Kritisches Denken. Группа авторов

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Kritisches Denken - Группа авторов Herausforderungen für die Geisteswissenschaften - Challenges for the Humanities

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selbst im Fragen eingeschlossen (→ Einleitung). Das Fragezeichen am Ende des Satzes bleibt auch in der Reflexion über abendländisch-philosophische Fragepraktiken noch modus operandi der kritischen Hinterfragung. Ein unentrinnbarer Zirkel? Die angedeutete Gegenbewegung zwischen Kunstinstallation und architektonischem Milieu legt diese Zirkularität nahe. Eine Aporie bedeutet diese jedoch sicherlich nicht. Wenn Aporie Weglosigkeit, Methode hingegen die Wegbarkeit anzeigt, dann ist mit dem Gegenstand (dem Fragezeichen) die methodische Möglichkeit der kritischen Denkarbeit selbst schon gegeben. Es handelt sich demnach um eine (vielleicht paradoxe) Aufgabe, insofern als dass der Gegenstand hier zugleich die Methode selbst darstellt, immer schon ist. Die Frage nach dem Status und den Möglichkeiten geisteswissenschaftlichen Fragens bleibt also immer fraglich, ganz sicher aber auch (im positiven Sinne) fragwürdig. Vielleicht vermag uns Martin Heidegger, jener Philosoph, der wie kein Zweiter im 20. Jahrhundert die Frage nach dem Fragen, den Sinn des Fragens zum Problem des Denkens erhoben hat, einen ersten Anhaltspunkt für das zirkuläre Verhältnis von Gegenstand und Methode zu liefern. In Sein und Zeit betont er die Notwendigkeit, den Sinn der Frage nach dem Sein allererst wieder zu entdecken, wobei genau diese Forderung einer zirkulären Logik unterworfen zu sein scheint, da dasjenige, was als Frage erst wiederentdeckt werden soll, doch eigentlich im Fragen selbst bereits vorausgesetzt werden müsste. Auf dieses scheinbar ausweglose „Gehen im Kreise“3 antwortet Heidegger: „Das Entscheidende ist nicht, aus dem Zirkel heraus-, sondern in ihn nach der rechten Weise hineinzukommen.“4 Neben Heideggers eigener Technik des Hineinkommens als fundamentalontologische Wiederbelebung des Verständnisses nach der Frage des Sinns des Seins (also Fragen als existenzialer Seinsmodus des Daseins), die an dieser Stelle nicht weiter verfolgt werden soll, sind es vor allem zwei weitere Aspekte, die sich in diesem Zitat ausgedrückt finden: 1) Zunächst bedeutet das Im-Zirkel-Sein, dass es in Bezug auf das Fragen immer schon eine Art vorgängiges Verständnis gibt, das die Bedingungsmöglichkeiten des Fragens bestimmt. Das „Fragen nach x“ setzt demnach ein Vorverständnis voraus, ist nicht voraussetzungslos. Heidegger nennt das „vorgängige[…] Hinblicknahme“5. Dieses Vorverständnis näher in den Blick zu nehmen, kann vor allem fruchtbar werden, wenn man es kritisch mit Derridas Forderung nach dem Bedingungslosen des In-Frage-Stellens konfrontiert.6 2) Außerdem ist dieses Hineinkommen oder Immer-schon-inmitten-Sein in der Frage gerichtet gegen einen allzu schnellen Ausweg durch die Antwort. Dieser Aspekt richtet sich vor allem gegen ein Fragen, das sich einer linearen Zweck-Mittel-Relation einschreibt und die Produktion von Fragen, das kritische In-die-Frage-Stellen immer schon auf ein (bekanntes) Ziel hin restringiert. Das wäre dann sicherlich kein bedingungsloses Hinterfragen, sondern bloß immanentes Mittel einer Verwertungslogik, die dem kritischen Potenzial des anderen Fragens nicht gerecht werden kann.

      Mit Gilles Deleuze könnte man sagen, dass dieser Zweck-Mittel-Relation als Frage-Antwort-Logik ein bestimmtes „Bild des Denkens“ als „natürliche […] Ausübung eines Vermögens unter Voraussetzung eines naturwüchsigen Denkens, das zum Wahren fähig und geneigt ist, und zwar unter dem doppelten Aspekt eines guten Willens des Denkenden und einer rechten Natur des Denkens“7 zugrunde liegt.8 Dieses Bild des Denkens „in Form eines naturwüchsigen Denkvermögens, die es der Philosophie erlaubt, sich den Anschein des Anfangs, eines voraussetzungslosen Anfangs zu geben“9, ist bestimmt durch kontemplative Innwendigkeit, reflexive Selbstbestimmung und letztendlich eindeutige Signifikation.10 Die implizite Logik der Voraussetzung präjudiziert damit jedes Fragen durch eine erste Entscheidung für das normierte Bild des Denkens, sodass jede spätere Hinterfragung – etwa von begrifflichen Explikationen – stets der primären und konstitutiven Ordnung unterworfen bleibt; hergestellt in einer linearen, sukzessiven Formalisierung. Wenn dieses Bild des Denkens gerade jene freie Bewegung des Denkens einschränkt, die die Installation in der Universitätsbibliothek Erfurt versinnbildlichen möchte, dann muss die erste kritische Frage lauten: Wie könnte dem Fragen in seiner Offenheit stattgegeben werden, ohne jedoch zugleich die Möglichkeit der Erkenntnis, das Streben nach Einsicht preiszugeben? (→ F. Schütt, A. K. Hubrich). Denn man könnte der hier eingeleiteten kritischen Betrachtung der Zweck-Mittel-Relation des Frage-Antwort-Spiels doch vor allem entgegenhalten: Verliert nicht das Fragen gerade in dem Moment, wo es scheinbar von den befragten Phänomenen abstrahiert, um sich als Erkenntnismodus und erkenntniskritischer Zugang selbst zu reflektieren, an Gehalt? Wird das Fragen nach der Frage nicht zur eitlen Selbstbespiegelung, reine Selbstbezüglichkeit in einem vermeidbaren Zirkel, oder in Abwandlung einer berühmten Formel: la question pour la question?

