Kritisches Denken. Группа авторов

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Kritisches Denken - Группа авторов Herausforderungen für die Geisteswissenschaften - Challenges for the Humanities

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nicht, erhitzten sich die Gemüter.11 Neben der Debatte um die Vertretbarkeit des Zeigens oder Nicht-Zeigens, barg die Rezeption des Bildes beziehungsweise der Bilder von Aylan Kurdi in den sozialen Medien und in der Politik höchste Brisanz. Unter dem Hashtag #KiyiyaVuranInsanlik (in etwa: „Menschheit an die Küste gespült“) sorgten die Fotos auf Twitter für zahlreiche Reaktionen.12 Die Stuttgarter Zeitung, die diese Beiträge zusammengefasst hatte, zeigte dabei das Foto, auf dem Aylan Kurdi von einem Polizisten weggetragen wird, der sichtbare Teil des Körpers wurde verpixelt. Politiker äußerten sich nach der Veröffentlichung vielfach zu dem Bild. So erklärte der damalige Premierminister von Großbritannien David Cameron: „Als Vater bin ich tief bewegt von dem Foto des kleinen, an den Strand gespülten Jungen.“13 Kurze Zeit später verpflichtete sich Großbritannien, das Kontingent zur Aufnahme syrischer Flüchtlinge zu erhöhen. US-Senator John McCain stellte das Foto von Aylan Kurdi überlebensgroß neben sich auf, als er den Senat adressierte und eine stärkere Rolle der USA im Syrien-Konflikt forderte. Kurz danach ließ John Kerry verlauten, dass die USA mehr refugees aufnehmen würden.14 Probst schreibt in diesem Zusammenhang, dass „[e]s kaum vorstellbar [ist], dass der Tod von Aylan Kurdi und die Veröffentlichung des Bildes seiner angespülten Leiche am 2. September auf die nur zwei Tage später erfolgte Entscheidung von Angela Merkel und Werner Faymann vom 4. September, die in Ungarn sich selbst überlassenen Flüchtlinge nach Deutschland und Österreich zu holen, keinen Einfluss gehabt haben sollte.“15 Bilder als Steuerungselemente der Politik, oder hier im Speziellen Bilder als Flüchtlingspolitik, sind kein neues Phänomen, und dennoch scheint es an Komplexität gewonnen zu haben. Es kommen Äußerungen von Thomas de Maizière wie die folgende, zum Zeitpunkt eben jenes Flüchtlingsgipfels des 7. März 2016 in Brüssel getätigte, in den Sinn, mit der er den Flüchtlingspakt mit der Türkei verteidigt: „Auch wenn wir jetzt einige Wochen ein paar harte Bilder aushalten müssen, unser Ansatz ist richtig“, sagte er gegenüber den Zeitungen des Redaktionsnetzwerks Deutschland vom Freitag.16

      Welche Rolle spielen Bilder in unserer Gesellschaft? Welche Rolle nehmen wir als Rezipientinnen und Rezipienten ein? Wie positionieren wir uns als Betrachterinnen und Betrachter zu diesen visuellen Erzeugnissen, die uns tagtäglich erreichen? Eine kritische Geisteswissenschaft hinterfragt die Bedeutung der Bilder in allen ihren Facetten. Das immer wieder als Bilderflut titulierte und postulierte Phänomen einer schier unüberschaubaren Masse an Bildern, die täglich auf uns niederprasselt, ist Anlass dazu, die Bilder und ihren Status genauer zu befragen. Dabei ist kritisch zu hinterfragen, was Bilderflut eigentlich bedeutet und andererseits unter der Annahme, dass wir (den) Bildern ausgesetzt sind, wie ihnen begegnen? Die Funktion der Bilder und ebenso die zugrunde liegenden Strategien ihrer Genese von Produktion, Rezeption und Perzeption sowie Bedeutungskonstitution müssen im Umgang mit ihnen einer steten Untersuchung unterzogen werden. Die Fallbeispiele des politisch brisanten und medial omnipräsenten Themas unterstreichen die Notwendigkeit, eine kritische Bildbetrachtung im gesellschaftlichen Leben zu verankern. Dazu braucht es eine kritische Geisteswissenschaft und eine Öffnung der Disziplinen für eine interdisziplinäre Zusammenarbeit. Denn Bilder haben auch immer eine politische Dimension. Es liegt an uns, sie zu erkennen und damit umzugehen.

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      Nietzsche,

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