Dolmetschen in der Psychotherapie. Mascha Dabić

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Dolmetschen in der Psychotherapie - Mascha Dabić Translationswissenschaft

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Abwehr, die deren eigenem Schutz dient. Sie möchten mit diesen angstbesetzten Abgründen möglichst wenig zu tun haben und sind froh, dass es Leute gibt, die diese unangenehme Arbeit machen, die sonst keiner machen will. Die Gesellschaft delegiert gewissermaßen die Aufräumarbeit aus den Trümmern, die sie selbst mit Kriegen, Armut und Flüchtlingselend angerichtet hat, an die Traumahelfer, welche die seelischen und körperlichen Folgeschäden beheben sollen. Die Helfer werden im allgemeinen schlechter bezahlt und erfahren weniger Wertschätzung als andere Berufe. Dafür bekommen sie hin und wieder einen Menschenrechtspreis, oder ein Unternehmen überreicht ihnen bei einer Gala einen Scheck. (Pross 2009: 120)

      Die Aussage, wonach die Helfer „weniger Wertschätzung als andere Berufe“ erfahren, bezieht sich auf die gesamtgesellschaftliche Realität, genauer gesagt auf den Umstand, dass Wertschätzung vordergründig durch Bezahlung ausgedrückt wird, denn TraumatherapeutInnen genießen unabhängig von der Bezahlung sehr wohl viel Anerkennung im Umkreis ihrer KollegInnen aus anderen Sparten, wie bereits im vorigen Abschnitt festgestellt wurde. Zentral an diesem Zitat ist jedoch der Begriff Abwehr: Mit Inhalten, die Grauen erregend und bedrohlich sind, möchte man sich normalerweise nicht auseinandersetzen (müssen), und schon gar nicht mit jenen Menschen, die als Erzählende direkte Betroffene, Zeugen und Boten dieser Inhalte sind.

      Ottomeyer widmet sich ausführlich der Abwehr des Traumas und der Verfolgung der Opfer durch die Gesellschaft und bemängelt, dass manche Gutachter und Asylbeamte „Meister der Verleugnung und der Entwertung der Opfer“ seien (2011: 82), und betont, dass die Abwehr des Schreckens dazu führt, dass Opfer als unglaubwürdig dargestellt und in die Isolation getrieben würden: „Wenn aber die Opfer unseren Wohnstuben und unserem Nahraum zu nahe kommen, droht der Einbruch des mit verschiedenen Techniken auf Distanz gehaltenen Wahnsinns in die geschützte Welt“ (2011: 89).

      Zu diesen „verschiedenen Techniken“ gehöre unter anderem auch der Neid auf die Opfer, der sich in einer „tief sitzenden Konkurrenzangst im Ringen um soziale Zuwendung und Aufmerksamkeit“ äußert, und zwar im Kontext gesellschaftlicher Zustände, in denen die Ressourcen zunehmend knapp werden und (mehr oder weniger berechtigte) Abstiegsängste sich breit machen. Als medial transportierte Beispiele in der jüngsten Vergangenheit Österreichs, bei denen die anfängliche Empathie mit den Opfern rasch in Neid und Missgunst kippte, nennt Ottomeyer die beiden prominenten Jugendlichen Arigona Zogaj und Natascha Kampusch (vgl. Ottomeyer 2011: 91f.).

      Der Autor macht auch auf einen weiteren gesellschaftlich relevanten Aspekt aufmerksam: „Zu viel Mitgefühl mit den Opfern stört einfach den Konsum und die oberflächliche Lebensfreude, an welche wir uns im (mittlerweile bedrohten) hedonistischen Kapitalismus der letzten Jahrzehnte gewöhnt haben und gewöhnen sollten“ (S. 97). Im Zeitalter des postmodernen Kapitalismus sind es allenfalls einzelne Schrecksekunden, die zum Innehalten zwingen, ansonsten wähnt man sich aber in den westeuropäischen Gesellschaften auf der sicheren Seite und möchte mit dem Elend der Opfer lieber nicht behelligt werden. Die Helfer der Opfer (PsychotherapeutInnen, SozialarbeiterInnen, VertreterInnen von Kirchen und NGOs) müssen damit rechnen, als „Gutmenschen“ diffamiert zu werden (2011: 98f.). Unter der Überschrift „Ein Europa der Menschenjagden?“ (2011: 119) führt Ottomeyer drastische Beispiele der europäischen Abschottungspolitik an, die den Verlust von Menschenleben in Kauf nimmt und schließt mit einer Aussage, die umgelegt auf die derzeitige politische Lage aktuell anmutet: „Anderen Menschen Angst machen hilft manchen Leuten dabei, die Angst, die sie haben, nicht spüren zu müssen“ (2011: 134).

