Dolmetschen in der Psychotherapie. Mascha Dabić

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Dolmetschen in der Psychotherapie - Mascha Dabić Translationswissenschaft

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Ressourcen und Grenzen angesichts des Elends der Flüchtlinge als „Verrat“ erlebt wird; Erschöpfung und Unlust, daraus folgende familiäre Spannungen und Trennungen; Depressionen und körperliche Erkrankungen (psychosomatische Krankheiten und Infekte aufgrund verminderter Abwehrkräfte); Alpträume; Sucht (Nikotin, Kaffee und Alkohol, sowie Essstörungen); Schlafstörungen; Gereiztheit. Gerade aus Sicht der DolmetscherInnen verdient ein weiteres Symptom besondere Beachtung, nämlich die Erschütterung des Weltbilds durch die Zeugenschaft, also durch das Anhören der Erzählungen der KlientInnen, deren Menschenrechte verletzt wurden: Das Gefühl von Sicherheit, der Glaube an das Gute im Menschen, das Grundvertrauen in die Menschheit kann nachhaltig gestört werden; eine weitere Enttäuschung kann mit der Erkenntnis einhergehen, dass die NGOs trotz ihrer hehren Ziele nicht vor Grabenkämpfen und Konflikten gefeit sind (2009: 125ff.).

      3.3.2.2 Ressourcen der MitarbeiterInnen

      Um die traumatischen Inhalte, die in der Arbeit zur Sprache kommen, zu bewältigen, greifen MitarbeiterInnen von einschlägigen Einrichtungen zu unterschiedlichen Methoden, besser gesagt, sie entwickeln unterschiedliche Strategien, um Zugang zu ihren eigenen Ressourcen zu bekommen (Pross 2009: 136ff.). Es handelt sich dabei unter anderem um folgende:

       Familie, Kinder, näheres Umfeld: Diese Ressource wurde von den Befragten am häufigsten genannt.1

       Realistische Ziele: Es ist nicht hilfreich, mit der eigenen Arbeit allzu hohe und hehre Ziele zu verknüpfen, wie etwa „die Folter aus der Welt zu schaffen“.

       Dokumentieren, Forschen, Publizieren, Lehren: Das Reflektieren des eigenen Tuns verschafft Abstand zur Arbeit und hilft, sich von der Materie zu distanzieren.2 Die heilsame Kraft der wissenschaftlichen Auseinandersetzung mit einem Gegenstand wurde bereits im Zusammenhang mit Freuds Ausführungen thematisiert (s. 2.6.1).

       Ausgleich durch kulturelle Aktivitäten, wie Literatur, Kunst, Musik, Tanzen, Theater etc.

       Austausch unter Kollegen: Diesbezüglich besteht bei DolmetscherInnen noch Aufholbedarf gegenüber den PsychotherapeutInnen, die bereits in ihrer Ausbildung und auch später in der Praxis ausreichend Gelegenheit bekommen, sich mit KollegInnen laufend über ihre Gefühle und Gedanken auszutauschen.

       Politisches Engagement und Öffentlichkeitsarbeit, um das Gefühl der Ohnmacht zu überwinden.

       Humor: Witze (sogar auch zynische Bemerkungen3) im Team können ein Ventil für die MitarbeiterInnen darstellen und die Atmosphäre im Arbeitsalltag maßgeblich positiv beeinflussen.

       Sport, Natur: als Ausgleich

       Auszeiten, Sabbatjahr, Ausstieg

       Sinngebung, tradierte Lebensweisheiten: Das Gefühl, etwas Sinnvolles zu tun und durch die eigene Arbeit einen Beitrag zu leisten, kann dabei helfen, trotz aller Schwierigkeiten mehr Befriedigung aus der Arbeit zu beziehen.

      3.3.2.3 Narzissmus als Antrieb?

      Bei der Arbeit mit traumatisierten Menschen bewegt man sich „auf einem Minenfeld mit den Abgründen menschlichen Seins“ (Pross 2009: 23). Was treibt Menschen dazu, in solchen Arbeitsfeldern Fuß zu fassen?

      Pross hat in seiner Untersuchung herausgefunden, dass es unter anderem auch narzisstische Motive sind, die den MitarbeiterInnen in Traumazentren als Antrieb dienen: Selbstüberhöhung und Selbstglorifizierung in der Märtyrerrolle und die daraus abgeleitete Überzeugung, etwas Besonderes, Grandioses zu leisten, sind Mechanismen, die eine kompensatorische Funktion für den Seelenhaushalt erfüllen können, also beispielsweise ein mangelndes Selbstwertgefühl ausgleichen (vgl. Pross 2009: 118ff.).

