Vernehmungen. Heiko Artkämper
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–sich in einem Selbstgespräch versunken mit seiner Lebenssituation und dem Tatgeschehen auseinandersetzt oder
–seinem Hund die Tat „beichtet“.
172In sämtlichen Konstellationen liegt keine Vernehmung – verbunden mit einer Belehrungspflicht – vor; die Beamten sind nicht von sich aus auf den Beschuldigten zugegangen, sodass eine repressiven Zwecken dienende gezielte Befragung ausscheidet. Die Äußerungen sind verwertbar und können durch die Vernehmung des Polizeibeamten in die Hauptverhandlung eingeführt werden.
Praxistipp: | |
173 | Es besteht keine Handlungspflicht des Polizeibeamten in derartigen Sachverhaltskonstellationen, dem Beschuldigten offen gegenüberzutreten, ihn zu unterbrechen und/oder zu belehren. Das „Gehörte“ sollte möglichst wortgetreu mitgeschrieben und später in der Akte dokumentiert werden. |
2.8Spontanäußerungen
174Spontanäußerungen sind sowohl bei Beschuldigten als auch bei Zeugen denkbar; hier stellt sich dann regelmäßig das Problem der Verwertbarkeit derartiger Äußerungen.
Praxistipp: | |
175 | Spontanäußerungen liegen nur vor, wenn die Auskunftsperson jenseits einer staatlichen Befragungsaktion ungefragt – spontan – und aus freien Stücken Angaben macht.21 |
2.8.1Spontanäußerungen von Beschuldigten
176Spontanäußerungen oder Spontangeständnisse versteht der Bundesgerichtshof als „Äußerung, die ein Beschuldigter ohne Zutun des Polizeibeamten von sich aus vor der Belehrung“22 macht. Der Begriff als solcher ist recht unscharf und eröffnet naturgemäß die Möglichkeit einer rechtsstaatlich nicht hinnehmbaren Manipulationsmöglichkeit durch das willkürliche Aufschieben der Belehrung und damit einer dem Wortsinn zuwiderlaufenden Verlängerung der Spontaneität.
177Zwar ist es durchaus umstritten, ob den Polizeibeamten eine Pflicht trifft, den sich spontan Äußernden zu unterbrechen. Teilweise wird hier vertreten, dass eine Spontanäußerung bis zur ersten Frage andauern darf. Der Vernehmende sei nicht gehalten, die Äußerung zu unterbrechen; selbst von ihm gestellte Verständnisfragen sollen den „Charakter der Spontaneität“ nicht unterbrechen und daher unschädlich sein.23
Praxistipp: | |
178 | Eine derartige Vorgehensweise erscheint rechtlich und taktisch bedenklich, zumal eine ordnungsgemäße Belehrung in einem frühen Stadium spätere Nachfragen jedenfalls zulässigerweise ermöglicht. Nicht hinzunehmen sind die Fälle, in denen Polizeibeamte nach Eintreffen am Tatort bis zu sieben Seiten Spontanäußerung dokumentieren, ohne es für nötig zu erachten, den Beschuldigten, der bereits im ersten Satz eine Straftat geschildert hat, über seine Rechte zu belehren. |
Beispiel:
179Räumt etwa der Beschuldigte bei einem Besuch auf der Polizeiinspektion ein, dass er gerade seinen Vater umgebracht habe, so ist – wenn er nicht als querulatorischer angeblicher Massenmörder dort bekannt ist – an dieser Stelle und damit möglichst frühzeitig eine Belehrung anzubringen.
180Die bestehende, aber als gering einzuschätzende Gefahr, dass eine frühzeitige Belehrung den Beschuldigten von einer weiteren Aussage abhält, ist hinzunehmen und einem rechtsstaatlichen Vorgehen immanent.
181Anderenfalls kann hier eine fehlende oder zu spät erfolgte Belehrung durchaus gravierende Folgen haben, da insbesondere unter Anerkennung der Notwendigkeit einer qualifizierten Belehrung weitere Folgevernehmungen unverwertbar sein könnten; darauf wird an späterer Stelle einzugehen sein.24
182Auch wenn der BGH Mitte 2009 eine Entscheidung mit dem amtlichen Leitsatz „Zur Belehrungspflicht bei sogenannten Spontanäußerungen eines Verdächtigen“ überschrieben hat,25 gibt die Entscheidung selbst für den Begriff der Spontanäußerung nichts her.
Beispiel:
183Der A suchte mit seiner Ehefrau eine Polizeiwache auf, um sich zu stellen und gab ein Tötungsdelikt zu. Er wurde vorläufig festgenommen und dann mit einem Pkw zu einer anderen Dienststelle gebracht. Auf der Fahrt schilderte er weitere Einzelheiten des Tatgeschehens. Nach seiner Ankunft an der anderen Dienststelle und ärztlicher Feststellung seiner Vernehmungsfähigkeit wurde er nun erstmalig nach den §§ 163a, 136 StPO belehrt. Er erwiderte, dass er doch schon alles gesagt habe und einen Anwalt sprechen wolle; erst auf den Vorhalt, dass eine mögliche Aussage auch seiner Entlastung dienen könne, machte der Beschuldigte erneut umfangreiche Angaben.
184Der 4. Senat führt lediglich aus, dass die tatsächlich erfolgte Belehrung verspätet war; der Angeklagte hätte „schon zu einem früheren Zeitpunkt gemäß § 136 Abs. 1 Satz 2 StPO belehrt werden müssen“26.
185Er wiederholt, dass eine gezielte Umgehung der Belehrungspflichten unzulässig ist, wenn sie nur dazu dient, den Betroffenen zu einer Selbstbelastung zu verleiten. Weiter: „Dieses (scil.: die Verwertung der Angaben) erschiene jedoch zumindest dann bedenklich, wenn sich … Polizeibeamte von einem Tatverdächtigen nach pauschalem Geständnis einer schweren Straftat und der unmittelbar darauf erfolgten Festnahme über eine beträchtliche Zeitspanne Einzelheiten der Tat berichten ließen, ohne den von ihnen ersichtlich als Beschuldigten behandelten Täter auf sein Aussageverweigerungsrecht hinzuweisen. Ein solches Verhalten käme einer gezielten Umgehung zumindest äußerst nahe.“
186Welchen Zeitpunkt für eine ordnungsgemäße Belehrung der Senat damit letztendlich genau meint, bleibt allerdings offen; dadurch bestätigt sich die hier vertretene Auffassung, dass eine möglichst frühzeitige Belehrung erforderlich ist.
187Das OLG Zweibrücken hat unlängst klargestellt, dass nicht jeder unbestimmte und vage Tatverdacht einen Beschuldigtenstatus zu begründen vermag, sondern eine Verdichtung der Verdachtsumstände erforderlich ist.27
Beispiel:
188Der Betroffene wollte einen Bekannten bei der Polizei abholen; dabei hatten die Beamten den Eindruck, er stehe unter (illegalem) Drogeneinfluss und fragten daher nach, wie er von seinem Wohnort zur Polizeidienststelle gelangt sei. Die wahrheitsgemäße Antwort „mit dem Pkw“ wurde später in einem Gerichtsverfahren zu seinem Nachteil verwertet.
189Ähnlich hatte zuvor das KG Berlin zu recht eine Belehrungspflicht