      3.5 Abschließende Bemerkungen

      Wie bereits erwähnt, ist das Dolmetschen kein klassischer „Helferberuf“ und somit zählen die DolmetscherInnen im Kontext der Psychotherapie nicht zu den klassischen „HelferInnen“, weil sie keine eigenen Interventionen setzen und nicht für die Erreichung von Therapiezielen zuständig sind; als SprachmittlerInnen ermöglichen und befördern sie jedoch die Arbeit der HelferInnen mit den KlientInnen und sind damit Teil der ablaufenden Prozesse. Daher sind sie von den Dynamiken in diesem Mikrokosmos zumindest am Rande betroffen, so auch vom Umgang der Gesellschaft mit Asylsuchenden und Opfern von Menschenrechtsverletzungen. Die psychotherapeutische Arbeit mit traumatisierten Menschen stellt auch an die DolmetscherInnen spezifische Anforderungen, sowohl im individuellen Zugang zu den einzelnen KlientInnen, als auch im Hinblick auf die Reflexion des Phänomens „Trauma“ in einem gesamtgesellschaftlichen Kontext.

      4 Dolmetschen in der Psychotherapie: Forschungsstand

      Das folgende Kapitel soll – ohne Anspruch auf Vollständigkeit – einen Überblick über die relevante Literatur zum Themenkomplex „Dolmetschen in der Psychotherapie“ bieten, wobei zunächst eine Kontextualisierung dieses Themas im Rahmen des Community Interpreting erfolgt.

      4.1 Kontextualisierung in der Translationswissenschaft: Community Interpreting

      „Interpreting is an ancient human practice“ (Pöchhacker 2016: 28). Diese Feststellung ist so simpel wie zutreffend und in einer komplexen Dienstleistungsgesellschaft, die auf Differenzierung und Arbeitsteilung aufbaut, alles andere als selbstverständlich. Bei dem in der vorliegenden Arbeit unternommenen Versuch, sich dem Phänomen des Dolmetschens in der Psychotherapie aus verschiedenen Blickwinkeln und mit einem möglichst hohen Grad an Differenzierung zu nähern, ist es notwendig, diese einfache Tatsache, nämlich dass es sich beim Dolmetschen um ein Phänomen handelt, das so alt ist wie die Menschheit selbst, stets im Hinterkopf zu behalten, gerade weil im psychotherapeutischen Kontext Sprache als eine Tür zu den mitunter verschütteten und sorgfältig gehüteten emotionalen Inhalten betrachtet wird. Aus der Sicht der Translationswissenschaft ist das Dolmetschen in der Psychotherapie im Bereich des Community Interpreting (Kommunaldolmetschen) zu verorten. Ein historischer Überblick über die Dolmetschwissenschaft ist bei Pöchhacker (2015: 62–76) zu finden. Unter der Bezeichnung Community Interpreting werden Dolmetschleistungen zusammengefasst, die in Behörden, Institutionen, Krankenhäusern, Gerichten, Polizeistationen u. Ä. erbracht werden, für Personen, die der Landessprache nicht im ausreichenden Maß mächtig sind, um die Dienstleistungen der genannten Einrichtungen in Anspruch nehmen zu können, ohne gröbere Missverständnisse zu riskieren. Es ist nicht davon auszugehen, dass der Dolmetschbedarf immer einwandfrei festzustellen ist: Je nach Schwierigkeitsgrad der Kommunikation, also je nach Terminologie oder Wichtigkeit des jeweiligen Termins wird seitens der KlientInnen der Versuch unternommen, eine DolmetscherIn mitzubringen bzw. von der jeweiligen Einrichtung zur Verfügung gestellt zu bekommen.

      Pöchhacker weist auf Auffassungsunterschiede über den Inhalt und Umfang von Community Interpreting hin, woraus unterschiedliche Definitionen resultieren (2007: 36ff.): Gemeint ist jedenfalls das Dolmetschen innerhalb einer Gesellschaft, also ein „intrasozietäres“ Dolmetschen, in Abgrenzung zum „internationalen“ Konferenzdolmetschen. Eine andere Unterscheidung betrifft die Ungleichheit der Kommunikationspartner: Während die eine Person als Privatperson mit ihren eigenen Anliegen auftritt, ist die andere Person in einer Institution (z. B. Polizei, Gericht oder Krankenhaus) verankert. Das rollenbedingte Machtgefälle betrifft auch den sozialen Status. Vor dem Hintergrund des Machtgefälles ist es für DolmetscherInnen nicht immer möglich, „neutral“ zu agieren, da eine bewusste oder unbewusste Vereinnahmung durch die Interaktionspartner durch die physische Präsenz und Nähe gefördert wird.

      Pöchhacker unterscheidet zwischen intersozietären und intrasozietären Einsatzbereichen und liefert eine Aufzählung der Kontexte, in denen gedolmetscht wird (Pöchhacker 2004: 13ff.), wobei Community Interpreting folgendermaßen beschrieben wird:

      It was only in the 1980s and 1990s, in the face of mounting communication problems in public-sector institutions (health-care, social services), that ‚interpreting in the community‘ (community-based interpreting) acquired increasing visibility. Thus community interpreting, also referred to as public service interpreting (mainly in the UK) and cultural interpreting (in Canada) emerged as

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