Kritisches Denken. Группа авторов

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Kritisches Denken - Группа авторов Herausforderungen für die Geisteswissenschaften - Challenges for the Humanities

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mit einer wissenschaftsgeschichtlich argumentierenden geisteswissenschaftlichen Arbeitsweise. Werden sie zum integralen Bestandteil der Beforschung von Objekten, können sie die Diskurse und Wertesysteme, die sich in der Deutung der jeweiligen Objekte und ihrer Platzierung im Kanon manifestieren, sichtbar machen und damit einen produktiven Ansatzpunkt für das kritische Hinterfragen geisteswissenschaftlicher Verfahren liefern.9 Die Befragung der Rezeptions- und Deutungsgeschichte geisteswissenschaftlicher Objekte und Methoden vermag die Muster, Bedingungen und Genesen der facheigenen Frageformen und Kanonisierungsprozesse offenzulegen und sich einer Antwort auf die Frage anzunähern, warum in welcher Wissenschaft wann was wie und von wem gefragt oder nicht gefragt wird.

      Im Fach Kunstgeschichte mündet das Nachdenken über Prozesse der Kanonbildung 2009 in den sich diesem Thema widmenden 30. Kunsthistorikertag in Marburg und das dazugehörige Diskussionsforum zur „Wissenschaftsgeschichte der Kunstgeschichte“.10 Unter wissenschaftsgeschichtlichen Fragen an das eigene Fach werden dort neben der soziologisch ausgerichteten Beforschung der intellektuellen Biographien, der Netzwerke und sprachlich-rhetorischen Performanz von Kunsthistorikern das Hinterfragen von Institutionalisierungsverläufen bestimmter Diskurse und Methoden oder die Reflexion der gesellschaftspolitischen Bedingungen von Trends und turns subsumiert – Fragen also, die sich auch an die Genese und Argumentationsmuster anderer Geisteswissenschaften stellen lassen, dort gestellt wurden und werden.11 Ziel für die Praxis solle sein, die an die Wissenschaftsgeschichte der Disziplin gerichteten Fragen mit objektbezogenen Analysen zu verknüpfen und die fachgeschichtliche Reflexion zum Korrektiv der Interpretationen werden zu lassen. In der Auseinandersetzung mit Hieronymus Bosch ließe sich dann zum Beispiel ziemlich genau herausarbeiten, unter welchen Umständen etwa die Deutung von Bosch als einem Häretiker zustande kommt, Anklang findet und welche Aspekte aus seinen Werken dafür herangezogen werden.12 Zu analysieren, welche Objekte zu welchen Zwecken mit welchen Fragen beforscht und bewertet werden, kann nicht nur die fachlichen Diskursverläufe evident machen, sondern darüber hinaus verstärkt für die Instrumentalisierung von Objekten in institutionellen oder politischen Gefügen sensibilisieren (→ A.-K. Hubrich). Bettet man die an die (kanonbildenden) Rezeptionsmuster gerichteten Fragen in einen breiteren Rahmen der Wissenschaftsgeschichte ein, so kann über die facheigene Innenperspektive hinaus zudem eine interdisziplinäre Vernetzung von Frageformen gelingen, die wiederum das fächerübergreifende Auffinden weiterer nicht gestellter Fragen in den Geisteswissenschaften ermöglicht und die wissenschaftsgeschichtliche Herangehensweise als transdisziplinäre Fähigkeit schult. So ist es schließlich noch immer Bourdieus Forderung nach der Historisierung des eigenen Tuns, die in diesen Zusammenhängen Gültigkeit beansprucht und eine Orientierung für das kritische Befragen geisteswissenschaftlicher Objekte und Methoden bieten kann: „Nur indem es die historischen Bedingungen seines eigenen Schaffens analysiert […], vermag das wissenschaftliche Subjekt seine Strukturen und Neigungen ebenso theoretisch zu meistern wie die Determinanten, deren Produkt diese sind, und sich zugleich das konkrete Mittel an die Hand zu geben, seine Fähigkeiten der Objektivierung noch zu steigern.“13

      Bilder-kritisch Denken (Ann-Kathrin Hubrich)

      Wir schlagen die Zeitung auf, betreten auf dem Weg zur Arbeit die Straße oder öffnen eine der zahlreichen Apps auf unserem Smartphone und schon werden wir mit Bildern konfrontiert. Bilder, die gerade erst entstanden sind, Bilder, deren Entstehung in einem weit zurückliegenden Kontext zu verorten ist, oder Bilder, die wir selbst gemacht haben. Wie gehen wir mit diesen Bildern um? Wer hat diese Bilder wann und wie gemacht hat und zu welchem Zweck sind sie entstanden? In welchem Kontext werden sie präsentiert? Das, was Aby Warburg bereits 1906 mit dem Begriff der Pathosformel etabliert hat, stellt als Denkmodell einen fruchtbaren Ansatz dar, auch die heutige Bildproduktion zu analysieren. Der Kulturhistoriker ging davon aus, dass bestimmte Themen und Motive der Antike in der Kunst der Renaissance eine gezielte Wiederaufnahme erfuhren, um damit verknüpfte Emotionen auszudrücken. Ob bewusst oder unbewusst scheint auch die zeitgenössische Bildproduktion auf traditionelle Vorläufer zurückzugreifen. Die Motiv-Wanderung von Bild zu Bild ist dabei die formale Ebene, während die Bedeutungsaufladung und -übertragung die semantische Komponente bildet. Noch spezifischer für die tagtägliche Bildproduktion ist das, was Warburg in Anlehnung an die Schlagzeile unter dem Stichwort Schlagbilder subsumiert hat. Laut Warburgs Modell konzentrieren sich Zeitströmungen in Bildern. Mit ihnen wird eine politische Ikonographie geschrieben. Ihr Zustandekommen ist ebensowenig wie ihre Motivik nicht zufällig, sondern zielgerichtet. Es ist daher unabdingbar zu fragen, mit welchen Bildern wir konfrontiert werden: Dabei spielen sowohl der Zeitpunkt (→ S. Ludwig) als auch die Kontextualisierung eine wichtige Rolle. Diesen Prozessen soll anhand prominenter Beispiele im Kontext von aktuellen Fluchtbewegungen auf den Grund gegangen werden, um den Einfluss von Bildern auf politische Debatten auszuloten. Mit dem Beitrag wird die Frage nach der Rolle von Bildern im gesellschaftlichen Diskurs aufgeworfen und damit eine zentrale Funktion der Bildwissenschaften als Geisteswissenschaften veranschaulicht (→ Einleitung).

