Vernehmungen. Heiko Artkämper

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Vernehmungen - Heiko Artkämper

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wurden von Darnstädt im Jahre 2013 beerbt; sämtliche Werke sollten schon in der Kriminalistenausbildung als Pflichtlektüre verordnet werden. Selbstkritische Hinterfragung von Hypothesen und/oder Versionen kann niemals schaden. Eben diese Grundhaltung in Kenntnis möglicher Fehlentscheidungen erfordert einerseits eine besonders kritische Würdigung „fremder“ Ergebnisse; gemeint sind damit die Vielzahl kriminaltechnischer, psychiatrischer und psychologischer Gutachten, die in immer größerem Maße in den Verfahren eine Rolle spielen. Deren Entscheidungsrelevanz ist reziprok zu ihrem praktisch nicht vorhandenen Stellenwert im juristischen Studium, Referendariat und in der Kriminalistenausbildung; gleiches gilt andererseits für Vernehmungen.

      99Selbst wenn – was nicht überprüft werden konnte – sich in manchen Presseveröffentlichungen „journalistische Ungenauigkeiten“ eingeschlichen haben sollten, führen sie einen Kernbereich misslungener, fehlerhafter und rechtswidriger Vernehmungen mehr als deutlich vor Augen, in denen Vernehmungsbeamte, um eine geständige Einlassung als sicheres Beweismittel zu generieren, über die gesetzlichen Vorgaben und damit das Ziel des Strafverfahrens hinaus schießen.

       1.9.1Der Fall Jakob von Metzler

      100Die Entführung (und Ermordung) eines Frankfurter Bankiersohns durch einen Jurastudenten im Jahre 2002 endete Ende 2004 auch damit, dass der damalige Polizeivizepräsident sowie ein ermittelnder Polizeibeamter der Nötigung bzw. der Verleitung eines Untergebenen zu einer rechtswidrigen Tat im Amt – nämlich einer Nötigung – schuldig gesprochen und mit Strafvorbehalt verwarnt wurden. Hintergrund war der Umstand, dass der Vernehmende dem Beschuldigten weisungsgemäß die „Zufügung von Schmerzen“ für den Fall angekündigt hatte, dass er das Versteck des Entführungsopfers nicht preisgibt.58

      101Der Sachverhalt zeigt – neben anderen interessanten Rechtsfragen – die missliche Situation des Beamten auf, der das Leben eines Entführungsopfers retten will; dass hier die Grenzen strafrechtlicher Verbotstatbestände überschritten werden, ist unstreitig. Es bleibt im hiesigen Kontext die Frage nach einer Rechtfertigung und der (Un)Verwertbarkeit nachfolgender Angaben im Strafverfahren. Der aufgebaute Druck führte hier zu zutreffenden Angaben, die es ermöglichten, das Kind – leider tot – aufzufinden.

       1.9.2Falsche Geständnisse und der Bauer Rudi Rupp

      102Der Bauer Rudi Rupp verschwindet im Oktober 2001 spurlos nach einem Gaststättenbesuch; er hatte diese mit seinem Pkw aufgesucht, dort erheblich Alkohol konsumiert und war – mit gewissen Ausfallerscheinungen – von der Gaststätte fortgefahren. Die Vermisstenanzeige der Ehefrau führte zu keinem Erfolg – sowohl die Person als auch der Pkw blieben verschollen.

      103Knapp eineinhalb Jahre später wurde die Akte im normalen Geschäftsgang dem für Tötungsdelikte zuständigen Kriminalkommissariat vorgelegt, das – aufgrund gewisser Anhaltspunkte – die Ermittlungen zu einem Tötungsdelikt aufnahm, Telekommunikationsüberwachungsmaßnahmen und Durchsuchungsbeschlüsse gegen die Familienangehörigen anregte, die die Justiz beantragte und erließ und die dann vollstreckt wurden. Rudi Rupp war in seinem Heimatort wenig gut gelitten, streitsüchtig und ein Einzelgänger, der – so jedenfalls die Gerüchteküche – auch innerfamiliär Probleme hatte.59 Unvermittelt wurden später die Ehefrau, die beiden Töchter und der Freund einer Tochter früh morgens zur Polizei verbracht und als Zeugen vernommen. Die intellektuell eher schlicht strukturierten vier Personen – die Ehefrau hat einen IQ von 53 – wurden anhand von langer Hand vorbereiteter 30-seitiger Fragenkataloge durchgecheckt und kippten: Alle legten letztendlich Geständnisse ab und wurden mit den Angaben der anderen konfrontiert.

