Kritisches Denken. Группа авторов

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Kritisches Denken - Группа авторов Herausforderungen für die Geisteswissenschaften - Challenges for the Humanities

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Substanz bzw. dem Wesen nachspürt, findet sich bei Platon. Im Menon befragt Sokrates einen jungen Sklaven nach seinem Verständnis der Geometrie. Was als Zwiegespräch zwischen Menon und Sokrates beginnt, wird sehr schnell zu einer fragenden Prüfungssituation, deren hierarchisches Verhältnis trotz der von Sokrates immer wieder betonten eigenen Unwissenheit offensichtlich wird. Dasjenige, was Aron Ronald Bodenheimer in seinem Buch über die Frage Warum? als die Obszönität des Fragens bezeichnet,6 als den entlarvenden Gestus im Nur-Fragen-Stellen, wird in der Abfrage des Sokrates dann ganz deutlich, wenn er selbst zugeben muss, dass er den Knaben in „Verlegenheit […] und zum Erstarren, wie der Krampfrochen“7 gebracht hat. Entscheidender an dieser Urszene für den Zusammenhang von Fragen und dem vorausgesetzten Bild des Denkens ist vielleicht aber noch die Tatsache, dass die Antwort, die Lösung des Rätsels immer schon gegeben ist. Die Frage zielt hier nicht ins Offene dessen, was fraglich ist, sondern findet in der Anamnesis, in der wiedererinnerten Antwort als immer schon gegebenes Wissen ihren vorausgesetzten Schlusspunkt. Wenn in den platonischen Dialogen Was-ist-Fragen gestellt werden und die Gesprächspartner nicht mit einer allgemeinen Definition aufwarten, sondern nur unterschiedliche Beispiele für das in der Frage Gesuchte geben (bspw. Was ist das Schöne?), dann liegt das nicht zwangsläufig nur daran, dass die Antworten unzureichend sind: „Wenn man gefragt wird ‚Was ist das Schöne?‘, ist es zweifellos einfältig, zu zitieren, was schön ist, aber es steht keineswegs zweifelsfrei fest, ob die Frage ‚Was ist das Schöne?‘ nicht vielleicht selbst auch einfältig ist. Keineswegs ist sicher, daß sie legitimierweise und gut gestellt ist […].“8 In Nietzsches metaphysikkritischer Arbeit Menschliches, Allzumenschliches, mit der er selbst eine Krise im Denken (und in der Darstellungsform) überwindet,9 spricht er bereits einige Jahre vor dem oben zitierten Fragment die Konsequenz aus, die sich für ihn aus der Verschiebung im Fragen ergibt:

      Mit einem bösen Lachen dreht er [der befreite, losgelöste Geist, K. D.] um, was er verhüllt, durch irgend eine Scham geschont findet: er versucht, wie diese Dinge aussehen, wenn man sie umkehrt. Es ist Willkür und Lust an der Willkür darin, wenn er vielleicht nun seine Gunst dem zuwendet, was bisher in schlechtem Rufe stand, – wenn er neugierig und versucherisch um das Verbotenste schleicht. Im Hintergrund seines Treibens und Schweifens – denn er ist unruhig und ziellos unterwegs wie in einer Wüste – steht das Fragezeichen einer immer gefährlicheren Neugierde. ‚Kann man nicht alle Werthe umdrehn?‘10

      Das Kraftzentrum der Wer-Frage liegt im konstitutiven Perspektivismus, durch den der Fragende selbst der Versuchsanordnung im Denken ausgesetzt wird: „Die Frage ‚Wer?‘ bedeutet nach Nietzsche: etwas sei gegeben, welch Kräfte bemächtigen sich seiner, wessen Willen ist es untertan? Wer drückt sich aus, manifestiert sich, ja verbirgt sich in ihm?“11 Im Folgenden soll jedoch nicht diese Philosophie des Willens im Mittelpunkt stehen, sondern der Fragerichtung nachgespürt werden, die Nietzsche hier zugleich versuchsweise und versucherisch verschoben hat, um den Ort des Fragenden zu reflektieren. Die Verschiebung der Substanz-Frage zur Perspektiv-Frage ersetzt nicht nur eine Frageform durch eine andere, sondern rückt mit der Frage nach der konstitutiven Einbeziehung des Fragenden in die Frage sogleich die Verschiebung des Fragens durch die je perspektivisch bewegbare Blick- und Fragerichtung selbst in den Mittelpunkt: Die Frage nach dem Wer …? zeitigt eine grundlegende Reflexion darüber, wie sich das Fragen verschiebt, wenn es vom Ort des Fragenden, von seiner Konstitution und seinen spezifischen Denkvoraussetzungen ausgeht. Ich möchte daher damit beginnen, anhand eines künstlerischen Objekts, einer Rauminstallation, die in der Universitätsbibliothek Erfurt hängt, den Blick auf die Mehrdeutigkeit (→ A. Renker), die Probleme, ja vielleicht die Paradoxien des Verhältnisses von Fragen und Fragendem zu werfen, indem ich ein paar Fragen an dieses Kunstwerk richte. Es geht darum, die einfache lineare Bewegung von der Frage zur Antwort etwas durcheinander zu bringen, um so dem eigentümlichen Status des Fragens als Vollzugsform kritischer geisteswissenschaftlicher Arbeit auf die Schliche zu kommen.

      II.