      „Nicht der Gewaltakt an sich zählt, sondern die Bilder, die davon in Umlauf gebracht werden.“1 Diesen Umstand postuliert Charlotte Klonk für den modernen Terror, dessen mediale Verbreitung sie als einen seiner immanenten Bestandteile identifiziert. Weiter heißt es: „Je intensiver also die mediale Bildproduktion betrieben wird, desto größer ist auch zunächst der Erfolg der Täter.“2 Als Reaktion auf die hervorgebrachten Bilder schildert Klonk einen fast automatisierten Prozess, der sich gesellschaftlich einstellt: „Aus Angstabwehr wird Schaulust und umgekehrt. […] Schaulust treibt die Bildermaschinerie des Terrors an, und Angstabwehr generiert Gegenbilder.“3 In einem Interview weist Horst Bredekamp bereits 2004 darauf hin, dass Bilder nicht nur als nachträgliche Bestandsaufnahme dienen, sondern bestimmte Situationen geschaffen oder bestimmte Taten zum Zwecke der Bildproduktion ausgeübt werden.4 Diesen Gedanken greift Jörg Probst in seiner Analyse der im Rahmen der 2015 und 2016 auf einem Höhepunkt befindlichen Fluchtbewegungen entstandenen Bilder auf und macht ihn fruchtbar im Hinblick auf die Frage nach ihrer Funktion in gesellschaftspolitischen Prozessen. Als Ausgangspunkt dient Probst die Anne-Will-Sendung vom 6. März 2016, die einen Tag vor einem EU-Gipfeltreffen unter dem Titel „Flüchtlingsdrama vor dem Gipfel – Ist Europa noch zu retten?“ ausgestrahlt wurde.5 Bemerkenswerterweise nahmen die Bilder eine entscheidende Rolle in der Diskussion der geladenen Gäste, darunter mit Sebastian Kurz, Heiko Maas, Katrin Göring-Eckardt und Katja Kipping bedeutende Politikerinnen und Politiker, ein. Der an der mazedonisch-griechischen Grenze gelegene Ort Idomeni war in den Tagen davor zum Schauplatz der Schließung der Westbalkan-Route geworden: Bilder von Menschen an Grenzzäunen auf der einen und bewaffneten Grenzbeamten auf der anderen Seite symbolisierten die drastischen humanitären Auswirkungen, die diese politische Entscheidung zeitigte. Sie visualisierten die fatalen Bedingungen der dort in Lagern zusammengetriebenen Menschen. Die Äußerungen der Anwesenden taten ihr Übriges, und so wurden diese Bilder kurzum als Akteure in der Debatte etabliert. So formulierte Kurz: „Die Bilder sind furchtbar, aber wir sollten nicht den Fehler machen, zu glauben, dass es ohne diese Bilder gehen wird.“6 In dieser Aussage steckt die Annahme, dass die Bilder als Teil einer Legitimierungsstrategie politischer Abschottung dienen können. Indem sie eine abschreckende Wirkung entfalteten, dienten sie als Mittel zum Zweck, Menschen von einer Flucht abzuhalten. Als Gegenbilder dazu können diejenigen Aufnahmen gelten, denen eine einladende Wirkung zugesprochen wurde:7 So zum Beispiel das von Bernd von Jutrczenka festgehaltene Selfie eines syrischen Flüchtlings mit Angela Merkel, das später nicht nur dem Fotografen, sondern auch dem Porträtierten mediale Aufmerksamkeit zuteilwerden lassen sollte.8 Der Bundeskanzlerin wurde entgegengebracht, sie würde durch solche Fotos Fluchtbewegungen provozieren. Göring-Eckardt betonte in der Anne-Will-Sendung, „dass die Situation der Menschen […] zuerst einmal schrecklich [ist] und nicht einfach nur die Bilder“.9 Damit angedeutet ist die ikonische Differenz, die zwischen Darstellung und Dargestelltem besteht. Letztlich aber sind es die Bilder, die uns erreichen und die politische Debatten anstoßen, sie lenken oder wie es Probst formuliert als politische Instrumente gezielt eingesetzt werden können (→ Friederike Schütt). Als Beispiel bringt er dann auch das viral gewordene Bild des tot an den Strand gespülten syrischen Jungen Aylan Kurdi an, das – wie er nachzeichnet – unmittelbare Auswirkungen auf Entscheidungsträgerinnen und Entscheidungsträger hatte.10 Das Foto vom 2. September

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