Vernehmungen. Heiko Artkämper
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131Für viele Vernehmende beginnt eine Vernehmung erst dann, wenn sie im Dienstzimmer die entsprechenden Formulare aufrufen und dann den Beschuldigten belehren. Dies ist falsch. Der Begriff der Vernehmung ist weit auszulegen und umfasst alle Bekundungen von Zeugen und Beschuldigten aufgrund einer amtlichen Befragung. Der BGH hat den Begriff der Vernehmung wie folgt definiert:
„Eine Vernehmung ist eine Befragung, die von Staatsorganen in amtlicher Funktion durchgeführt wird mit dem Ziel der Gewinnung einer Aussage.“ 2
132„Nach ständiger Rechtsprechung des Bundesgerichtshofs sind diese Vorschriften auf Befragungen eines Beschuldigten durch Privatpersonen nicht anwendbar. Zum Begriff der Vernehmung im Sinne der StPO gehört vielmehr, dass der Vernehmende der Auskunftsperson in amtlicher Funktion gegenübertritt und in dieser Eigenschaft von ihr eine Auskunft verlangt. Da die Regelungen nach ihrem Sinn und Zweck den Beschuldigten vor der irrtümlichen Annahme einer Aussagepflicht im Rahmen einer Kraft staatlicher Autorität vorgenommenen Befragung bewahren sollen, sind sie auch dann nicht entsprechend anwendbar, wenn eine „vernehmungsähnliche“ Situation durch eine Privatperson, die … als Informantin der Polizei tätig wird“3, vorliegt.
Praxistipp: | |
133 | Entscheidend ist daher, dass die Auskunftsperson von einem staatlichen Organ in amtlicher Funktion zu einem den Gegenstand eines Strafverfahrens bildenden Sachverhalt angehört worden ist. |
134Sachverhaltsermittlungen und Befragungen von Auskunftszeugen durch Privatdetektive und/oder Strafverteidiger sind daher keine Vernehmung i.e.S., sondern bloße Anhörungen,4 für die die Vorschriften über die Belehrungspflichten und die verbotenen Vernehmungsmethoden weder direkt noch entsprechend anwendbar sind.5 Macht allerdings ein anwaltlich angehörter Zeuge später im Rahmen der Hauptverhandlung von seinem Zeugnisverweigerungsrecht Gebrauch, unterliegen seine gegenüber dem Verteidiger gemachten Angaben entsprechend dem Rechtsgedanken der §§ 52, 252 StPO einem Verwertungsverbot.6
135Ungeachtet der Regeln des Strafverfahrens hat allerdings gerade der Strafverteidiger ein ureigenes Interesse an der Informationsgewinnung. Neben der Möglichkeit der Rezeption des gesamten von Staatsanwaltschaft und Gericht zusammengetragenen Prozessstoffes (in aller Regel durch Akteneinsicht ermöglicht), besitzt er eine maßgebliche zusätzliche Informationsquelle in Form des eigenen Mandanten. Innerhalb des engen (und geschlossenen) Verteidiger-/Mandantenverhältnisses gilt es für den Verteidiger, seinen Informationsstand valide zu vervollständigen. Dazu bedarf es eines „kühl kalkulierten Gesprächs in geschäftlicher Atmosphäre“, um zu einem abgerundeten Erkenntnisstand zu gelangen, der den Aufbau einer soliden Verteidigungsstrategie ermöglicht. Diese Form der Informationsgewinnung unterliegt denselben kommunikativen Regeln wie jedes andere „Gespräch“ (einschließlich der Vernehmung) und erfordert ähnliche Taktiken. Der Strafverteidiger sollte sich dabei etwa der Erkenntnisse des kognitiven Interviews7 bedienen.
136Themenbezogen soll hier von einer Vernehmung im Ermittlungsverfahren die Rede sein. Voraussetzung für das Vorliegen einer Vernehmung im formellen Sinne ist also der Umstand, dass von den Strafverfolgungsbehörden (schon) ein Ermittlungsverfahren eingeleitet worden ist. Diese Betrachtung erleichtert Abgrenzungen zu „Anhörungen“, „Befragungen“, „Anzeigenaufnahmen“ und im weitesten Sinne auch zu „Gefährderansprachen“, worauf im Einzelnen noch näher einzugehen ist.
