Kritisches Denken. Группа авторов

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Kritisches Denken - Группа авторов Herausforderungen für die Geisteswissenschaften - Challenges for the Humanities

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und Autorität der Frage, die Form des Denkens als Befragung“20 zur Diskussion. Das In-Frage-Stellen der Autorität des Fragens ließe sich, vielleicht ohne damit Derridas eigener Argumentation stricto sensu zu folgen, an dasjenige knüpfen, was er über das „Souveränitätsphantasma“, das „Phantasma der souveränen Verfügung“21 sagt. Dann ließe sich ein Unterschied im Fragen aufzeigen, der das (kritische) Fragen als soft skill vom Fragen als radikale Vollzugsform geisteswissenschaftlicher Kritik trennt. Dem souveränen Fragen (und der Praxis seiner Einübung) liegt ein Bild vom Subjekt zugrunde, das dergestalt über das Objekt der Frage verfügt, dass es dieses uneingeschränkt anzusprechen vermag. Es verfügt in der Frage über dieses Objekt, ohne selbst konstitutiv in das Fragen eingeschlossen zu sein. Eine kritische Denkarbeit, die die Fraglichkeit der Frage hervorhebt, muss hingegen die konstitutive Involviertheit des Subjekts in die Frage mit einbeziehen. Das Subjekt wird somit selbst Teil der Fragen: Warum stelle ich diese Fragen? In welchen diskursiven Zusammenhängen steht das Fragen? Welche Blickrichtungen und -bahnen werden dadurch abgelenkt? Die Einbeziehung des Subjekts in das Fragen betrifft dann gleichermaßen die Objekte und die Haltung des Subjektes zu seinem Gegenstand, der Disziplin, den institutionellen Rahmenbedingungen.

      Diese kritische Frage nach dem Subjekt des Fragens klingt bereits in Max Webers berühmtem Vortrag über Wissenschaft als Beruf an, indem er auf den heiklen Punkt des selbstreflexiven Moments in der Frage nach der Frage hinweist und implizit eine Frage aufwirft, der meist nur in den unterschiedlichen Facetten der geisteswissenschaftlichen Krisendiskurse des Sinns begegnet wurde:

      Die Tatsache, daß sie [die Wissenschaft] diese Antwort [nach dem Sinn] nicht gibt, ist schlechthin unbestreitbar. Die Frage ist nur, in welchem Sinne sie ‚keine‘ Antwort gibt, und ob sie stattdessen nicht doch vielleicht dem, der die Frage richtig stellt, etwas leisten könnte.22

      Die Abwesenheit des Fragezeichens am Ende des zitierten Satzes ins Licht geisteswissenschaftlicher Selbstreflexion zu rücken, ist der Anspruch der nachfolgenden Beiträge. Diese Frage lautet: Was kann das Fragen leisten, das nicht auf eine letztgültige Antwort zielt? Im besten Falle stellt sie, so die These der nachfolgenden Beiträge, die unhinterfragte disziplinäre Ordnung der Dinge dergestalt in Frage, dass ihre Zusammensetzung und Organisation als erklärungsbedürftig erscheint. Das verbindet die Frage nach den Fragerichtungen der Disziplinen innerhalb eines diskursiven Rahmens mit der Kritik. Gerald Rauning hat in seiner Analyse von Foucaults Was ist Kritik? Kritik als „produktive[n] Prozess der Neuzusammensetzung“23 bestimmt, der hier auf den Modus des Hinterfragens ausgerichtet werden kann, sodass gerade in der Frage der Blick auf andere Formen des Arrangierens, Kombinierens, Komponierens geöffnet wird. Um diesen produktiven Prozess in Gang zu setzten, so unsere Annahme, muss jedoch die Frage der Kritik zugleich eine Kritik der Frage sein: ihrer Blickrichtung und ihrer institutionellen, disziplinären Rahmungen, also dessen, was ohne ein anderes Fragen nicht wahrnehmbar, sichtbar und sagbar bliebe.

