Vernehmungen. Heiko Artkämper

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Vernehmungen - Heiko Artkämper

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Verflechtungen und Individualität im Inhalt,

      –Erweiterungen und Konstanz bei Wiederholung und

      –Widerspruchsfreiheit, Nichtsteuerung und Gleichheit in der Struktur

      der Bekundungen.

      49Warnhinweise und Lügensignale sind demgegenüber

      –Verlegenheit, die sich in Zurückhaltung, der Sprache und/oder einer Unterwürfigkeit äußert,

      –Kargheit und Strukturbrüche als Zeichen fehlender Kompetenz und

      –Übertreibungen in Form von Dreistigkeiten, Bestimmtheit und nicht erforderlichen Begründungen.

       1.6Analyse einer Aussage

      50Bei der Beurteilung von Zeugenaussagen nehmen Lüge und Irrtum etwa einen identischen Raum ein; die Gründe für Irrtümer wurden bereits dargestellt. Im Folgenden geht es nun um die Enttarnung der Unwahrheit anhand signifikanter Merkmale.22

      51Die zuvor beschriebenen Unwägbarkeiten einer Aussage machen die Aussageanalyse zu einem wichtigen Teil der Überprüfung der Glaubhaftigkeit einer Aussage: Grundlegend hierfür sind die Feststellungen des BGH aus dem Jahr 1999, mit denen er die Voraussetzungen an brauchbare

      52Glaubhaftigkeitsgutachten – einer 14-jährigen Zeugin in einem Missbrauchsverfahren – allgemein festgelegt hat.23 Diese Darlegungen beanspruchen Allgemeingültigkeit und stellen insgesamt acht Qualitätskriterien für eine Inhalts- und Konstanzanalyse auf:

      –Detailreichtum der Aussage,

      –individuelle – ausgefallene – Besonderheiten,

      –raum-zeitliche Verknüpfung mit objektivierbaren Faktoren,

      –Konstanz in wesentlichen Teilen,

      –Homogenität der Aussage,

      –ungeordnete – aber psychologisch erklärbare – Beschreibungen,

      –spontane Erweiterungen,

      –Objektivität durch Beschreibung be- und entlastender Umstände.

       1.6.1Detailreichtum

      53Der Detailreichtum einer Schilderung stellt das erste inhaltliche Beurteilungskriterium dar: (Nur) Wer etwas auch tatsächlich erlebt hat, kann dies plastisch schildern und quasi wie einen Film für den Vernehmenden abspulen. Wird man in die Lage versetzt, anhand der Schilderung beobachtender Teil des Geschehenen zu werden, spricht viel für eine wahrheitsgetreue Schilderung.

      54Besondere Probleme treten hier allerdings dadurch auf, dass es auch Situationen gibt, in denen

      –etwas bereits tatsächlich Erlebtes in eine andere Lebenssituation projiziert wird,

      –etwas anderweitig Wahrgenommenes einem Transfer unterzogen wird. Eine allzu ausführliche Berichterstattung in den Medien, Darstellungen im Internet und die sogenannten Realityshows führen dazu, dass Unbeteiligte über scheinbares Insiderwissen, das detailreiche Schilderungen ermöglicht, verfügen.

      55Hier ist es die schwierige Aufgabe des Vernehmenden, einen derartigen Transfer zu erkennen; allerdings lehrt die Gedächtnispsychologie, dass eine solche Übertragung an den zu Vernehmenden hohe Anforderungen stellt und daher eher selten vorkommt.

       1.6.2Individuelle – ausgefallene – Besonderheiten

      56Schildert eine Aussageperson individuelle – ausgefallene – Besonderheiten in ihrer persönlichen Ausdrucksweise, spricht dieses weitere Inhaltskriterium für eine wahre und erlebte Begebenheit. Es erfolgt nicht etwa eine Schilderung aus einer Art Vogelperspektive, sondern eine emotionale und individuelle Wiedergabe, die Nebensächlichkeiten, Belangloses und Assoziiertes teilweise in den Mittelpunkt rückt; auch ein teilweise geschildertes eigenes Unverständnis stärkt die Individualität und damit die Glaubhaftigkeit der Aussage.

       1.6.3Raum-zeitliche Verknüpfung mit objektivierbaren Faktoren

      57Letztes inhaltliches Kriterium ist die raum-zeitliche Verknüpfung mit objektivierbaren Faktoren. Es stützt – was ohne weitere Erläuterung einleuchten dürfte – die Richtigkeit einer Aussage, wenn sich deren Inhalte in objektivierbare und beweisbare Ermittlungsergebnisse einfügen.

       1.6.4Konstanz in wesentlichen Teilen

      58Ein strukturelles Kriterium ist die Konstanz in wesentlichen Teilen; hier ist zu überprüfen, ob die Aussage inhaltlich, sprachlich und situativ gleich bleibt. Dies gilt insbesondere bezüglich einer gleichmäßigen Schilderung von relevantem und irrelevantem (Tat-)Geschehen und dem Fehlen innerer Widersprüche.

       1.6.5Homogenität

      59Sofern sich unterschiedliche Teile der Aussage decken und sich, zunächst scheinbar unwichtige, Details wie bei einem Puzzle zu einem stimmigen Gesamtbild zusammenfügen lassen, spricht auch dieses strukturelle Kriterium für eine wahre Aussage.

       1.6.6Ungeordnete – aber psychologisch erklärbare – Beschreibungen

      60Auch bei diesem Punkt wird die Struktur einer Aussage analysiert: Schildert eine Auskunftsperson ein scheinbar zusammenhangloses, zunächst unverständliches Detail, das sich später in das Ermittlungsergebnis einfügt, begründet dies keinen Zweifel an der Wahrheit.

      61Auch eine ungeordnete, nicht chronologische Wiedergabe ist hier ein Wahrheitskriterium, da der Lügner zu einer solchen Leistung – bleibt der Aussageinhalt konstant – nur selten in der Lage sein wird.

       1.6.7Spontane Erweiterungen

      62Der Lügner steht vor seinem Lügendilemma;24 der Ausweg für ihn besteht scheinbar darin, Widersprüche zu unterdrücken bzw. nicht aufkommen zu lassen, indem er sich beharrlich auf seine ursprüngliche Version beruft und von dieser nicht abrückt. Zu spontanen Erweiterungen und Ergänzungen dieser Angaben ist er nicht in der Lage und auch nicht darauf vorbereitet. Spontane Erweiterungen sind aus seiner Sicht gefährlich und werden daher unterlassen.

      63Positiv ausgedrückt sind daher Lückenauffüllungen, spontane Präzisierungen und Erweiterungen ein deutliches Indiz für eine wahrheitsgemäße Aussage.

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