106. Ausgabe der allmende – Zeitschrift für Literatur. Группа авторов

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wollen nicht daran erinnert werden, wir wollen lachen, wir wollen Romanzen.

      E: Natürlich gab es auch »Draußen vor der Tür«.

      B: Aber das waren zwei voneinander getrennte Welten.

      P: Ich glaube, da spielt so viel rein, dass ich eine Prognose irrsinnig schwierig finde.

      E: Ich würde aber nicht sagen, dass es sein wird wie nach dem Zweiten Weltkrieg, sondern dass wir vielleicht wieder ein anderes Publikum erreichen können, mit dem Zweiten Weltkrieg kann man das natürlich nicht vergleichen. Es ist ja etwas völlig anderes, ob du ausgehungert in einer kaputten Stadt sitzt oder in einem Lockdown, in dem es in Wahrheit drei Vierteln der Bevölkerung immer noch ziemlich gut geht. Wenn man Leute sucht, denen es dreckig geht, dann schau nach Moria. Das ist eine Krise, eine der eigentlichen Krisen unserer Zeit, dass hier Leute behaupten, unser Land könnten nicht ein paar 100 Kinder aufnehmen.

      P: Wenn man das ganze Emotionale rausnimmt, finde ich es extrem interessant, zu sehen, was Leute als unzumutbar empfinden, nämlich sich in der U-Bahn eine Maske aufzusetzen. Dass es ihnen aber völlig egal ist, wenn Flüchtlinge im Mittelmeer ertrinken oder im Gatsch versinken in Moria. Das ist so interessant, wie unterschiedlich Maßstäbe angelegt werden, sobald es dich selbst betrifft.

      B: Ganz klassisch, wie am Anfang, es gibt kein Klopapier mehr, es gibt keine Pasta mehr oder nur noch bestimmte Sorten, die sonst nicht gekauft werden, und viele Menschen finden das unglaublich arg, was für den Großteil der Weltbevölkerung ganz normal ist oder sogar ein Luxusangebot wäre.

      E: Das meine ich ja: Wir leben nach wie vor in keiner echten Krise, es ist schon eine Krise, aber sie ist nicht vergleichbar mit Krisen, die wir in Wahrheit ganz woanders sehen. Aber die Frage ist letztendlich, ob das etwas machen wird mit der Literatur. Ich glaube sowieso, dass Literatur ein aussterbendes Ding ist.

      P: Ich glaube nicht, dass sie aussterben wird, ich glaube, es wird sich ausdünnen.

      E: Aussterben ist übertrieben, aber es wird dünner werden. Die Konkurrenz ist so attraktiv und so groß. Wenn ich da draußen 1000 Streamingdienste habe, die mir jeden Tag jeweils fünf neue Serien vor die Nase setzen, warum soll ich dann noch ein Buch lesen?

      K: Wobei wir da ja gerade in den nächsten zwei Jahren einen ziemlichen Startvorteil kriegen, weil die meisten nicht drehen konnten oder drehen können. Auf die Dauer wird das aber nichts ändern.

      E: In der Buchbranche gibt es ja dasselbe Problem. Es wird momentan so gut wie nichts mehr angeboten. Einerseits könnten die Verlage ein sehr gutes Jahr haben, aber gleichzeitig dünnen sie ihre Programme aus. Das heißt, die Konkurrenz wird zwar vielleicht momentan geringer durch die anderen Angebote, andererseits möchte man momentan auch kein Debütant sein. Das ist schon einmal ein Ausdünnungssymptom.

      P: Ich glaube aber, es liegt auch daran, dass sie die jetzt einfach zurückgestellt haben und gesagt haben: Nein, nicht jetzt! Weil ja das Frühjahrsprogramm sehr zurückgestaut hat. Ich glaube, dass es daran liegt und dass sich das dann wieder einpegeln wird.

      K: Ein bisschen Sorge macht mir das Gefühl, dass in der Buchbranche gerade ein Generationenwechsel passiert, mit einer gewissen Mutlosigkeit auf der Verlagsseite. Man merkt immer mehr, wie Verlage versuchen, immer alles richtig zu machen, auch auf der politischen Seite, also das ist zum Beispiel wirklich eine Sorge, die ich habe. Wenn ich beobachte, was Autoren und Autorinnen vorgeworfen wird bei einem falschen Satz.

