Kritisches Denken. Группа авторов

Чтение книги онлайн.

Читать онлайн книгу Kritisches Denken - Группа авторов страница 8

Kritisches Denken - Группа авторов Herausforderungen für die Geisteswissenschaften - Challenges for the Humanities

Скачать книгу

wider sich, und können auf unverstellte Achtung nicht Anspruch machen, die die Vernunft nur demjenigen bewilligt, was ihre freie und öffentliche Prüfung hat aushalten können.2

      Die historische Zäsur, die sich hier in Immanuel Kants Vorrede als Unterscheidung zwischen metaphysischem Dogmatismus und kritischer Aufklärung ankündigt, ist nicht die Beschreibung, Protokollierung eines notwendig geschichtsimmanenten Prozesses, sondern eine starke performative Setzung, die im Akt des Fragens selbst diesen historischen Prozess initiiert. Indem Kant eine historische Differenz zwischen der Vergangenheit und der eigenen Gegenwart markiert, ruft er zugleich eine spezifische Form der Kritik aus, nämlich die Aufklärung im Modus des kritischen Hinterfragens, die dabei allerdings, und das gilt es zu betonen, zuallererst die Frage nach dem Modus des Fragens selbst befragt: Michel Foucault hat darauf hingewiesen, dass das epochale Ereignis vor allem darin besteht, dass mit dieser Frage das Fragen selbst in der Geschichte als kritische Vollzugsform eines Denkens auftaucht, das uns bis heute als Aufgabe beschäftigt. Zu Kants Text „Was ist Aufklärung“ schreibt er:

      Ein Text zweiten Ranges, vielleicht. Doch, wie mir scheint, tritt mit ihm eine Frage diskret in die Geschichte des Denkens ein, die zu beantworten die moderne Philosophie nicht imstande war, von der sie sich aber auch nie frei zu machen vermochte.3

      Was hier mit der berühmten Frage nach der Aufklärung diskret in die Geschichte eintritt, ist, so Foucault weiter, die Frage nach der eigenen Gegenwart, der Aktualität, der „Reflexion über ‚heute‘ als Differenz in der Geschichte und als Beweggrund für eine eigenständige philosophische Aufgabe[…].“4 Joseph Vogl hat im Anschluss an Foucault nochmals nachdrücklich darauf hingewiesen, dass diese historische Differenzmarkierung entschieden „an die Frageform selbst geheftet“5 sei, dass mithin die Herausforderung der dem Text immanenten Bruchlogik „in der Festigung der Frageform selbst liegt.“6 Mit der Proklamation von Aufklärung als Frage wird demnach das Fragen selbst zum herausragenden Ort der Selbstverständigung. Das Fragen ist seitdem jene kritische Vollzugsform, die sich als unabschließbares (Selbst-)Befragen immer erneut als Problem aktualisiert. Die philosophische Frage, die bis heute „ihre eigene diskursive Aktualität problematisiert“7, betrifft nicht nur die Philosophie als eigenständige Disziplin, sondern ist gleichermaßen allen geisteswissenschaftlichen Disziplinen als Aufgabe gestellt. Diejenigen Fragen zu formulieren, worin die Geisteswissenschaft „zugleich ihre eigene Daseinsberechtigung und die Grundlage für das, was sie sagt, zu finden hat“8, bedeutet auch, die eigenen Selbstbeschreibungen und Darstellungsformeln dergestalt kritisch an die Bestimmungen ihrer Gehalte zu knüpfen, dass damit zugleich auch immer das Problem der Bestimmung ihrer gegenwärtigen (gesellschaftsrelevanten) Aufgabe bedacht ist. Damit kommt der Frage als modus operandi der Bedingungsmöglichkeit für das Ereignen gesellschaftlicher Wirkungseffekte ein Prozesscharakter zu, durch den das Fragen selbst unabgeschlossen bleibt und nicht in einer letztgültigen Antwort stillgestellt werden kann.9 Bezeichnenderweise hat Foucault diese Unabschließbarkeit auch für die Kritik betont, wenn er diese als ein „Projekt“ bezeichnet, „das sich unablässig formiert, sich fortsetzt und immer wieder von neuem ersteht […].“10.

