Geheilt statt behandelt. Prof. Dr. Harald Prof. Dr. Schmidt
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Was also bleibt, ist das magische Dreieck aus Ernährung (Zucker, rotes Fleisch, Alkohol), Körper (Bewegung, Kraft und Beweglichkeit) und Psyche (Schlaf und Stress). Und was ist zu tun? Ich denke, das, was beim Risikofaktor Rauchen nach jahrzehntelangem Kampf gegen die Lobby der Tabakindustrie auch möglich war.69 Das könnte bedeuten: den Zuckerkonsum gegen den Widerstand und Fehlinformationen durch die Zuckerindustrie massiv zu senken; den Konsum von rotem Fleisch (auch aus vielen anderen Gründen wie dem Tierwohl und dem Klimagas Methan70) massiv zu reduzieren; Bildung, Aufklärung und massives Coaching, um gesunde und frische Ernährung, körperliche Fitness, gesunden Schlaf und Stressvermeidung zu lehren. Das wäre nicht billig, aber erheblich billiger, als den Karren in den Dreck zu fahren und dann bei chronisch Kranken aufwendig bis zum Lebensende Symptome zu therapieren. Hinzu kommen hohe Steuern auf Zucker und Alkohol genauso wie auf Tabak sowie Aufklärung und die deutliche Kennzeichnung gesundheitsschädlicher Produkte und stark verarbeiteter Fertiglebensmittel. Die 2019 lediglich auf freiwilliger Basis eingeführte Lebensmittelampel ist nur ein Minischritt in diese Richtung, aber ein richtiger.
KAPITEL 5
MANN UND UNGEBILDET: DOPPELTES PECH
Der Check-up-Erfolg beim Hausarzt, der Check-up-Erfolg beim Zahnarzt, weniger Diabetes, gesündere Ernährung, geringerer Alkoholkonsum, mehr Bewegung, besserer Schlaf, weniger Stress, das alles korreliert, wie ich bereits erwähnt habe, mit besserer Bildung. Die Chancen auf ein langes Leben in Gesundheit werden stark durch Bildung beeinflusst1 und praktisch gar nicht von den jeweiligen Gesundheitssystemen. Mit am unterschiedlichsten in Bezug auf das Gesundheitssystem sind zum Beispiel die USA und Großbritannien. In den USA sind die Menschen bis 65 meist privat krankenversichert, oft durch den Arbeitgeber; in England ist der Gesundheitsdienst kostenlos und wird aus Steuermitteln finanziert. Wie sich in beiden Ländern Bildung auf die Gesundheit im Alter auswirkt, untersuchten zwei Studien: die britische „English Longitudinal Study of Ageing (ELSA)“2 und die US-amerikanische „Health and Retirement Study“3. Das Ergebnis: Die Unterschiede in beiden Gesundheitswesen wirken sich kaum auf die zu erwartenden Lebensjahre in Gesundheit aus. Anders ist dies bei Bildung.
Ungebildet = Minus 10
Menschen mit höherer Bildung haben in England eine bis zu sechs Jahre längere Lebenserwartung; in den USA sogar neun Jahre. Mit Bildung korreliert natürlich auch Einkommen. Die wohlhabendste Schicht der 50-Jährigen hat noch eine weitere Lebenserwartung ohne chronische Krankheiten von 31 Jahren; in der ärmsten Gruppe sind es nur 22 Jahre, also bis zu neun Jahre weniger. Als Begründung wird ein gesünderer Lebensstil vermutet. Die Möglichkeit eines leichteren Zugangs zu medizinischen Leistungen fällt in England als Begründung weg.
Diese Daten sind eins zu eins auf Deutschland übertragbar.4 Auch hier haben die oberen Einkommensklassen eine um mehrere Jahre höhere Lebenserwartung als die unteren, und zwar über alle Altersgruppen und Geschlechter hinweg. Männer mit niedriger Bildung und Einkommen sterben zehn Jahre, Frauen acht Jahre früher als gut gebildete Männer und Frauen. Betrachtet man nur die gesunde Lebenserwartung, das heißt die Lebensjahre, die in sehr gutem oder gutem allgemeinen Gesundheitszustand verbracht werden, macht der Unterschied zwischen der niedrigsten und höchsten Einkommensgruppe sogar 13 Jahre bei Frauen und 14 Jahre bei Männern aus. Und diese Erkenntnis ist keineswegs neu. Schon 1847 beschrieb der Armenarzt, Medizinalreformer und -statistiker Salomon Neumann den Kern des Problems so: „Wohlstand und Bildung drücken sich zählbar – und dies ist eine amtliche Tatsache – in den Gesetzen der Sterblichkeit aus.“5
Diese Abhängigkeit der Gesundheit und Lebenserwartung von der Bildung beginnt schon in der Kindheit. Ein höherer Bildungsgrad von Müttern beschert ihren Kindern ein längeres Leben.6 Hatte eine Mutter ab den 1940er-Jahren mindestens einen Realschulabschluss, haben ihre erwachsenen Kinder ab 65 Jahren eine im Durchschnitt zwei Jahre höhere Lebenserwartung als Kinder, deren Mütter damals höchstens einen Volksschulabschluss hatten. Besser gebildete Mütter achten wahrscheinlich auf eine gesündere Lebensweise ihrer Kinder, was eine ausgewogene Ernährung, Rauchverhalten, Alkoholkonsum und Bewegung betrifft.
