Ein ernstes Leben. Heinrich Mann

Чтение книги онлайн.

Читать онлайн книгу Ein ernstes Leben - Heinrich Mann страница 5

Автор:
Серия:
Издательство:
Ein ernstes Leben - Heinrich Mann

Скачать книгу

wünschte nachzuhelfen. »Herr G.P. Tietgen wohnt im andern Zimmer«, erklärte sie.

      Hierauf machte die neunjährige Vicki ein Gesicht, wahrhaftig, als wäre sie auf eine Padde getreten. Marie erschrak, weil G.P. Tietgen so furchtbar eklig war. Kurt seinerseits stieß ein kurzes Gelächter aus. »Wir danken für die Einladung«, – auf einmal war er artig wie ein Herr.

      »Kommt ihr?«

      »Wir können leider keinen Gebrauch machen. An uns liegt es nicht.«

      »Unsere Eltern haben es verboten«, ergänzte seine Schwester. »Sie sind noch 1880.«

      Unvermittelt nahm Vicki eine andere Gestalt an, streckte das Hinterteil heraus, wölbte die Brust, so sehr sie konnte, und wippte beim Gehen. Marie erkannte dennoch nicht sogleich, wer gemeint war.

      »Das spielen wir mal!« rief Kurt fröhlich. Er streckte den Bauch vor und blies die Backen auf. Seine Schwester äußerte erhaben:

      »Ich will Esel reiten.«

      »Ich bezahle alles, hier ist der Esel!« Damit gab der Junge der nichts ahnenden Marie einen Stoß, daß sie umfiel. Schon wollte das Mädchen den Rücken Maries besteigen, da begriff Marie endlich, was gespielt wurde. Sie sprang auf, und während Viktoria Meier sich noch im Sande wälzte, ging sie einfach fort. Zuerst ging sie, dann lief sie. Ihre Absicht war, nie wiederzukommen.

      Hieraus wurde nichts, denn ihre Schwester Annie machte ihr kein Zeichen, weder heute noch morgen noch den nächsten Tag. Auf der Promenade wagte Marie in ihrem armen Kleid sie nicht anzusprechen, sonst hätte Antje ihr sicher geholfen. Daher ging Marie wieder in die Villa zu Meiers, als ob nichts geschehen wäre. Frau Meier war enttäuscht von Marie, wie sie sich ausdrückte. Sie hielt ihr vor, daß sie ihre Kleine umgeworfen habe und vom Spiel fortgelaufen sei. »Hier sind genug andere Mädchen, die gern an deiner Stelle wären. Deine Mutter wird in Kenntnis gesetzt werden.«

      Dies geschah auch, und Mutter Elisabeth empfing ihre Tochter nicht nur mit Zorn, das hätte Marie ertragen, sondern auch kummervoll, daher mußte sie weinen.

      »Endlich nützt du uns mal was, und wenn sie dich nun wegschicken? Zu den Leuten gehen sogar die Fischerfrauen und erzählen ihnen, sie sollten lieber ihre Töchter nehmen und nicht unsere, weil wir hier die Untersten sind.«

      Als Marie dies hörte, weinte sie. »Blarrmarie!« riefen ihre kleinen Geschwister.

      »Das schöne Geld!« stöhnte ihre Mutter.

      Marie hatte eine Eingebung. »Von Antje krieg ich viel mehr!« verkündete sie. Da wurde es still im Katen.

      »Ist das auch wahr?« fragte die Mutter schließlich. Marie riß die Augen auf und sah sie starr an.

      »Antje hat mich eingeladen. Sie will mich in ihre Zucht nehmen, sagte sie.«

      Mutter Lehning überlegte. Vater Lehning äußerte sich dahin, daß es mit den beiden Badegästen ohnehin gleich aus sein werde wegen des Endes der Schulferien. Darauf knurrte die Mutter nur noch.

      Marie wartete weiter, daß Antje ihr ein Zeichen gäbe. Inzwischen verschwanden vom Strande alle größeren Kinder, und auch Meiers reisten. Marie erfuhr davon erst, als sie in die Villa kam, um die Geschwister abzuholen. Sie rannte nach dem Bahnhof. Die Familie stand umringt von anderen Herrschaften, diese noch in Strandkleidern. Frau Meier und Vicki waren beladen mit Blumen. Marie, im Abstand von allen, ersehnte ihren Augenblick. In sich fühlte sie einen ungeahnten Antrieb, den beiden Geschwistern um den Hals zu fallen. Nicht nur die Hand geben! Sie wußten doch, wie schön das alles gewesen war, wie schön, wie schön!