      Mit dieser Adressierung der geisteswissenschaftlichen Fragepraxis in der Form einer Frage an die Geisteswissenschaften versteht dieser Beitrag sich allerdings keineswegs außerhalb, in einem Außen des Fragens. Mit der Frage nach der Involviertheit des Fragenden, der „kritischen Haltung“ (Foucault) ist sein In-Mitte-Sein in disziplinäre, institutionelle und gesellschaftliche Rahmungen immer mit angesprochen. In den ersten beiden Beiträgen wird es daher auch um die grundlegenden Bestimmungsmöglichkeiten dieser Haltung gehen: dem Raum und der Zeit des Fragens, um anschließend in drei exemplarischen Lektüren das Verhältnis von sichtbaren und abgeblendeten Objekten geisteswissenschaftlichen Fragens zu untersuchen. Kevin Drews nimmt ein Kunstwerk, das als Rauminstallation im Foyer der Universitätsbibliothek Erfurt zu sehen ist, zum Anlass, um daran kritische Anmerkungen zur Zirkelstruktur eines Fragens nach dem Fragen zu knüpfen und den Ort des Fragenden zu bestimmen. Sandra Ludwig wird in ihrem Beitrag dem prekären Status des richtigen Augenblicks des Fragens nachspüren, indem sie vor dem Hintergrund des Zusammenhangs von Krise und Kairos die Zeitlichkeit des Fragens in den Blick nimmt. Anschließend folgen drei exemplarische Lektüren disziplinärer Frageszenen, in denen kritisch beobachtet wird, wie Fragerichtungen und Blickbahnen nicht nur bestimmte Objekte fokussieren, sondern zugleich andere Formen des Fragens ausschließen. Andrea Renker geht in ihrem Beitrag von der grundsätzlich polyvalenten Potenzialität geisteswissenschaftlicher Frageobjekte (Kunstwerke) aus und schlägt in Anknüpfung an Roman Jakobsons Überlegungen zur poetischen Sprachfunktion eine Übertragung der literaturwissenschaftlichen Theorie auf die kritische Betrachtung und Befragung nicht genuin künstlerischer Objekte vor. Friederike Schütt beleuchtet in ihrem Beitrag aus kunsthistorischer Perspektive, wie sich eine wissenschaftsgeschichtlich orientierte Befragung kanonisierter Objekte und Methoden als Form kritischen Denkens manifestieren und Impulse für das Auffinden bisher nicht gestellter Fragen in der geisteswissenschaftlichen Praxis liefern kann. Ann-Kathrin Hubrich nimmt Aby Warburgs Denken der Pathosformel zum Anlass, um das Verhältnis zwischen traditionellen Bildsemantiken und dem uneindeutigen ikonographischen Status gegenwärtiger Bildproduktionen zur Fluchtdebatte in der Presselandschaft auszuloten. Dabei wird die generelle Frage nach dem Ort der Bildwissenschaft in und für die Geisteswissenschaften kritisch in den Blick genommen.

      Der Beitrag in diesem Sammelband entstand in Anknüpfung an ein gemeinsames Tagungsprojekt24 und präsentiert sich als experimentelle, bewusst offen gelassene Annäherung an die Theorie und Praxis des geisteswissenschaftlichen Fragens in fünf kurzen Essays. Deren Anordnung leitet in der inhaltlichen Dramaturgie von grundsätzlichen Erwägungen des Fragepotenzials in den Geisteswissenschaften sukzessive in exemplarische Lektüren über. Dabei geht es nicht darum, eine über die einzelnen Beiträge hinausweisende kohärente inhaltliche oder methodische Linie zu verfolgen, die die einzelnen Beiträge zu einer verbindlichen Einheit zusammenfügt. Die gemeinsame Absicht der Essays liegt vielmehr darin, aus ihren verschiedenen Perspektiven Prismen anzubieten, die immer erneut dem Verhältnis von Frage und Kritik im geisteswissenschaftlichen Arbeiten auf die Spur zu kommen suchen. Wenn sich aus der Konstellation der hier vereinigten Perspektiven eine höhere Aufmerksamkeit dafür einstellt, dass geisteswissenschaftliche Arbeit an den Möglichkeiten der Kritik nicht ohne grundsätzliche (methodische) Reflexion über den Status des Fragens zu haben ist, dann hat der Beitrag seinen Sinn bereits erfüllt. Um jedoch zu markieren, wo unter den verschiedenen Beiträgen Zusammenhänge hergestellt werden können, wurden an verschiedenen Stellen der einzelnen Texte Querverweise eingefügt, sodass neben einer linearen Lektüre auch die Möglichkeit gegeben ist, hinsichtlich spezieller Schwerpunkte zwischen den Beiträgen zu springen, diese miteinander zu vergleichen, zu konfrontieren und zu diskutieren.

      Der Zirkel des Fragens (Kevin Drews)

      I.

      „Was denn? fragte ich neugierig. – ‚Wer denn? sollst du fragen.‘ Also sprach Dionysos und schwieg darauf, in der Art, welche ihm zu eigen ist, nämlich versucherisch.“1 – Das Versucherische, das Friedrich Nietzsche in diesem Fragment aus dem Jahre 1885 dem Schweigen des Dionysos anschreibt, resultiert aus einer folgenreichen Verschiebung des Fragemodus. Die Substanz-Frage Was ist …? wird ersetzt durch die Perspektiv-Frage Wer …?, die sich auf denjenigen ausrichtet, der spricht und die Frage stellt (→ Einleitung). Provokativ ist das Versucherische zudem, weil es in der Schwebe lässt, ob es sich in der Verschiebung um eine gefährliche Versuchung als Verführung oder um einen aussichtsreichen Versuch als Experiment eines anderen Fragens handelt. Zwischen Schweigen und Sprechen, Passivität und Aktivität, Reaktion und Aktion wirft die Verschiebung den Fragenden in die Frage zurück, betrifft ihn unmittelbar und macht so die Reflexion des Ortes und der Perspektive des Fragenden zum dringlichen Problem. Der französische Philosoph Gilles Deleuze hat in seinem Buch über Nietzsche darauf aufmerksam gemacht, dass sich diese Verschiebung bei Nietzsche auf das „Perspektivische[…]“2 des Fragens aus der Einsicht ergibt, dass die Substanz-Frage „eine spezifische Art des Denkens voraussetzt3, die weder die mannigfaltigen Elemente zu berücksichtigen vermag, die als Erscheinungen nicht unter einem Allgemeinbegriff subsumierbar sind, noch die konstitutive Frage, „von welchem Blickwinkel aus“4 gedacht, gefragt, gesprochen wird, einbezieht. Die Urszene

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