Mann = Minus 5
Neben Bildung ist auch allein das Geschlecht ein Risikofaktor. Die Gesundheit und Lebenserwartung von Jungen und Männern ist wesentlich schlechter als bei Mädchen und Frauen.7 Diese geschlechtsspezifische Ungleichheit hat sich jedoch in der Gesundheitspolitik kaum niedergeschlagen und wird, auch von sogenannten Gender-Wissenschaftlern, fast als gegeben bis hin zu selbstverschuldet (riskantes Verhalten) akzeptiert. Die Global Burden of Disease Study 2010 zur globalen Krankheitslast zeigte, dass Frauen im Zeitraum von 1970 bis 2010 eine längere Lebenserwartung hatten als Männer. In diesem Zeitraum stieg die Lebenserwartung von Frauen bei der Geburt von 61,2 auf 73,3 Jahre, während die der Männer von 56,4 auf 67,5 Jahre stieg.8 Diese Zahlen zeigen, dass sich die Kluft in der Lebenserwartung zum Nachteil der Männer von 4,8 auf 5,8 Lebensjahre vergrößert hat. Osteuropa zeigt den größten Unterschied in der Lebenserwartung zwischen Männern und Frauen: 11,6 Jahre.9
Wie lässt sich diese Kluft zwischen den Geschlechtern erklären? In vielen Gesellschaften genießen Männer im Allgemeinen mehr Möglichkeiten, Privilegien und Macht als Frauen, doch diese vermeintlichen Vorteile führen nicht zu besserer Gesundheit. Als Erklärungen werden angeführt:
•Gefährlichere Berufe: ein höheres Maß an beruflicher Exposition gegenüber physischen und chemischen Gefahren. Im Jahr 2010 starben fast achtmal mehr Männer aus berufsbedingten Gründen als Frauen. In Europa ereignen sich 95 Prozent der tödlichen Unfälle und 76 Prozent der nicht tödlichen Unfälle am Arbeitsplatz bei Männern.10 In Berufen mit dem höchsten Risiko tödlicher Arbeitsunfälle – wie im Bergbau, in Landwirtschaft und Fischerei, beim Militär, bei der Brandbekämpfung und bei der Arbeit auf Baustellen – sind weit mehr Männer als Frauen beschäftigt11 mit wenig Bestreben nach der Einführung einer „Frauenquote“.
•Weniger Vorsorge/Früherkennung: Bei allen angebotenen Früherkennungsuntersuchungen wie dem allgemeinen Checkup ab 35 Jahren oder dem Hautkrebs-Screening sowie den Untersuchungen auf Darmkrebs durch eine Stuhlprobe oder eine Darmspiegelung haben die Frauen die Nase vorn. Regelmäßig zum Urologen geht nur jeder fünfte Mann ab 45 Jahren. Als Gründe geben Männer auf Platz 1 Zeitmangel an, gefolgt von Angst vor einer schlechten Diagnose und Respekt vor der Prostatauntersuchung mit dem Finger. Viele Männer betreiben eine Art Vogel-Strauß-Taktik: Kopf in den Sand stecken und nichts sehen und hören wollen. Erst wenn etwas kaputt ist, lässt man es reparieren. Also eher Reparaturmedizin als Vorsorgemedizin. Männer sterben infolgedessen häufiger und in jüngerem Alter an Herzkrankheiten. Ein Grund könnte der niedrigere Östrogenspiegel sein, aber auch schlecht behandelter Bluthochdruck oder hohe Cholesterinwerte. Zusätzlich und ganz im Unterschied zum Klischee der „Männergrippe“ suchen Männer, wenn sie krank sind, seltener einen Arzt auf; und wenn sie einen Arzt aufsuchen, berichten sie weniger häufig über die Symptome der Krankheit. Frauen nutzen häufiger als Männer Gesundheits-Check-ups; obwohl diese Ungleichheit möglicherweise durch die Verpflichtung zum Arztbesuch zur Verschreibung von Antibabypillen verursacht ist12, trifft dies aber auch für zahnärztliche Check-ups zu.13
•Ungesunde Ernährung/Alkohol: Laut der Nationalen Verzehrstudie II des Bundesministeriums für Ernährung und Landwirtschaft essen Männer im Vergleich zu Frauen mehr Fleisch und Wurstwaren, Fisch, Milch(-produkte) und Käse, Süßwaren und zuckerhaltige