      Steigt man im Foyer der Universitätsbibliothek Erfurt die Treppen zur ersten Etage hinauf, erreicht man nicht nur die Bücherregale der geisteswissenschaftlichen Disziplinen, sondern wird eher nebenbei und beim Abschreiten der Regale mit einer interessanten Installation des Künstlers Dietrich Förster konfrontiert.1 Von der Decke im Treppenauge hängen 7x7 rot lackierte Aluminiumrohre, die als Würfel arrangiert sind und sich in immer freieren Bewegungen nach oben aus einer klar strukturierten Ordnung lösen. Der Künstler kommentiert diese Bewegung folgendermaßen: „Wissenschaftlicher Fortschritt ist nur möglich, wenn es gelingt, das Fundament aus gesetzmäßig erfassbarer Ordnung zu verlassen, um in einer Art kreativem Höhenflug in noch unbekanntes Terrain vorzustoßen.“2 Für sich genommen scheint die Installation zunächst für diesen Anspruch an wissenschaftliches Arbeiten, an kritische Hinterfragung festgefügter Ordnungsmuster einen sehr gelungenen Ausdruck gefunden zu haben. Ein elementares Werkzeug dieses kreativen Vorstoßens ist dabei sicherlich das kritische Fragen, die Formulierung von Fragen, die die disziplinären Ordnungen der Dinge lockern und andere Anordnungsweisen ermöglichen. Allerdings verkomplizieren sich die Dinge, wenn man das Kunstwerk in seinem architektonischen Milieu kontextualisiert. Eine Rauminstallation steht niemals für sich allein, sondern interagiert notwendigerweise mit dem sie umgebenden architektonischen Raum. Berücksichtigt man dies, so kann festgestellt werden, dass man den besten Blick auf das Kunstwerk hat, wenn man sich auf der geisteswissenschaftlichen Etage der Universitätsbibliothek befindet. Dann aber beginnt Försters Installation nicht mit der starren Ordnung, um anschließend in immer freiere Bewegungen versetzt zu werden, vielmehr steht man am Treppenaufgang zunächst vor der freien Bewegung der Aluminiumrohre, die sukzessive in eine immer klarere Ordnung münden. Das Abschreiten der Installation steht also im umgekehrten Verhältnis zur diskursiven Beschreibung der Intention. Nun könnte man etwas böswillig mit Michel Foucaults Überlegungen zu institutionellen Disziplinierungsmechanismen behaupten, dass diese Umkehrung eine treffendere Metapher evoziert: Im Laufe des Studiums, das hier zugleich als sukzessives Abschreiten der Bücherregale (und damit als fortwährendes Akkumulieren von Wissensbeständen, d.h. als Bildungsgang) und der Rauminstallation versinnbildlicht ist, entstehen aus freien Denkern, kritisch Fragenden im doppelten Sinne disziplinierte, akademische Subjekte, die sich allmählich in feste Gefüge disziplinärer Anordnungen, abgegrenzter Zuständigkeiten, unbeweglicher Fragepositionen und -richtungen einreihen. Auf diese Lesart, die eher zu einer klassischen Institutionenkritik tendiert, möchten die folgenden Überlegungen aber gar nicht hinaus. Viel interessanter scheint die Interaktion von Kunstwerk und Bibliothek, wenn sie auf den strittigen, uneindeutigen Status kritischen Fragens in den Geisteswissenschaften bezogen wird. Dann gerät mit dieser Interaktion das Fragen selbst in eine eigentümliche Zwischenposition, in eine Zone, in der zwischen Anfang und Ende (→ S. Ludwig), zwischen Frage und Antwort als Zweck-Mittel-Relation keine klaren Grenzen zu ziehen sind, wodurch letztlich die Frage des anderen Anfangens, d.h. der anderen Fragerichtungen, der Verschiebung von disziplinären Frageausrichtungen selbst zur Disposition steht. Diese Ununterscheidbarkeit, oder besser: die Zirkularität des Fragens zwischen Anfang und Ende, Vorwärts und Rückwärts, Aktion und Reaktion, Bewegung und Stillstand scheint mir für das Nachdenken über kritisches Fragen in den Geisteswissenschaften ganz entscheidend. Sie betrifft denjenigen, der die Fragen stellt, den Denkenden in seiner perspektivischen Relation zu den Gegenständen, seine Haltung inmitten disziplinärer Anordnungen. Die Bestimmung von Anfang und Ende des Kunstwerkes in der Universitätsbibliothek Erfurt wird dann uneindeutig, wenn sie mit dem Raum in Beziehung gesetzt wird. Als Reflexionsmedium entfaltet es seine Kraft, wenn man die Frage nach Anfang und Ende zunächst unbestimmt lässt und den Fokus auf die gegenläufigen Bewegungen inmitten der räumlichen Anordnung legt, die dann stets eine Frage der sich verschiebenden Perspektive wird.

      III.

      Zunächst ließe sich probeweise behaupten, dass die Frage nach der Frage auch oder vor allem in den Geisteswissenschaften in einer konstitutiven Zirkelstruktur befangen zu sein scheint. Auch in Jacques Derridas grundsätzlichen Überlegungen zu den Vollzugsformen kritischer Arbeit an der Universität bleibt die Frage nach der „Autorität der Frage, die Form des Denkens als Befragung“1, oder wie es in seinem Buch über Heidegger, den Geist und

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