      Sah denn niemand sie? Richtig, Kurt machte sich aus dem Kreise los, er näherte sich Marie.

      »Na, Wiedersehen!« Er schnitt eine Fratze. »Wenn ich noch mal in dies Kaff komme.«

      Plötzlich gab er Marie einen Kuß. »Hübsch bist du«, erklärte er. »Weine nicht schon wieder! Wer weint denn noch? Soll ich dir etwas raten? Übe dich, wie man ein Bein stellt!«

      Er wurde gerufen, die Familie stieg ein, die Tür fiel zu. Im Augenblick der Abfahrt winkten Frau Meier und die Geschwister allen zu. Marie winkte zurück, im Eifer lief sie, ihr Tuch schwingend, dem Zuge nach. Vicki und Kurt lachten. Wie auf Verabredung streckten beide ihr die Zunge heraus. Marie hielt an im Lauf. Bevor sie selbst es wußte, zeigte auch sie ihnen die Zunge.

      Das Zeichen von Köhns Balkon herunter blieb noch immer aus. Aber Antje, die jetzt in zahlreicher Gesellschaft badete, rief eines Tages laut schallend ihre Schwester herbei. Marie hatte nur eine Badehose an, es war ihr nicht gleich anzusehen, daß sie zu den Ärmsten gehörte. Aber Antje verkündete es laut.

      »Meine Schwester – was sagt ihr? Die ist bis jetzt noch in dem Katen, wo ich auch her bin. Aber die bleibt ebensowenig drin, dafür ist gesorgt. Seht euch die Beine an! Na? Die werden wie meine berühmten Beine. Das Lehningsche Gesicht hat sie auch, schöne Zähne, wie? Die bringen Glück.«

      Sie watete schon, den Herren voran, in die See, da fiel ihr endlich ein, was sie versprochen hatte.

      »Du wolltest mich doch besuchen, Marie!« rief sie zurück. »Komm heute zum Kaffee! G.P. Tietgen tut dir nichts.«

      Weil alle es gehört hatten, konnte G.P. Tietgen nicht viel machen, sondern er lachte. An demselben Nachmittag ging Marie in Köhns Hotel.

      Der Portier ließ sie ohne weiteres durch, sie hätte es nicht für so einfach gehalten. Ihre Schwester lag auf dem Sofa und spielte mit einer großen Puppe.

      »Schmeiß mal die Tür zu!« verlangte sie. G. P. Tietgen soll es nur hören. Er hat Geschichten gemacht euretwegen, und weil ich ihn hierher verschleppt habe. Manchmal ist es nicht auszuhalten.«

      Marie verlor kein Wort aller dieser Offenbarungen und Rätsel.

      »Nimm dir Kaffee! Oder nein, du willst natürlich Schokolade. Bestellen wir auch noch. Du kannst alles haben, bei mir ist es gut und reichlich. Dabei pfeif ich auf das Ganze. Was meinst du, soll ich wieder hierbleiben? Du siehst doch so vernünftig aus, rede mal!«

      Marie atmete kaum, viel weniger sprach sie.

      »Ich habe unsere Schwester Frieda gesehen«, sagte Antje. »Sie mich auch. Aber viel Zeit hatte sie für mich nicht übrig in ihrem Schlächterladen. Sie fährt nach Lübeck und kauft Konserven ein für ihren Chef, das kann man eine Vertrauensstellung nennen. Außerdem ist sie richtig verlobt und sogar mit einem Kaufmann! G.P. Tietgen ist auch Kaufmann.«

      Marie hörte nichts mehr. Antje hatte auf ihrem Sofakissen das Gesicht der Wand zugekehrt. Als sie wieder anfing, klagte sie wie ein Kind.

      »Unsere Schwester Frieda macht den Lehnings Ehre. Der wird Mama nicht solche Sachen an den Kopf werfen wie neulich mir. Mit ihrem Mann wird sie ein kleines Geschäft aufmachen, zuerst noch ganz klein. Alle werden sie hochachten. Niemand wird ihr zumuten, daß sie die Familie unterhält, und ihr mit Brodten und dem Armenhaus drohen.«

      Marie ertrug die klagende Stimme nicht länger, sie brach in heftiges Weinen aus. Auch Antje vergoß Tränen, sie schluchzte in das seidene Kostüm der großen Puppe hinein. Schließlich setzte sie sich auf und sah Marie an, – sie hatte ein anderes Gesicht als sonst, oder wollte doch ein anderes haben, Marie erkannte die Anstrengung.

      »Soll ich dir etwas raten, Marie? Bleibe lieber

Скачать книгу