      104Selbst eine sich standhaft wehrende Tochter, die zunächst dabei geblieben war, dass ihr Vater in der Nacht nicht nach Hause zurückgekehrt war, war schließlich bereit, die wahre Geschichte zu erzählen … nachdem ihr (Pflicht-)Verteidiger den Vernehmungsort verlassen hatte.

      105Die Beschuldigten schilderten schließlich ein Tötungsdelikt und es erfolgte eine Rekonstruktion des Geschehens vor Ort.60 Auch das spurlose Verschwinden des Pkw wurde geklärt – Entsorgung über einen Schrotthändler in der Umgebung – und die Unauffindbarkeit der Leiche bzw. von Leichenteilen damit erklärt, dass eine Verfütterung an die Hunde und/oder Schweine erfolgt sei. Die Familie wird in der Folgezeit zu langjährigen Haftstrafen verurteilt.

      106Bei der Reparatur einer Staustufe der Donau in einem Nachbarort Anfang des Jahres 2009 taucht dann der Pkw des Mordopfers und auch dieses selbst wieder auf – nicht erschlagen, nicht geteilt und auch nicht verfüttert. Ein gewaltsamer Tod, der auch nur ansatzweise den Geständnissen der Verurteilten entspricht, ist jedenfalls auszuschließen. Die Wiederaufnahme der Verfahren führt dann später zu Freisprüchen.

      107Aber auch der umgekehrte Fall ist denkbar: Der Verurteilte hat kein Geständnis abgelegt. Ein Makel, den mancher Ermittler als Minuspunkt auf seine Fahnen schreiben würde. Dabei wurde insbesondere nach Anwendung des Reid-Vernehmungsmodells das Geständnis des Tatverdächtigen als „Krönung des Ermittlungsverfahrens“ proklamiert. Fälschlicherweise. Die Frage beginnt bei den Ermittlungen, setzt sich aber unerkannt massiv in den Verhandlungsphasen, im Urteil, in Einschätzungen von Richtern und Schöffen, im Strafvollzug und schließlich in der Reintegration so konsequent fort, dass ein kritisches Hinterfragen nicht nur erlaubt sein dürfte, wissenschaftlich sogar geboten erscheint.

       Beispiel:

      108Der Angeklagte steht im Verdacht, an mehreren Stellen in einem Wohnhaus Feuer gelegt zu haben. Der Verdacht ergibt sich aus der Motivlage, Anwesenheit zur Tatzeit am Tatort, und – bemerkenswerterweise – aus der psychischen Auffälligkeit des Angeklagten, ein „verstecktes“ Tourette-Syndrom, so die einschätzenden Psychologen (auch schon vor der Tat). Er wird nach einem Indizienprozess wegen versuchten Mordes zu zehn Jahren Freiheitsstrafe verurteilt. Ein Geständnis hat er nicht abgelegt, trotz mehrerer „Angebote“ des Vorsitzenden Richters, sich durch derartige selbstinitiierte „Vereinfachungen“ während des Prozesses eine mildere Strafe erarbeiten zu können.

      In der Haft muss er weitere psychologische Begutachtungen über sich ergehen lassen. In deren Rahmen wird zunächst jeweils die „Therapierbarkeit“ geprüft, die zumindest ein gewisses Maß an Einsicht erfordert. Jede Hafterleichterung, schließlich auch die – eigentlich fast obligatorische – Verkürzung der Haftstrafe wird von eben dieser Therapierbarkeit abhängig gemacht.

      Der Häftling weigert sich, einsichtig zu sein und streitet die Tat nach wie vor ab.

      Die Folge während der Haft: „Nicht therapierbar“ = Keine Haftvergünstigungen. In der weiteren Folge die logische Konsequenz: Keine vorzeitige Entlassung zum 2/3 Zeitpunkt. Die zehn Jahre verbüßt er vollständig. Schließlich wird er nach zehn Jahren entlassen und sucht direkt anschließend das Büro der seinerzeit ermittelnden Beamten auf. Er legt 4,50 Euro auf den Tisch und erklärt, damit die Zigaretten bezahlen zu wollen, die ihm im Ermittlungsverfahren während der Vernehmung zur Verfügung gestellt worden waren. Er wolle niemandem etwas schuldig bleiben.

       1.9.3Das Holzklotzverfahren61

      109In einem Schwurgerichtsverfahren geht es um den Tod einer 33 Jahre alt gewordenen Frau, die im Jahr 2008 auf der Autobahn A 29 bei Oldenburg vor den Augen ihrer Familie von einem Holzklotz erschlagen wurde. Die SOKO Brücke

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