Kritisches Denken. Группа авторов
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![Kritisches Denken - Группа авторов Kritisches Denken - Группа авторов Herausforderungen für die Geisteswissenschaften - Challenges for the Humanities](/cover_pre957616.jpg)
Mit Gilles Deleuze könnte man sagen, dass dieser Zweck-Mittel-Relation als Frage-Antwort-Logik ein bestimmtes „Bild des Denkens“ als „natürliche […] Ausübung eines Vermögens unter Voraussetzung eines naturwüchsigen Denkens, das zum Wahren fähig und geneigt ist, und zwar unter dem doppelten Aspekt eines guten Willens des Denkenden und einer rechten Natur des Denkens“7 zugrunde liegt.8 Dieses Bild des Denkens „in Form eines naturwüchsigen Denkvermögens, die es der Philosophie erlaubt, sich den Anschein des Anfangs, eines voraussetzungslosen Anfangs zu geben“9, ist bestimmt durch kontemplative Innwendigkeit, reflexive Selbstbestimmung und letztendlich eindeutige Signifikation.10 Die implizite Logik der Voraussetzung präjudiziert damit jedes Fragen durch eine erste Entscheidung für das normierte Bild des Denkens, sodass jede spätere Hinterfragung – etwa von begrifflichen Explikationen – stets der primären und konstitutiven Ordnung unterworfen bleibt; hergestellt in einer linearen, sukzessiven Formalisierung. Wenn dieses Bild des Denkens gerade jene freie Bewegung des Denkens einschränkt, die die Installation in der Universitätsbibliothek Erfurt versinnbildlichen möchte, dann muss die erste kritische Frage lauten: Wie könnte dem Fragen in seiner Offenheit stattgegeben werden, ohne jedoch zugleich die Möglichkeit der Erkenntnis, das Streben nach Einsicht preiszugeben? (→ F. Schütt, A. K. Hubrich). Denn man könnte der hier eingeleiteten kritischen Betrachtung der Zweck-Mittel-Relation des Frage-Antwort-Spiels doch vor allem entgegenhalten: Verliert nicht das Fragen gerade in dem Moment, wo es scheinbar von den befragten Phänomenen abstrahiert, um sich als Erkenntnismodus und erkenntniskritischer Zugang selbst zu reflektieren, an Gehalt? Wird das Fragen nach der Frage nicht zur eitlen Selbstbespiegelung, reine Selbstbezüglichkeit in einem vermeidbaren Zirkel, oder in Abwandlung einer berühmten Formel: la question pour la question?
Deleuze versucht dem dogmatischen Bild des Denkens und dem gerade vorgebrachten Einwand zu entkommen, indem er das Denken (und das Fragen!) auf dasjenige bezieht, was es überhaupt erst anregt und von woanders herkommt. Demnach ist das Nicht-Philosophische dasjenige, was das Denken antreibt: „[S]ie [die Griechen, K. D.] wußten, daß das Denken nicht ausgehend von einem guten Willen zu denken anfängt, sondern auf Grund von Kräften, die auf es einwirken und zum Denken zwingen.“11 Das Zwingende kommt von woanders her und trifft das Denken dergestalt, dass das traditionelle Bild des Denkens zugunsten eines Bildes aufgegeben wird, das das Denken auf dieses Affiziert-Werden als Ausgangspunkt verpflichtet.
Dasjenige, was das geisteswissenschaftliche Fragen vielleicht auch heute noch zum Denken und Fragen zwingt, kommt aber gerade nicht von woanders her, sondern ist von Anbeginn (und vielleicht sogar schon vorher) in ihre DNA eingeschrieben: Die Frage nach dem Sein der Geisteswissenschaften, ihrem Selbstverständnis, ihrer Legitimation. Das Fragen selbst steht am Anfang der Geisteswissenschaften, oder besser: leitet die Bedingungsmöglichkeit ihrer Konstituierung im 19. Jahrhundert ein. Denn bereits um 1800, darauf hat Michel Foucault uns hingewiesen, trägt sich mit der Frage „Was ist Aufklärung?“ nicht nur ein konkretes, epochenspezifisches Problem in die Geschichte des Denkens ein, sondern die Frage nach der Fragwürdigkeit, der Frageform im Augenblick des konkreten, kritischen In-Frage-Stellens selbst wird zum Gegenstand erhoben (→ vgl. Einleitung). Die historische Signatur des Fragens, die die eigene Aktualität, den Bezug zur Vergangenheit und zur Zukunft gleichermaßen betrifft, ist auch dann späterhin dem geisteswissenschaftlichen Arbeiten, Denken, Fragen als conditio sine qua non des eigenen Selbstverständnisses eingeschrieben. Im Zentrum steht also gar nicht so sehr die letztbegründende, ideengeschichtlich bestimmbare Antwort auf die Frage nach der Geisteswissenschaft (etwa als Kompensationstheorie, fröhliche Wissenschaft oder permanente Krise), sondern die Frage selbst als die Vollzugsform dieser immer erneuten Fraglichkeit ihres Selbstverständnisses mit offenem Ausgang. Die Frage nach der Frage als kritische geisteswissenschaftliche Praktik betrifft also zuallererst die Frage nach ihrem eigenen Anfang, den Ort folglich, an dem sie ein- und an-setzt. Damit ist mit der Reflexion über die Frage der Geisteswissenschaft immer auch die Frage nach der Geisteswissenschaft verbunden. In praktischer Hinsicht erzeugt gerade diese Doppelung eine produktive Spannung, wenn kritisches geisteswissenschaftliches Arbeiten die Gefahr vermeidet, nur die mannigfaltigen und häufig sich wiederholenden Positionen und Argumente zur Krise der Geisteswissenschaft zu reproduzieren und sich stattdessen bewusst bleibt, dass gerade mit der eigenen Frageperspektive nicht nur der je spezielle Einzelgegenstand fokussiert wird, sondern zugleich (manchmal direkt, häufiger indirekt) grundsätzlich geisteswissenschaftliches Arbeiten zum Gegenstand wird.
Das heißt also die Installation von Dietrich Förster in der Universitätsbibliothek Erfurt ist nicht darum so interessant, weil sie etwa falsch herum gehängt wurde. Das würde ja bloß implizieren, dass bei einer umgedrehten Anordnung die Ordnung der Dinge wiederhergestellt würde. Es wäre nichts anderes als kritisches Fragen erneut in eine Zweck-Mittel-Relation einzuschreiben. Vielmehr ergibt sich gerade an der gegenläufigen Bewegung zwischen Raum und Kunstwerk, in der Ununterscheidbarkeit von Anfang und Ende ein Reflexionsmedium für kritisches Fragen. Wenn geisteswissenschaftliches Fragen immer schon konstitutiv von der Frage nach der Geisteswissenschaft angeregt wurde, gibt es eben keinen Anfang und auch kein Ende, sondern nur ein Immer-Schon-Inmitten-Sein als einziger Ausgangspunkt und Möglichkeitsbedingung unvorhergesehener, anderer Bewegungen im Modus des Fragens selbst. Die Reflexion über den eigenen Ort in diesem Gefüge ist dann der Anfang einer kritischen Arbeit, die nicht einen absoluten Anfang zeitigt, sondern einen Anfang, der immer schon inmitten von problematischen Bezügen verortet ist und die Frage erst zu stellen hat, die diesem Problem gerecht wird. Michel