137Voraussetzung ist das Vorliegen eines „staatlichen Informationsbedürfnisses“. Dem Vernommenen muss also zunächst klar sein, dass er sich mit einem Polizisten unterhält, der „in Ausübung seines Dienstes“ mit ihm spricht. Dann muss er auch bemerken, dass die Staatsgewalt ein Informationsbedürfnis hat und ein Verfahren eingeleitet ist. Ist Letzteres offensichtlich und stellt der Polizeibeamte konkrete inhaltliche Fragen, liegt bereits eine polizeiliche Vernehmung vor.8 Es ist davon auszugehen, dass in dieser Situation zumindest eine Gedächtnisprotokollierung vorgenommen wird.
138Die Vernehmung ist – dem Wort nach – das „Hören“ der Darstellung von Auskunftspersonen. Sie ist mündlich durchzuführen und zu protokollieren. Dies dient der Dokumentation im Verfahren; der Inhalt und sein Zustandekommen sollen nachvollziehbar sein. „Vernehmen kann man nur das, was jemand spricht.“9 Im Unterschied zu schriftlichen Anhörungen10 handelt es sich also um einen Kommunikationsprozess, der zwischen (mindestens) zwei anwesenden Menschen stattfindet.
139Eine unmittelbare körperliche Anwesenheit ist dabei nicht erforderlich; ausreichend ist vielmehr die direkte Kommunikationsmöglichkeit, die auch durch das Telefon gegeben ist. Eine Unterhaltung per SMS, in Chatrooms oder per E-Mail reicht demgegenüber nicht aus, sondern ist der schriftlichen Äußerung gleichzusetzen.
Praxistipp: | |
140 | Vernehmungen als Kommunikationsprozesse mit dem Ziel der Informationsgewinnung unterscheiden sich von anderen (polizeilichen Zwangs-)Maßnahmen dadurch, dass der Vernehmende – die Staatsgewalt – letztendlich keine Durchsetzungsmacht hat. |
2.2„Gespräche“ zur Gefahrenabwehr
141Gespräche von Polizeibeamten gewinnen zunehmend an Gewicht; hier muss eine exakte Abgrenzung zum Vernehmungsbegriff vorgenommen werden. Wie in fast allen Bereichen der Polizei wird die Unterscheidung einfacher, wenn Klarheit darüber besteht, ob die Maßnahme der Gefahrenabwehr oder der Strafverfolgung dient. Das Ermittlungsverfahren existiert ausschließlich auf dem Gebiet der Strafverfolgung. Jede Vernehmung ist also auch eine strafprozessuale Maßnahme, deren Form und Inhalt an StPO und RiStBV11 gebunden ist.
142Was aber ist mit den vielen anderen „Gesprächen“? Ausgehend davon, dass ein Polizeibeamter außer der Wahrnehmung seiner hoheitlichen Aufgaben nichts anderes macht, dürfte er sich regelmäßig auf dem Gebiet der Gefahrenabwehr bewegen.12
2.2.1Kommunikativer Einsatz
143Bereits vor über 20 Jahren hatte sich der Begriff des „kommunikativen Einsatzes“ etabliert, nachdem deutlich geworden war, dass die damalige „Polizeiliche Verfügung“ als polizeirechtliche Eingriffsmaßnahme ganz einfach zu wenig war. Der Befehlston der Polizei als hoheitliche Gewaltinstanz wich einer Form von Überzeugungsarbeit: der Kommunikation. Das Gespräch mit dem polizeilichen Gegenüber (oder Störer) war geboren. Was oft verkannt wird, ist die der Kommunikation innewohnende Gegenseitigkeit: Das Zuhören (können). Gerade bei der Gefahrenabwehr werden diese Belange des „polizeilichen Gegenübers“ zu wenig berücksichtigt.
144Der Kriminalist hat auf dem Gebiet der Kommunikation andere Erfahrungen. Die entstammen traditionsgemäß aus durchgeführten Ermittlungsverfahren, Strafverfolgungsmaßnahmen, konkret: Aus Vernehmungen. Der BGH hat das Ziel definiert: „… mit dem Ziel der Gewinnung einer Aussage.“13 Die Aussage erbringt (nicht nur) der Polizei die inhaltliche Erkenntnis, mit welchem Sachverhalt sie es denn überhaupt zu tun hat.
Der