Vernehmungen. Heiko Artkämper

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Vernehmungen - Heiko Artkämper

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der erklärte, er habe im tatrelevanten Zeitraum einen Holzklotz („wie der im Fernsehen gezeigte“) auf der Autobahnbrücke gesehen und angefasst. Er habe den Klotz zur Seite gelegt, damit sich Passanten nicht daran verletzen. Der heroinabhängige Beschuldigte spricht nur gebrochen Deutsch und hat zehn Jahre zuvor einmal eine Straftat (Schuld an einem Verkehrsunfall) auf sich genommen.62

      110In einer weiteren Zeugenvernehmung erklärt er erneut, einen Holzklotz angefasst und beiseite geschoben zu haben, stellt aber in Abrede, den Klotz von der Brücke auf die Autobahn geworfen zu haben. Zudem habe er einen „Fahrradreifen“ weggeräumt. Protokolliert wurde eine „Felge“ (weil eine Felge am Tatort gefunden worden war) und aus „an einen Zaun geschoben“, wurde ein Brückengeländer, das sich naturgemäß auf Brücken befindet. Ein Dolmetscher wurde nicht hinzugezogen, sondern dem Beschuldigten wurden die Begriffe „erläutert“.

      111Zwei Wochen später erfolgte nach einem 90 Minuten dauernden Vorgespräch die erste Beschuldigtenvernehmung; während des Vorgesprächs gab es diverse gemeinsame – weil in öffentlichen Gebäuden ein Rauchverbot herrscht – Rauchpausen vor dem Gebäude. Der Beschuldigte, der behauptet, er sei auf Entzug gewesen, erklärte später, ihm sei eine Substitution nach der Vernehmung versprochen worden, weswegen er sich geständig eingelassen habe.

       1.9.4Die Vermisstenanzeige

      112Der Angeklagte hatte Ehefrau und Tochter getötet, die Leichen in einem Wald abgelegt und sodann Vermisstenanzeigen erstattet. Da keine Hinweise auf ein Kapitaldelikt vorlagen, wurde er in der Folgezeit fünfmal zeugenschaftlich vernommen. Die Vernehmungen waren von List und Taktik geprägt, zumal die Beamten von seiner mutmaßlichen Täterschaft ausgingen. Widersprüche und Ungereimtheiten wurden filigran aufgearbeitet und vorgehalten. Auch wurde die Frage gestellt: „Das Gewissen plagt Sie nicht?“ Parallel zu den Vernehmungen wurde sein Grundstück mit Leichenspürhunden erfolglos abgesucht.

       1.9.5Der wenig kooperative Beschuldigte

      113Der Angeklagte soll seine Mutter mit Benzin übergossen und angezündet haben. Bei seiner verantwortlichen Vernehmung macht er Angaben zu Mordmerkmalen: Das Opfer habe „immer recht behalten“ müssen und sei ihm daher mächtig „auf den Senkel“ gegangen. Nach einem Streit habe er daher das Feuer gelegt, um sie loszuwerden.

      114Er leidet an einer schweren Wahnerkrankung und bringt weder im Rahmen der Explorationen noch bei seiner Einlassung in der Hauptverhandlung einen korrekten Satz mit Subjekt, Prädikat und Objekt fehlerfrei zustande. Die Vernehmung der Vernehmungsperson, die klären soll, warum dies offensichtlich bzw. scheinbar im Ermittlungsverfahren anders war, offenbart Schlimmes. Der Polizeibeamte bekundet, der Beschuldigte habe sich auch in seiner Vernehmung nicht zur Sache eingelassen, aber irgendwann zu ihm gesagt: „Schreiben Sie doch, was Sie wollen“ … und das habe er dann auch gemacht.63

       1.9.6Der nicht auffindbare Beschuldigte

      115Der Beschuldigte gesteht zwei Tötungsdelikte, die er nicht begangen hat. Er verlangt nach einem Verteidiger, erhält telefonischen Kontakt zu diesem und wartet zunächst auf dessen Eintreffen ….