      Deleuze versucht dem dogmatischen Bild des Denkens und dem gerade vorgebrachten Einwand zu entkommen, indem er das Denken (und das Fragen!) auf dasjenige bezieht, was es überhaupt erst anregt und von woanders herkommt. Demnach ist das Nicht-Philosophische dasjenige, was das Denken antreibt: „[S]ie [die Griechen, K. D.] wußten, daß das Denken nicht ausgehend von einem guten Willen zu denken anfängt, sondern auf Grund von Kräften, die auf es einwirken und zum Denken zwingen.“11 Das Zwingende kommt von woanders her und trifft das Denken dergestalt, dass das traditionelle Bild des Denkens zugunsten eines Bildes aufgegeben wird, das das Denken auf dieses Affiziert-Werden als Ausgangspunkt verpflichtet.

      Dasjenige, was das geisteswissenschaftliche Fragen vielleicht auch heute noch zum Denken und Fragen zwingt, kommt aber gerade nicht von woanders her, sondern ist von Anbeginn (und vielleicht sogar schon vorher) in ihre DNA eingeschrieben: Die Frage nach dem Sein der Geisteswissenschaften, ihrem Selbstverständnis, ihrer Legitimation. Das Fragen selbst steht am Anfang der Geisteswissenschaften, oder besser: leitet die Bedingungsmöglichkeit ihrer Konstituierung im 19. Jahrhundert ein. Denn bereits um 1800, darauf hat Michel Foucault uns hingewiesen, trägt sich mit der Frage „Was ist Aufklärung?“ nicht nur ein konkretes, epochenspezifisches Problem in die Geschichte des Denkens ein, sondern die Frage nach der Fragwürdigkeit, der Frageform im Augenblick des konkreten, kritischen In-Frage-Stellens selbst wird zum Gegenstand erhoben (→ vgl. Einleitung). Die historische Signatur des Fragens, die die eigene Aktualität, den Bezug zur Vergangenheit und zur Zukunft gleichermaßen betrifft, ist auch dann späterhin dem geisteswissenschaftlichen Arbeiten, Denken, Fragen als conditio sine qua non des eigenen Selbstverständnisses eingeschrieben. Im Zentrum steht also gar nicht so sehr die letztbegründende, ideengeschichtlich bestimmbare Antwort auf die Frage nach der Geisteswissenschaft (etwa als Kompensationstheorie, fröhliche Wissenschaft oder permanente Krise), sondern die Frage selbst als die Vollzugsform dieser immer erneuten Fraglichkeit ihres Selbstverständnisses mit offenem Ausgang. Die Frage nach der Frage als kritische geisteswissenschaftliche Praktik betrifft also zuallererst die Frage nach ihrem eigenen Anfang, den Ort folglich, an dem sie ein- und an-setzt. Damit ist mit der Reflexion über die Frage der Geisteswissenschaft immer auch die Frage nach der Geisteswissenschaft verbunden. In praktischer Hinsicht erzeugt gerade diese Doppelung eine produktive Spannung, wenn kritisches geisteswissenschaftliches Arbeiten die Gefahr vermeidet, nur die mannigfaltigen und häufig sich wiederholenden Positionen und Argumente zur Krise der Geisteswissenschaft zu reproduzieren und sich stattdessen bewusst bleibt, dass gerade mit der eigenen Frageperspektive nicht nur der je spezielle Einzelgegenstand fokussiert wird, sondern zugleich (manchmal direkt, häufiger indirekt) grundsätzlich geisteswissenschaftliches Arbeiten zum Gegenstand wird.

      Das heißt also die Installation von Dietrich Förster in der Universitätsbibliothek Erfurt ist nicht darum so interessant, weil sie etwa falsch herum gehängt wurde. Das würde ja bloß implizieren, dass bei einer umgedrehten Anordnung die Ordnung der Dinge wiederhergestellt würde. Es wäre nichts anderes als kritisches Fragen erneut in eine Zweck-Mittel-Relation einzuschreiben. Vielmehr ergibt sich gerade an der gegenläufigen Bewegung zwischen Raum und Kunstwerk, in der Ununterscheidbarkeit von Anfang und Ende ein Reflexionsmedium für kritisches Fragen. Wenn geisteswissenschaftliches Fragen immer schon konstitutiv von der Frage nach der Geisteswissenschaft angeregt wurde, gibt es eben keinen Anfang und auch kein Ende, sondern nur ein Immer-Schon-Inmitten-Sein als einziger Ausgangspunkt und Möglichkeitsbedingung unvorhergesehener, anderer Bewegungen im Modus des Fragens selbst. Die Reflexion über den eigenen Ort in diesem Gefüge ist dann der Anfang einer kritischen Arbeit, die nicht einen absoluten Anfang zeitigt, sondern einen Anfang, der immer schon inmitten von problematischen Bezügen verortet ist und die Frage erst zu stellen hat, die diesem Problem gerecht wird. Michel

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