      Diese Mechanismen sind bereits in der Beziehung zwischen Helfer und Patient angelegt: Ein solches Verhältnis ist von vornherein asymmetrisch, zusätzlich neigen Flüchtlinge dazu, die TherapeutInnen zu idealisieren und ihnen magische Fähigkeiten zur Problemlösung zuzuschreiben – aus dem nur allzu verständlichen Wunsch heraus, jemanden zu haben, der einem wirklich helfen kann und will. Problematisch wird es dann, wenn HelferInnen diese Zuschreibungen und Erwartungshaltungen bereitwillig annehmen und sich als RetterInnen oder auch MärtyrerInnen aufspielen.

      Interessant ist, dass Pross einen Vergleich zwischen HelferInnen in Westeuropa und in Schwellenländern zieht und zu dem Schluss kommt, dass der Narzissmus „in unserer behüteten, privilegierten Welt“ (2009: 122) in solchen beruflichen Kontexten signifikant stärker ausgeprägt ist als in den Schwellenländern, in denen Gewalt und Zerstörung zum Alltag gehören, sodass alle Menschen in ihrem unmittelbaren Umfeld davon betroffen sind und mit Überlebenden zu tun haben: „Hilfe für diese ist eine Selbstverständlichkeit, nicht so etwas Außergewöhnliches, Besonderes, und es wird deshalb nicht so viel Aufhebens darum gemacht“ (2009: 122).

      Für DolmetscherInnen gilt die Rolle der „HelferInnen“ nur bedingt: Die Aufgabe der DolmetscherInnen – die Gewährleistung der sprachlichen Verständigung – ist so klar umrissen, dass eigene aktive Hilfsangebote von vornherein eine unzulässige Grenzüberschreitung darstellen, wiewohl die Entscheidung an sich, in einem Traumatherapiezentrum als DolmetscherIn zu arbeiten, durch den Wunsch „zu helfen“ motiviert sein kann. DolmetscherInnen sind also durch die Natur ihrer beruflichen Tätigkeit in ihrer Handlungsfähigkeit eingeschränkt, zugleich tragen sie weniger Verantwortung für die reale Lebenssituation der KlientInnen, was durchaus als entlastend erlebt werden kann (dieser grundsätzliche Unterschied zwischen der Arbeit der TherapeutInnen und der DolmetscherInnen wurde bereits unter 3.3.2 thematisiert).

      Auch im Hinblick auf das Ansehen innerhalb der eigenen Berufsgruppe unterscheidet sich die Situation der DolmetscherInnen von der der TherapeutInnen: Geht man davon aus, dass es in einzelnen Berufsgruppen so etwas wie eine „Reputationspyramide“ geben könnte, in der bestimmte Tätigkeitsfelder als besonders angesehen gelten, so wären die TraumatherapeutInnen an der Spitze dieser Pyramide angesiedelt: Das Arbeiten mit traumatisierten Überlebenden erfordert hohe Qualifikationen und viel Erfahrung, und TraumatherapeutInnen können sich der Wertschätzung innerhalb ihrer Kollegenschaft sicher sein. Im Unterschied dazu ist das Arbeiten mit Flüchtlingen und AsylwerberInnen für DolmetscherInnen definitiv nicht an der Spitze einer solchen imaginierten Pyramide zu verorten, sondern eher am unteren Ende: Die Arbeit im Asylbereich ist für DolmetscherInnen deutlich schlechter entlohnt als die Arbeit im Konferenzbereich, und in puncto Terminologie und Dolmetschkompetenz sind die Anforderungen an die DolmetscherInnen bei internationalen Konferenzen wesentlich höher. Sehr verkürzt gesagt, ist davon auszugehen, dass ein ausgebildeter und praktizierender Konferenzdolmetscher rein arbeitstechnisch mit den Anforderungen der Gesprächssituation in der Psychotherapie spielend fertig werden könnte, während umgekehrt der durchschnittliche (Laien-)dolmetscher aus dem Asylbereich nicht ohne weiteres einen Platz in der Dolmetschkabine einnehmen kann.

      Somit lassen sich die Überlegungen und Erkenntnisse von Pross im Hinblick auf narzisstische Motive bei der Arbeit mit Traumaopfern nicht von der Berufsgruppe der TherapeutInnen kurzerhand auf die Berufsgruppe der DolmetscherInnen übertragen. Dennoch sind DolmetscherInnen als Teammitglieder ähnlichen Dynamiken wie TherapeutInnen ausgesetzt, und es lohnt sich auch für DolmetscherInnen, sich mit dem Stellenwert von Traumabehandlungszentren in der Gesellschaft auseinanderzusetzen. Darauf soll im nächsten Abschnitt näher eingegangen werden.

      3.4 Trauma und Gesellschaft: Abwehrreaktionen

      Die oben beschriebenen Größenphantasien der HelferInnen sind in einen breiteren gesellschaftlichen Kontext eingebettet: MitarbeiterInnen von Traumazentren machen etwas Außergewöhnliches, das andere, „normale“ Menschen nicht machen können und auch nicht machen wollen:

      Das

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