      116Als der Verteidiger ihn im Polizeigewahrsam besuchen will, ist der Mandant verschwunden, er wird gerade angehört bzw. vernommen. Den Wunsch auf Verteidigerkonsultation ignorieren die Beamten:64 „Zuerst gestehst du, dann kannst du mit ihr reden, vorher kommst du hier nicht weg“. „Wir glauben dir kein Wort! Du bist ein Mörder! Gib‘s doch zu! Du bist ja praktisch überführt! Deine Freunde haben dich in der blutigen Jacke gesehen.“ Sie äußern zudem eindeutig, dass sie den dreisten Lügen des Beschuldigten nicht ansatzweise glauben.

      Bei einer weiteren Vernehmung am nächsten Tag besteht ein freundliches Klima, was dazu führt, dass der Beschuldigte sich kooperativ erweist.

       1.9.7Ein Gegenbeispiel: Tod nach Luftembolie bei einverständlichem Geschlechtsverkehr

      117Auch vorläufige Einschätzungen von Ursachen und Folgen durch einen rechtsmedizinischen Sachverständigen können unzutreffende Ermittlungshypothesen begründen: So hat es bereits mehrfach Verfahren gegeben, in denen die Obduktion den Anfangsverdacht eines Sexualmordes/einer Vergewaltigung mit Todesfolge ergab, da Einrisse in der Vaginalschleimhaut des Opfers nebst Einblutungen diesen Verdacht nahelegten. Die weiteren Ermittlungen ergaben dann eine Luftembolie nach einverständlichem Geschlechtsverkehr; das Verletzungsbild der Scheide war durch das Klimakterium der Frau und die beim Geschlechtsverkehr gewählte Stellung zu erklären.65

      118Ausgangspunkt war hier regelmäßig die Überzeugung des Vernehmenden, dass die entsprechenden Einlassungen der Beschuldigten der Wahrheit entprachen und daher die angeblich objektiven Merkmale einer Gewalteinwirkung zu einer unzutreffenden Hypothese führten.

       1.9.8Erhebungen von Habschick66

      119Habschick hat Staatsanwälte und Richter darum gebeten, ihre Erfahrungen mit polizeilichen Vernehmungen zusammenzutragen; diese – sicherlich nicht tendenziösen – Ergebnisse sollen hier ebenfalls wiedergegeben werden:

      –Sehr häufig fehlen Feststellungen darüber, ob und inwieweit der Vernommene überhaupt lese- und schreibfähig ist.

      –Die Korrektheit der Vernehmung ist meistens objektiv nicht überprüfbar, weil zum Vorgang der Belehrung nur geschrieben wird: „Der … wurde ordnungsgemäß über seine Rechte gem. … belehrt“. …

      –Problematisch ist in der Praxis offensichtlich auch die Belehrung über das Zeugnisverweigerungsrecht … in Fällen von Verpartnerungen. …

      –Häufig erfolgt keine sofortige Belehrung.

      –Manchmal erfolgt beim Wechsel vom Zeugen- zum Beschuldigtenstatus die Belehrung entweder gar nicht oder zu spät. …

      –Oft fehlt bei Anhörungen und Vernehmungen die Protokollform nach wörtlichem Frage-Antwort-Verfahren, das in Jugendverfahren und bei Kapitaldelikten vorgeschrieben ist.

      –Oft werden anstatt kurzer Sätze viel zu lange gebraucht, zu denen Kinder und manche Jugendliche gar nicht fähig sind.

      –Die Befragungen zu Tatgenossen der Minderjährigen sowie zu deren detaillierten Tatbeiträgen müssten nicht selten intensiver sein.

      –Oft wird in Vernehmungen zu wenig auf das Verhalten während der Anhörung bzw. Vernehmung eingegangen.

      –Häufig gehen Vernehmende überhaupt nicht auf das Verhalten des minderjährigen Vernommenen im Zusammenhang mit den Eltern ein. …

      –In den Vernehmungen wird viel zu wenig auf Verdunkelungshandlungen Jugendlicher eingegangen. …

      –Es werden mit den beschuldigten Jugendlichen in sich anbietenden Fällen kaum Tatorte aufgesucht.

      –Oft

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