“, das egalitäre Prinzip das eigentliche Fundament für jede Linke – wenn auch nicht als Utopie einer Gesellschaft „der Gleichen“, so doch in Form des Strebens, „die Ungleichheiten etwas gleicher werden zu lassen“. Doch schon Bobbio musste sich in einer Kontroverse von seinem britischen Freund und Mitstreiter Perry Anderson fragen lassen, ob es denn wirklich „der Fall ist, dass die Linke, so wie sie aktuell in Europa heute existiert, alle Funktionalität der sozialen Ungleichheit bestreitet?“

      Tatsächlich repräsentieren die europäischen Sozialdemokratien die Gerechtigkeitsideale breiter Gesellschaftsschichten, die immer auch und vor allem Gleichheitsideale sind, allenfalls in höchst subtiler Weise. In Wahrheit hat die Sozialdemokratie das Gleichheitsprinzip lange Zeit still sterben lassen. Im Geheimen messen viele führende Sozialdemokraten sozialen Ungleichheiten längst eine positive Funktion in dynamischen Gesellschaften zu. „In der Vergangenheit wurde die Förderung der sozialen Gerechtigkeit manchmal mit der Forderung nach Gleichheit im Ergebnis verwechselt. Letztlich wurde damit die Bedeutung von eigener Anstrengung und Verantwortung ignoriert und nicht belohnt, und die soziale Demokratie mit Konformität und Mittelmäßigkeit verbunden statt mit Kreativität“ – diese laute Selbstdenunziation ist die Schlüsselformel des einschlägigen „Schröder-Blair-Papiers“. Die österreichische Sozialdemokratie brachte es gar zuwege, in ihrem Parteiprogramm vom Ende der Neunzigerjahre den „Grundwert“ Gleichheit noch als Kapitelüberschrift beizubehalten, in dem entsprechenden Abschnitt dann aber nur mehr von „Chancengleichheit“ zu reden. Der Abschied vom Gleichheitsideal materialisiert sich auf der Ebene der Programmatik somit zuerst in Form einer Revision, der Verschiebung von Begriffen. Zwar dürfe, formulierte schon der britische Soziologe Anthony Giddens, Stichwortgeber aller sozialdemokratischen „Modernisierer“, in seinem Buch „Der Dritte Weg“, die Idee der „Umverteilung nicht von der sozialdemokratischen Tagesordnung genommen“, doch müsse sie künftig als „Umverteilung der Chancen“ interpretiert werden: „Die Förderung menschlicher Kreativität und Möglichkeiten sollte, soweit es geht, eine nachträgliche Umverteilung ersetzen.“

      Auf dem Rücken des Begriffs der „Chancengerechtigkeit“ schlich sich das marktliberale Leistungscredo tief in die sozialdemokratischen Spitzenetagen hinein. Er ist von der marktliberalen Selbstillusion freier und gleicher Märkte, auf denen alle Akteure die gleichen Chancen haben sollen, zu Gewinnern (und damit auch zu Verlierern) werden zu können, praktisch ununterscheidbar geworden. Aus dieser Perspektive ist kaum mehr zu argumentieren, wie Ungleichheiten noch korrigiert werden könnten, wenn sie einmal hergestellt sind (und warum dies geschehen sollte), sieht man von zwei Einschränkungen ab: Jeder soll auch in modernen Marktökonomien überleben können und Ungleichheiten sollen sich über die Genealogie der Generationen, wenn möglich, nicht zu neuen „Chancenungerechtigkeiten“ verfestigen. Eine Einschränkung, die sehr bald auch Giddens machen musste. Ohne Umverteilung würde „aus der Ungleichheit im Ergebnis der einen Generation die Ungleichheit der Chancen der nächsten“. Dies ist freilich alles, was vom alten Gleichheitsideal geblieben ist.

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