      Frage und Kritik, darauf haben die bisherigen Ausführungen hindeuten wollen, stehen also seit Kant und der Koppelung des kritischen Projekts der Aufklärung an den historischen „Einfall der Frage selbst“11 in einem produktiven Wechselverhältnis. Bekanntlich hat dieses Wechselverhältnis bei Kant drei Fragedimensionen: 1. Anthropologisch: Auf dieser ersten Ebene betrifft das Fragen ganz allgemein (und überhistorisch) die menschliche Vernunft, denn diese wird, so Kant, „durch Fragen belästigt […], die sie nicht abweisen kann.“12 Hier ist das Fragen an die menschliche Konstitution als solche gebunden und gehört elementar zu unserem Dasein. 2. Historisch: Auf dieser Ebene betrifft das Fragen den bereits angezeigten historischen Einschnitt um 1800. Mit der Frage Was ist Aufklärung? wird das Fragen selbst zu einem spezifischen historischen Ereignis. 3. Metaphysisch/Erkenntnistheoretisch: Hier leitet das Fragen nach den Möglichkeiten und Grenzen der Erkenntnis – besonders durch die Frage „Wie sind synthetische Urteile a priori möglich?“13 – Kants großes kritisches Projekt ein. Gerade mit dieser letzten Fragerichtung nach den Bedingungen der Möglichkeit von Erkenntnis wird, so Foucault, allerdings im Anschluss an Kant im 19. und 20. Jahrhundert das Projekt der Aufklärung auf eine spezifische Form von Kritik verkürzt, sodass die politische Dimension der Aufklärung zugunsten eines Wahrheitsdiskurses und dessen „Konstituierungs- und Legitimationsbedingungen“14 eingeschränkt wird. Dann geht es nicht mehr um die kritische Reflexion der gesellschaftlichen Verhältnisse, sondern nur noch um die Immunisierung eines Denkens der Wahrheit gegenüber jeglicher gesellschaftlicher Implikation. Die Voraussetzung dieses Wahrheitsdiskurses liegt in einem substanzialisierten, a-historischen Bild der Wahrheit, das nur noch eine Frage zu formulieren vermag: „[W]elche falsche Idee hat sich die Erkenntnis von sich selbst gemacht […]?“15 Foucaults Gegenperspektive zu diesem Diskurs manifestiert sich in der Forderung nach einer kritischen „Ontologie der Gegenwart“16, die der historischen Verschränkung von Macht und Wissen Rechnung trägt.

      Vor dem Hintergrund der gegenwärtigen Situation an den Universitäten und speziell in den Geisteswissenschaften lässt sich sagen, dass die Gegenspielerin (und Verbündete?) dieses a-historischen Wahrheitsbildes heute wohl weniger eine kritische Hinterfragung der Gegenwart ist als die Einfassung der Wissenschaft in eine Zweck-Mittel-Logik und in ein Verwertungskalkül, das das Fragen nicht offen hält, sondern permanent seine Nützlichkeit zu berechnen versucht. Die nachfolgenden Beiträge erheben daher auch nicht den Anspruch, Foucault im Versuch einer kritischen Ontologie zu folgen, sondern wollen vielmehr bei der Fraglichkeit der Frage noch einen Moment innehalten und den Fokus auf die (inter-)disziplinären Wirkungseffekte legen, die sich möglicherweise mit einer kritischen Perspektive auf die geisteswissenschaftliche Praxis des Fragens ergeben. Dabei scheint jedoch eins zunächst unhinterfragt zu gelten: Sowohl das Fragen als auch die Kritik, meist sogar in ihrer Verknüpfung als kritisches Hinterfragen, scheinen an Universitäten nicht zu fehlen. Im Gegenteil: Niemand würde wohl bestreiten, dass Kritikfähigkeit (im doppelten Sinne) grundlegend als soft skill im Studium erworben werden soll, wenngleich kritisch angemerkt wird, dass gerade die Rahmenbedingungen dieses Studiums kaum mehr Raum dafür lassen. Doch welche Art kritischen Fragens wird überhaupt adressiert? Wer stellt die Fragen? Wer verfügt über das Fragen und die Zeit, die das Formulieren von Fragen benötigt? Und was bedeutet es für die Geisteswissenschaften, sowohl für ihre interne Selbstverständigung als auch für die Inszenierung nach außen, wenn die grundlegende Eigenschaft des geisteswissenschaftlichen Fragens in ihrer Offenheit und konstitutiven Unabgeschlossenheit liegt? Wie legitimiert es sich, wenn sie sich qua Selbstverständnis einer unmittelbaren Verwertung entzieht und sich gesellschaftliche Wirkungseffekte, wenn überhaupt nur äußerst vermittelt und unvorhergesehen einstellen? Diese Frage der Verwertung und Nützlichkeit, die allzu oft als Bedrängnis empfunden und nicht als solche kritisch benannt, sondern euphemistisch als Frage nach der Bedeutung abgelenkt wird, markiert genau die Einsatzstelle des notorischen und omnipräsenten Krisendiskurses in den Geisteswissenschaften.

      Den folgenreichsten Beitrag zur Frage der Geisteswissenschaft und letztlich auch zu ihrer Krise hat in den letzten Jahren Jacques Derrida mit seinem Bekenntnis zur unbedingten Universität geliefert. Derrida antwortet auf die neuen Herausforderungen der Geisteswissenschaften17 mit einem Bekenntnis zur „Verantwortung“18, die in der Ausübung der geisteswissenschaftlichen Praxis an den Universitäten liegt; mithin einer Verantwortung im Verhältnis von Wissen und Denken innerhalb eines Prozesses der Globalisierung, der Wissen selbst zu einer ökonomischen Ressource macht. Es lässt sich feststellen, dass das Plädoyer für eine unbedingte Universität im Anschluss an Derrida als Perspektive für die Geisteswissenschaften mittlerweile gleichwertig neben den unentwegt reproduzierten (Meta-)Diskursen über die Krise der Geisteswissenschaften steht. Der Diagnose eines scheinbar unauflösbaren Zusammenhangs von allgemeiner Verwertungslogik an den Universitäten und Bedeutungsverlust der Geisteswissenschaften widerspricht Derrida dabei mit einer Forderung: „Die Universität müßte also auch der Ort sein, an dem nichts außer Frage steht“.19 Diese immer wieder aufgerufene Forderung verspricht als Möglichkeit eines gesteigerten Selbstbewusstseins zwar zunächst einen potenziellen Bedeutungsgewinn

Скачать книгу