Liebe in Zeiten des Kapitalismus. Robert Misik
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Totale Gleichheit der Einkommen ist nicht möglich, und die meisten Menschen halten sie wahrscheinlich auch nicht für erstrebenswert. Aber eine mindestens ebenso große Mehrheit hält dramatische Einkommensunterschiede für gleichsam verwerflich; kein Mensch kann darüber hinaus die totale Durchökonomisierung und -monetarisierung der Gesellschaft begrüßen. Zudem sind große Ungleichheiten ökonomisch kontraproduktiv. Alle Erfahrung zeigt, „dass ein höherer Grad an Ungleichheit“ für wirtschaftliches Wachstum „ungünstiger ist als ein geringerer Grad an Ungleichheit“ (Philip Green). Weit davon entfernt, dass eine Gesellschaft, die große Ungleichheiten zulässt, leistungsstärker wäre, „ist wachsende Ungleichheit selbst eine Ursache wirtschaftlicher Ineffizienz“ (Will Hutton). Sicherlich mag es eine Linie des Grenznutzens geben, ab der wohlfahrtsstaatliche Maßnahmen die Prosperität eines Gemeinwesens einschränken und damit ihrem eigenen Ziel – allgemeiner Wohlfahrt – abträglich werden. Doch viel mehr als solchen eher theoretischen Fällen sollten wir uns der ganz und gar praktischen Erfahrung zuwenden, dass es gerade die generösesten Wohlfahrtsstaaten in Europa sind, die im internationalen Wettbewerb bestehen; insbesondere die These, ein starker Sozialstaat behindere Innovation, erweist sich, wirft man einen Blick auf alle empirische Evidenzen, als geradezu absurd.
Wer große Ungleichheiten in Kauf nimmt, akzeptiert nämlich, dass viele Menschen in wirtschaftlich und sozial deklassierten Verhältnissen leben; diese Menschen werden, wenn das gesellschaftliche Versprechen auf mehr Gerechtigkeit nichts mehr trägt, träge, perspektivlos, wenn nicht kriminell … Sie erzeugen soziale Kosten. Damit es auch der letzte Marktprophet versteht, sei hier in der Sprache der Wirtschafttheorie formuliert: Wenn es für diese Menschen keine Wahrscheinlichkeit für sozialen Aufstieg gibt – wenn also von rationalen Erwartungen auf sozialen und wirtschaftlichen Erfolg nicht mehr gesprochen werden kann –, dann werden diese Erwartungen notwendigerweise reduziert (möglicherweise auf einen Wert nahe null) und diese Menschen werden weit weniger zum allgemeinen sozialen und ökonomischen Fortschritt einer Gesellschaft beitragen als sie es ansonsten täten. Aber selbst wenn sie ihr bescheidenes Leben mit den ihnen zur Verfügung stehenden Chancen so gut als möglich meistern, so wird eine solche Gesellschaft nicht jene – auch soziale – Mobilität inspirieren, die sie, gemeinsam mit der Flexibilität, zu ihrem beliebtesten Slogan gemacht hat: Sie wird chancenlose Unterklassen verfestigen und am anderen Ende der sozialen Leiter zu zunehmender Abschottung der Eliten führen.
WIR SEHEN ALSO: Nicht nur sind in unseren Gesellschaften sedimentierte Gleichheitsideale lebendig und am Werke, es gibt auch sehr viele gute Gründe, die Gleichheit gegen ihre Feinde zu verteidigen. Modern ist: Eine neue Politik der Gleichheit, die alte Ungerechtigkeiten und neue Ungleichheiten bekämpft. Eine Politik, die jene Minderheit der neuen Mitte und der Oberklassen, die sich aus der gesellschaftlichen Solidarität verabschieden, nicht noch mit modischen Stichworten versorgt, sondern die die Ideologie der „Ungleichmacherei“ bekämpft – ein zunächst ideologischer Kampf. Modern ist ein Bündnis aus Unterklassen und Deklassierten einerseits und den Gleichheitsidealen und dem Unbehagen der Mittellagen andererseits. Modern ist, eine Mehrheit für eine Politik der Umverteilung zu gewinnen. Das wären, in blassen, schnell skizzierten Strichen, Aufgaben moderner linker Politik: Sie muss nicht nur regulierend in das Marktgeschehen eingreifen, um dramatisch wachsende Ungleichheiten, aber auch systemische Störungen, die krisenhafte Unsicherheiten zur Folge haben, zu mildern – es scheint auch an der Zeit, ins Bewusstsein zu rufen, dass die Bereitstellung öffentlicher Güter, die für jedermann und jederfrau auf gleiche Weise zugänglich sind, ein Wert an sich ist.
Die Frage beispielsweise der Organisation des Gesundheitssystems ist zwar auch eine Frage der Effizienz und der Finanzmittel des Staates, aber sie ist dies eben nicht nur: Eine Differenzierung in eine Grundversorgung und einen „Überbau“, der auf privater Vorsorge gründet, hat nicht nur zur Folge, dass bestimmte Leistungen für Unterprivilegierte unter Umständen nicht mehr zu haben sind (was alleine schon schlimm genug wäre), sondern sie produziert auch einen Raum mehr, in dem sich die Bürger nicht mehr als Gleiche begegnen. Sphären zu erhalten und auszuweiten, die dem Marktgeschehen und der Frage, ob man sie bezahlen kann oder nicht, entzogen sind, ist und bleibt ein Projekt, das nicht nur ein soziales, sondern auch ein demokratisches ist. Wenn die Reichen und die Armen die gleichen Schulen besuchen, die gleichen Spitäler aufsuchen, den gleichen Zugang zur Kunst haben, dann hat dies mindestens einen ebenso großen Einfluss auf die „Gleichheits- und Gerechtigkeitskultur“ einer Gesellschaft wie die Frage der Einkommensverteilung. Stadtplanung kann das Ziel fördern, dass Gruppen unterschiedlicher sozialer Stellung in der gleichen Nachbarschaft wohnen oder sie kann diesem Ziel abträglich sein; die Qualität des öffentlichen Verkehrssystems hat wesentlichen Einfluss darauf, ob es von den Wohlhabenden und den Unterprivilegierten auf gleiche Weise benützt wird. Es sind dies, kurzum, Fragen, die über mehr entscheiden als über die relative Gleichheit von Bürgern eines Gemeinwesens, sondern letztlich darüber, ob dieses seinen Namen verdient, ob sich in ihm Bürger wechselseitig als ihresgleichen begegnen.
Wir sehen also: Es gibt Gründe genug, dass das Ideal der Gleichheit der „Polarstern“ (Bobbio) für eine modernisierte Linke bleibt – auch, wenn es nicht immer nützlich und auch nicht immer möglich sein mag, alle Ungleichheiten auszugleichen.
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