Kubinke im Spinnennetz: Kriminalroman. Alfred Bekker
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„Wie kann man das so schnell ausschließen?”, konnte ich mir eine Nachfrage nicht verkneifen.
„Ausschließen ist zu viel gesagt”, erklärte Kriminaldirektor Hoch. „Aber erste Erkenntnisse über den verwendeten Sprengstoff und die Art der Zündung legen den Schluss nahe, dass dieser Fall mit einem anderen in Zusammenhang steht.”
„Meinen Sie die Proteste und darauffolgende Erstürmung des Regierungsgebäudes durch Anhänger dieser christlich-fundamentalistischen Sekte, die sich Königreich der letzten Tage nennt?”, fragte Rudi.
Kriminaldirektor Hoch war im ersten Moment überrascht. Er hob die Augenbrauen. „Sie haben ins Schwarze getroffen, Rudi. Wie sind Sie drauf gekommen?”
„Es gab keine anderen bedeutenden Operationen in letzter Zeit”, sagte Rudi. „Ich verfolge die Neuigkeiten, die in unserem Datenverbundsystem zu finden sind und weil sonst ziemlich selten irgendetwas Derartiges passiert, ist mir dieser Fall aufgefallen.”
„Normalerweise sind christlich-fundamentalistishe Sekten ja eher pazifistisch eingestellt”, erklärte Kriminaldirektor Hoch. „Bei dieser Gruppierung ist das offenbar anders. Es geht um einen oder mehrere Täter, die hochprofessionell arbeiten, aber möglicherweise noch weitere Anschläge plant.”
„Vielleicht weihst du mich bei Gelegenheit mal in diesen Fall ein”, meinte ich an Rudi gerichtet.
Von dem ,Königreich der letzten Tage‘ hatte ich natürlich auch schon gehört. Es handelte sich um eine christlich-fundamentalistische Sekte, die keinerlei staatliche Autoritäten akzeptierte, ähnlich wie die sogenannten Reichsbürger. Sie rechneten sehr bald mit der Wiederkunft Christi und dem Ende aller Tage. Königreich der letzten Tage - so nannten sie ihre Kirche. Oder besser gesagt: ihren Staat. Sie erkannten nämlich die Autorität Deutschlands oder eines Staates nicht an. Deswegen lebten sie meistens auf abgelegenen Anwesen und großen Bauernhöfen, die sie als exterritoriales Gelände betrachteten. Aus dem rechtsradikalen Milieu war so so etwas bekannt. Aus dem christlich-fundamentalistischen und esoterisch-apokalyptisch angehauchten Sekten-Milieu war es eine neue Erscheinung.
„Soweit ich weiß, ist der Umgang für staatliche Stellen nicht besonders leicht mit dieser Gruppe”, meinte Rudi.
„Das Königreich der letzten Tage verfügt über enorme Geldmittel, die nur zum Teil aus den überschriebenen Vermögen und Erbschaften ihrer Mitglieder stammen”, fuhr Kriminaldirektor Hoch fort. „Die Sekte finanziert sich sehr wahrscheinlich überwiegend durch ihre Beteiligung am Drogenhandel. Und genau deswegen wurde ihr Zentrum in Rostock vor einiger Zeit gestürmt. Es kam zu heftigen Schusswechseln sowie mehreren Toten und Verletzten auf beiden Seiten. Jetzt müssen sich die überlebenden Mitglieder deshalb vor einem Gericht verantworten.”
„Wollen vielleicht noch in Freiheit befindliche Mitglieder des Königreichs der letzten Tage die inhaftierten Sektenangehörigen durch Terroranschläge freipressen?”, fragte Rudi. „Viel Sinn macht so ein Vorgehen nicht.”
