Kubinke im Spinnennetz: Kriminalroman. Alfred Bekker
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Leider werde ich es mir nicht ansehen können, dachte er. Sobald hier der Teufel los war, musste er fort sein.
Besser früher als später.
2
Kommissar Jens Günther parkte seinen Wagen vor dem Polizeipräsidium.
Es war ein sehr kalter und sehr grauer Tag. Ein Tag, der von Anfang an aussah wie ein stockiges Leichentuch und auch keineswegs den Eindruck machte, als würde sich noch ändern. Herr Günther stellte den Wagen auf dem zu dem dreistöckigen Gebäude gehörenden Parkplatz ab und stieg aus. Günther war spät dran. Der Verkehr an der Baustelle auf der Autobahn nach Rostock hatte ihn aufgehalten.
Der Wind war ziemlich eisig. Es musste leicht gefroren haben, so kalt war es.
Günther machte einige zielstrebig wirkende weite Schritte und strebte schnell auf den Haupteingang zu. Das hiesige Präsidium war eher sparsam ausgestattet. Eine Handvoll Kollegen war hier tätig. Dazu kamen noch ein paar Innendienstler.
Günther war erst vor drei Monaten zu dieser Dienststelle abgeordnet worden. Eine Strafversetzung, so hatte er es empfunden.
Und da lag er wohl auch keineswegs falsch.
Aber, was hätte er machen sollen?
Ein Beamter war eben ein Beamter.
Ein >Untergebener<, wie man ihm bei seiner Vereidigung gesagt hatte.
Dieses Wort sagte eigentlich auch schon alles.
Jens Günther war ein >Untergebener<.
Ein Untergebener, der eine >Strafversetzung< eben hinzunehmen hatte.
Und sein ehemaliger Chef hatte das auch ganz offen als >Strafversetzung< bezeichnet. Günther hatte einen Kollegen gedeckt, der korrupt gewesen war. Ein Freundschaftsdienst, der Günther um ein Haar den Job gekostet hatte. Jetzt stand er unter Beobachtung.
Aber Günther war zuversichtlich, die öde Gegend im äußersten Nordosten von Deutschland irgendwann einmal wieder verlassen und nach Frankfurt zurückkehren zu können. Aber auf mindestens zwei Jahre würde er sich wohl noch einstellen müssen. Das hatte Norman Hoffmann, der Leiter seiner ehemaligen Dienststelle, ihm gegenüber schon durchblicken lassen.
Zwei Jahre.
Naja, es war nicht die Wüste.
Nur der Norden.
Aber diese Zeit würde Günther auch noch hinter sich bringen.
„Jens!”, hörte er eine Stimme.
Günther blieb stehen. Eine Frau mit dunklen, gut frisiertet Haaren waren gerade aus ihrem Wagen gestiegen. Ihr Name war Teresa Matern. Sie war eine der Innendienstlerinnen, die hier tätig waren.
„Es tröstet mich, dass ich nicht der einzige bin, der heute zu spät zum Dienst kommt”, sagte Jens Günther.
Teresa Matern lächelte.
Es war ein verhaltenes, etwas müde wirkendes Lächeln.
„Die Verkehrssituation ist im Moment wirklich vollkommen untragbar.”
„Wem sagen Sie das!“
„Tja...“
„Und immer eine ausgesprochen gute Ausrede!”
„Ich habe Sie gestern nicht mehr angetroffen. Es geht um die Beweismittel Fall Albrecht Kranich.”
„Meinen Sie diese hässlichen Jade-Buddhas, die wir beschlagnahmt haben?”
„Genau. Diese hässlichen Buddhas dürften im Übrigen ein Vermögen wert sein.“
„So?“
„Hätten Sie auch nicht gedacht, oder?“
„So hässlich, wie die aussahen...“
„Man nennt sowas Kunst.“
„Okay...“
„Und die ist in der Regel wertvoll.“
„Tja...“
„Allein schon der Materialwert ist immens.“
„Hm.“
„Nicht umsonst sind die Gewinnspannen beim Handel mit illegalen Kunstgegenständen inzwischen höher als beim Heroin. Wenn so was in den Räumen unseres kleinen Polizeibüros über längere Zeit gelagert wird ...”
„Ich kann Sie beruhigen. Die Buddhas sind wahrscheinlich schon unterwegs nach Berlin. Ich hatte eine entsprechende Nachricht auf dem Smartphone.”
„Wieso Berlin?”
„Weil dort ein Spezialist lebt, der beurteilen kann, wieviel die Dinger wirklich wert sind.”
Teresa Matern atmete tief durch.
„Scheint, als müsste ich mich nicht mehr um die Inventarisierung kümmern.”
In diesem Moment barsten Scheiben. Glasstücke schnellten wie Geschosse durch die Luft. Eine Explosion ließ die der Straße zugewandte Front des Gebäudes förmlich auseinanderbersten. Günther reagierte instinktiv. Es war ein antrainierter Reflex, sich in so einer Situation zu Boden zu werfen. In diesem Fall riss er Teresa Matern mit sich.
Eine unerträglich heiße Druckwelle war zu spüren. Die walzte förmlich über ihn hinweg. Er lag auf dem blanken Asphalt des Parkplatzes und versuchte das Gesicht mit den Händen zu schützen.
Ein weiterer, geradezu ohrenbetäubender Knall war zu hören. Er war so ohrenbetäubend laut, dass Günther für einen Augenblick glaubte, für immer taub zu sein.
Für quälend lange Augenblicke hatte Günther das beklemmende Gefühl, durch die mörderische Hitze regelrecht versengt zu werden.
Als er dann wieder aufsah, bemerkte er Teresa Materns blutüberströmten Körper, nur wenige Meter von ihm entfernt. Sie lag in eigenartig verrenkter Haltung auf dem Asphalt und irgendetwas Scharfes musste sie getroffen haben. „Nein...“, flüsterte er. Glassplitter vielleicht oder Metallteile, die wie Geschosse durch die Luft geschleudert