Vernehmungen. Heiko Artkämper
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8 | (Zeugen-)Aussagen sind zwar das häufigste, aber zugleich auch das unzuverlässigste Beweismittel im Strafverfahren; ihr Zustandekommen und ihre Leistungsgrenzen muss der Vernehmende kennen und sich stets vor Augen halten. Dieser Unsicherheit muss daher – soweit wie möglich – mit einer ständigen Objektivierung der Aussage begegnet werden.4 |
1.1Menschliches Erinnern: Grundzüge von Wahrnehmung, Codierung, Speicherung und Wiedergabe
9Anders als bei einer Filmdokumentation, die authentisch den wahrnehmbaren, wirklichen Sachverhalt aufnimmt, abspeichert und später reproduziert, vollzieht sich menschliches Erinnern subtiler: Informationen müssen
–wahrgenommen,
–codiert,
–gespeichert und sodann
–wiedergeben werden.
10Jede dieser vier Phasen ist – wenn auch in unterschiedlichem Maße – fehleranfällig. Neben diese Fehlerquellen tritt das Phänomen der Lüge, einer bewusst falschen Wiedergabe vorhandener Informationen.
Begrifflich ist zwischen der Glaubwürdigkeit einer Person und der Glaubhaftigkeit einer Aussage zu differenzieren.5
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11 | Der Vernehmende muss sich stets vor Augen halten, dass Fehler im Sinne von Irrtümern –bei der Wahrnehmung, –bei der Codierung, –bei der Speicherung, –bei der Wiedergabe auftreten können. Er muss zudem die Möglichkeit einer Lüge einkalkulieren. |
1.1.1Fehlerquellen bei der Wahrnehmung
12Bei der Wahrnehmung bedarf es zunächst eines Auslöseanreizes, der überhaupt dazu führt, dass (irgend-)etwas wahrgenommen wird. Hier sind zunächst insbesondere die biologischen Möglichkeiten unserer Sinnesorgane zu berücksichtigen, die einer Wahrnehmungsmöglichkeit natürliche Grenzen setzen. Hierzu zählen neben sensorischen, physikalischen und sozialen Wahrnehmungsbedingungen insbesondere die Wahrnehmungsdauer, die vorhandene Aufmerksamkeit und der Wahrnehmungskontext.6
Beispiel:
13Wird ein Zeuge mit einer Waffe bedroht oder gar angegriffen, fokussiert sich seine Wahrnehmung auf die (Mündung der) Waffe. Er wird selten in der Lage sein, eine brauchbare Personenbeschreibung abzugeben oder ein vernünftiges Phantombild erstellen zu lassen.
Aber selbst eine taugliche Beschreibung der Waffe (Pistole/Revolver/Farbe/Lauflänge) wird häufig nicht möglich sein, da sich die Wahrnehmung auf das abstrakte Bedrohungspotenzial verengt hat.
14Darüber hinaus ist die Wahrnehmung bzw. sind die etwa 60 %, die wir von einem tatsächlichen Geschehen aufnehmen, höchst individuell und selektiv.7 Auch wenn es schwerfällt, muss man sich vor Augen führen, dass niemand etwas wahrgenommen haben muss.
Beispiel:
15Ein Polizeibeamter, der zu einem Verstorbenen kommt, achtet auf völlig andere Dinge – Hinweise auf ein Fremdverschulden/Tatgeschehen/Opfer/Tatwerkzeug/Täter – als etwa die trauernden Hinterbliebenen oder der später eintreffende Bestatter.
16Bereits bei der Wahrnehmung wird die Information selektiert, interpretiert und nach gewissen Schemata aufgenommen. Der Leser sollte versuchen, sich auf den nachfolgenden Text einzulassen und ihn zu lesen:
Beispiel:
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18Entscheidend für die flüssige Aufnahme der Information ist nur, dass sämtliche Buchstaben eines Wortes vorhanden sind und der erste und der letzte Buchstabe „stimmen“; den Rest macht das Gehirn selbst. Bei einer Einteilung beispielsweise in Buchstabengruppen funktioniert dies selbst dann kaum, wenn „an sich“ eine korrekte Rechtschreibung verwendet wird:
Beispiel:
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20Die Information wird aufgenommen, sofern die Buchstaben eines Wortes vollständig vorhanden und zutreffend gruppiert sind und der erste und der letzte Buchstabe an der richtigen Stelle stehen; den Rest (er)schafft unser Gehirn. Die Interpretation, die hier deutlich wird, ist eine Leistung des Gehirns und nicht steuerbar. Informationsaufnahme und Interpretation gehen daher unbewusst Hand in Hand.
1.1.2Fehlerquellen bei der Codierung
21Eine weitere Fehlerquelle kann in einer nicht stattfindenden Codierung liegen: Gemeint sind damit Sachverhalte, in denen ein bestimmtes Geschehen zwar wahrgenommen, dann aber nicht im Gehirn codiert wurde, also keine entsprechende Repräsentation dort erhält;8 völlig emotionslose (subjektiv belanglose) Wahrnehmungen werden zwar gemacht, dann aber schlagartig verdrängt, bevor sie überhaupt dem Gedächtnis zugänglich werden.
22Ähnliche Phänomene wie bei der Wahrnehmung spielen sich im Rahmen der Speicherung wahrgenommener Informationen ab, was bekannt sein muss, um anscheinend zu erwartendes Wissen – und dessen Nichtvorhandensein – würdigen zu können.
Beispiele:
23Die Frage, ob vor der Urlaubsreise die Kaffeemaschine abgestellt, die Haustür verschlossen oder eine Kerze ausgeblasen worden ist, führt regelmäßig zu Irritationen – und in manchen Fällen zu einer Rückkehr nach Hause, um dann festzustellen, dass alles in Ordnung ist.
Gleiches gilt für