„Aus ihrer Sicht führt das Königreich der letzten Tage einen Krieg gegen die gottlos gewordene Bundesrepublik Deutschland”, erläuterte der Herr Hoch. Er aktivierte einen Großbildschirm. Wenig später erschien darauf ein BKA-Dossier. „Eine dieser Personen, die sich auch nach der Erstürmung der Sektenzentrale noch in Freiheit befinden, ist dieser Mann. Er heißt Christian Timmer, war Sprengstoffspezialist bei der Bundeswehr. Nach traumatischen Erlebnissen in Afghanistan konvertierte er zum glauben der Sekte. Er ist wegen verschiedener Vergehen aus der Bundeswehr entlassen worden. Später arbeitete er unter anderem wieder als Sprengstoffexperte im Bergbau. Ihm wird die Beteiligung an mehreren Anschlägen auf staatliche Einrichtungen zur Last gelegt. Außerdem starb ein Mann, der aus der Sekte aussteigen und mit den Behörden zusammenarbeiten wollte, kurz vorher durch eine Autobombe.”
„Die Kollegen denken, dass Christian Timmer den Krieg des Königreichs der letzten Tage im Alleingang fortsetzt?”, vermutete ich.
„Das ist keine Vermutung”, erklärte Kriminaldirektor Hoch. „Timmer hat das über das Internet offen angedroht. Und da bei den Anschlägen in Rostock, Lübeck und Neubrandenburg sowie in Potsdam ein Sprengstoff verwendet wurde, mit dem sich Timmer hervorragend durch seine bisherigen Tätigkeiten auskennt.“
„Ein verblendeter Hassverbrecher!”, meinte Rudi. „Dürfte nicht leicht sein, ihn zu fassen, zumal wenn er wenig Rücksicht auf seine eigene Sicherheit nimmt.”
„Abgesehen von seinem zweifellos vorhandenen Hass auf Deutschland gibt es allerdings noch ein sehr viel konkreteres Motiv im Hinblick auf den Anschlag in Rostock”, sagte Kriminaldirektor Hoch. „In der dortigen Behörde lagerten nämlich die bei der Erstürmung der Sektenzentrale gesicherten Beweismittel. Darunter ein Waffenarsenal, um das manche Polizeibehörde das Königreich der letzten Tage beneiden würde. Damit nicht genug: Einige dieser Waffen wurden in der Vergangenheit bereits für Verbrechen verwendet. Dabei geht es insbesondere um die bisher nie aufgeklärten Morde an mehreren Drogenkurieren sowie an ehemaligen Mitgliedern des Königreichs der letzten Tage, die von der Sektengemeinschaft als vogelfreie Abtrünnige gesehen wurden.”
„Das heißt, einige der inhaftierten Sektenmitglieder können jetzt aufatmen, weil bei dem Anschlag in Rostock wichtige Beweismittel vernichtet wurden?”, fasste ich zusammen.
„Genau das, so vermuten die Kollegen, könnte das Motiv sein. Ich habe heute Morgen bereits ausführlich mit dem Kollegen Norman Hoffmann in Schwerin gesprochen. Die Staatsanwaltschaft von Rostock hatte gehofft, einige bislang unaufgeklärte Morde an abtrünnigen Sektenmitgliedern jetzt endlich aufklären zu können. Erst ein Teil der Waffen ist ballistisch überprüft worden. Diese Ergebnisse wird man natürlich bei Gericht verwerten können. Bei den anderen wird es jetzt schwieriger - je nachdem, was von den Beweismitteln noch übrig geblieben ist. Und selbst wenn das der Fall sein sollte, so werden die meisten Waffen nach dieser Explosion erstens wohl kaum noch in einem Zustand sein, in dem man ballistische Tests durchführen kann, die den allgemein üblichen Standards auch nur ansatzweise entsprechen.”
„Gut, ich nehme an, dass wir die relevanten Dossiers bereits in unseren Mailfächern finden”, meinte ich.
„So ist es. Sie beide fahren unverzüglich nach Rostock.” Kriminaldirektor Hoch sah auf die Uhr. „Sie sollten bald aufbrechen. Dorothea hat bereits alles vorbereitet.”
6
Ungefähr zwei Stunden dauerte der Flug von Berlin nach Rostock. Natürlich nutzten wir die Zeit, um uns schon mal einigermaßen in die Materie einzuarbeiten. Rudi hatte das Laptop auf den Knien und sah sich die einschlägigen Dossiers an, die insbesondere zu dem Einsatz des BKA gegen die Zentrale des Königreichs der letzten Tage vorlagen.
„Ich frage mich, wie es sein kann, dass man diesen Schlag zu einem Zeitpunkt geführt hat, als eine der maßgeblichen