      P: Ich glaube tatsächlich, dass wir in einer Art Umbruchszeit leben, weil sich die Gräben immer weiter aufmachen zwischen wohlhabend, nicht wohlhabend, gebildet, ungebildet, rechts und links. Ich glaube, dass das immer weiter auseinanderklafft und dass man jetzt merkt, dass Gespräche zwischen politisch unterschiedlich gepolten Menschen fast nicht mehr möglich sind. Wenn ich zum Beispiel zufällig mit FPÖ-Wählern an einem Tisch sitze, gehen bei mir, und das tut mir dann fast schon Leid, die Jalousien runter, weil ich mir dann denke, wenn man einigermaßen Hirn im Kopf hat, kann man das nicht, das geht nicht, die können mir auch keine Argumente bringen, die in mir Verständnis auslösen würden. Und umgekehrt wahrscheinlich auch. Ich glaube, das war vor 10 Jahren noch nicht so. Ich glaube, die Gräben gehen weiter auf und auch diese Verschwörungstheorien wären zwar vor zehn Jahren irgendwo auf fruchtbaren Boden gefallen, aber nicht so breit.

      E: Naja, 9/11 hat schon auch ziemlich viele herausgelockt, ich kann mich erinnern, was ich für Diskussionen hatte mit Leuten, die ich bis zu diesem Zeitpunkt für ziemlich vernünftig und gescheit hielt. Da sind wir wieder beim Parameter für eine Verschwörungstheorie. Wie das haarklein aufgezogen wird, diese Leute machen sich ja auch viel Mühe. Diese Gräben, die aufgehen, nehme ich jetzt schon auch wahr, aber ich erlebe dasselbe wie vor 30 Jahren beispielsweise bei Diskussionen um Haider. Den haben damals schon irgendwelche Verwandten gewählt und dann hat man einfach beschlossen, diese Diskussionen nicht zu führen. Das hat keinen Sinn, vor allem mit Leuten, mit denen du weiterhin Kontakt haben willst oder musst, weil es deine Verwandten sind. Dann sprichst du das einfach nicht mehr an.

      P: Früher gab es lauter politikmüde Menschen und jetzt lauter Leute, die extrem politisiert sind, viel mehr Leute, die eine politische Meinung haben.

      K: Ich glaube tatsächlich, dass es immer diese Fronten gab. Dass wir es nur wirklich verlernt haben, in der man nachher noch miteinander Mittagessen gehen konnte. Heute hat man eine Harmoniepädagogik. Auseinandersetzungen werden krampfhaft vermieden.

      P: Unter Freunden geht die Streitkultur noch, unter Fremden nicht mehr.

      B: Heute muss man als Medium unabhängig sein, ob das stimmt oder nicht, ist eine ganz andere Frage. Früher gab’s die »Arbeiterzeitung« und das konservative Pendant, dann war das vorbei. Jetzt ist man nur mehr abhängig von denen, die ökonomisch dahinterstehen und das Medium besitzen und damit Rendite erzielen wollen. Und jetzt kommt durch Social Media die Parteipresse auf eine ganz andere Weise wieder zurück.

      E: Das ist zwangsläufig wahrscheinlich ein neues Phänomen, da heute jeder mit jedem kommunizieren kann. Diese Anonymität gab es früher nicht. Die Frage ist jetzt: Wie weit diffundiert das eigentlich in die Realität hinein, dass man jetzt die Möglichkeit hat, relativ ungestraft medial jemanden anzugreifen. Das hat man früher nämlich auch getan, nur am Stammtisch oder am Dorfplatz. Nur halt nicht in der Breite. Ich bin nicht ganz sicher, ob es so etwas anderes ist als früher. Die Skalierung ist eine ganz andere, aber die Mechanismen sind eigentlich dieselben.

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      Die Wiener Autorin Vea Kaiser bittet regelmäßig Kolleginnen und Kollegen ins Ristorante Rossini, um aktuelle Probleme und Entwicklungen der Literaturwelt zu diskutieren. Das vorliegende Gespräch fand im Oktober 2020 statt und wurde für die allmende von Dorothea Sichrovsky verschriftlicht.

      B: Die ersten großen politischen Diskussionen meines Lebens hatte ich so mit 16, 17 unter Freunden. Die Frage auf dem Land, als die FPÖ groß wurde, war damals: Geht man zum Bundesheer oder nicht. Du bist ein Vaterlandsverräter, und wenn jemand deine Mutter oder Tochter vergewaltigen will, würdest du dann nicht mit der Waffe in der Hand … Das waren damals Diskussionen, die waren ernst, die waren unversöhnlich.

      E: Der Unterschied ist vielleicht, dass man in dieser medialen Diskussion fast alle Schranken fallen lässt. Was macht man dann mit Menschen im persönlichen Umfeld, die, wenn man sich die Bemerkungen wegdenkt, eigentlich ganz nett sind?

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