Vernehmungen. Heiko Artkämper

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Vernehmungen - Heiko Artkämper

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2.10Anzeigeerstattungen

      206Die Entgegennahme von Strafanzeigen nimmt im alltäglichen Geschäftsbetrieb einen breiten Raum ein:35 Bürger erscheinen unaufgefordert auf der Polizeidienststelle oder sprechen einen Beamten während des Dienstes an, um einen strafrechtlich relevanten Sachverhalt zu schildern.

       2.10.1Rechtsnatur der Anzeigeaufnahme

      207Der wesentliche Unterschied zwischen einer Vernehmung und einer Anzeigeaufnahme besteht darin, dass die Initiative zur Sachverhaltserforschung nicht von den Strafverfolgungsorganen, sondern von einer Privatperson ausgeht. Nach der o. g. Definition ist daher die Anzeigeaufnahme zunächst keine Vernehmung im eigentlichen Sinne.

      208Die Strafanzeige ist die Mitteilung eines Sachverhalts, der nach Meinung des Anzeigenden Anlass für eine Strafverfolgung bietet. Sie ist eine bloße Anregung des Anzeigenden …, es möge geprüft werden, ob Anlass zur Einleitung eines Ermittlungsverfahrens besteht.“36

      209Die rechtlichen Regelungen, die im Rahmen einer Vernehmung Geltung beanspruchen, sind daher nicht direkt anwendbar. Allerdings wohnt einer Anzeigeaufnahme oftmals eine Dynamik inne, da der Übergang zwischen Anzeigeerstattung und dadurch bedingter zeugenschaftlicher Vernehmung fließend ist. Es kann daher – auch wenn gesetzlich nicht vorgeschrieben – keinesfalls schaden, wenn die Belehrungsvorschriften, die für Zeugenvernehmungen gelten, auch hier berücksichtigt werden.

       2.10.2Spielregeln für den Anzeigeaufnehmenden

      210§ 158 Abs. 1 StPO regelt die Strafanzeige und damit die Möglichkeit des Betroffenen oder eines unbeteiligten Dritten, den Strafverfolgungsbehörden einen Sachverhalt zu offenbaren, der aus seiner Sicht einen Straftatbestand verwirklicht und eine Straf(tat)verfolgung erfordert.

       § 158 StPO Strafanzeige; Strafantrag

      (1) Die Anzeige einer Straftat und der Strafantrag können bei der Staatsanwaltschaft, den Behörden und Beamten des Polizeidienstes und den Amtsgerichten mündlich oder schriftlich angebracht werden. Die mündliche Anzeige ist zu beurkunden.

      211Formvorschriften existieren nicht; bei einer telefonischen oder persönlichen Anzeigeerstattung wird der wesentliche Inhalt schriftlich niedergelegt.

Praxistipp:
212 Bei der Anzeigeaufnahme muss deutlich werden, dass die Privatperson freiwillig und von sich aus („aus eigener Veranlassung“) erschienen ist. Sodann sollten die Personalien festgestellt und der Anzeigeinhalt dokumentiert werden.

      213Auch wenn keine Vernehmung vorliegt, gelten gewisse Aufklärungspflichten; so muss der Anzeigende auf

      –eine mögliche Strafbarkeit nach den §§ 164, 145d StGB und

      –die – in der Praxis selten zur Anwendung kommende – Kostentragungspflicht nach § 469 StPO bei vorsätzlich oder leichtfertig erstatteter unwahrer Anzeige

      hingewiesen werden.

      214Weitergehende Belehrungspflichten, etwa über das Zeugnis- und/oder Auskunftsverweigerungsrecht, bestehen im Gegensatz zu einer Vernehmung hier nicht;37 eine Belehrung über das Zeugnisverweigerungsrecht muss selbst dann nicht erfolgen, wenn der Vernehmende das Bestehen eines ausreichenden Verwandtschaftsverhältnisses erkennt.38

      215Allerdings steht die fehlende Belehrungspflicht einer Belehrung nicht entgegen; angesichts der Dynamik einer Anzeigeerstattung ist daher eine Belehrung zu empfehlen39 beziehungsweise sollte erfolgen; verboten ist sie jedenfalls nicht.

       2.10.3Anzeigeerstatter bei Privatklagedelikten

      216Die StPO kennt sogenannte Privatklagedelikte, die gemäß den §§ 374, 376 StPO nur unter gewissen Voraussetzungen von der Staatsanwaltschaft verfolgt werden. Die am häufigsten vorkommenden Tatvorwürfe regelt § 374 Abs. 1 Nr. 1 bis Nr. 6a StPO.

       § 374 StPO Zulässigkeit; Privatklageberechtigte

      (1) Im Wege der Privatklage können vom Verletzten verfolgt werden, ohne dass es einer vorgängigen Anrufung der Staatsanwaltschaft bedarf,

      1.ein Hausfriedensbruch (§ 123 des Strafgesetzbuches),

      2.eine Beleidigung (§§ 185 bis 189 des Strafgesetzbuches), wenn sie nicht gegen eine der in § 194 Abs. 4 des Strafgesetzbuches genannten politischen Körperschaften gerichtet ist,

      2a.eine Verletzung des höchstpersönlichen Lebensbereichs und von Persönlichkeitsrechten durch Bildaufnahmen (§ 201a Absatz 1 und 2 des Strafgesetzbuches),

      3.eine Verletzung des Briefgeheimnisses (§ 202 des Strafgesetzbuches),

      4.eine Körperverletzung (§§ 223 und 229 des Strafgesetzbuches),

      5.eine Nötigung (§ 240 Absatz 1 bis 3 des Strafgesetzbuches) oder eine Bedrohung (§ 241 des Strafgesetzbuches),

      5a.eine Bestechlichkeit oder Bestechung im geschäftlichen Verkehr (§ 299 des Strafgesetzbuches),

      6.eine Sachbeschädigung (§ 303 des Strafgesetzbuches),

      6a.eine Straftat nach § 323a des Strafgesetzbuches, wenn die im Rausch begangene Tat ein in den Nummern 1 bis 6 genanntes Vergehen ist.

      …

      217Selbst wenn allerdings die Strafanzeige „nur“ einen solchen Vorwurf enthält, ist es nicht Aufgabe des Polizeibeamten, den Anzeigenden auf den Privatklageweg zu verweisen. Die Regelung des § 376 StPO i. V. m. den Nrn. 86 Abs. 1, 87 Abs. 1 RiStBV ist eindeutig:

       § 376 StPO Anklageerhebung bei Privatklagedelikten

      Die öffentliche Klage wird wegen der in § 374 bezeichneten Straftaten von der Staatsanwaltschaft nur dann erhoben, wenn dies im öffentlichen Interesse liegt.

       RiStBV 87. Verweisung auf die Privatklage

      (1) Die Entscheidung über die Verweisung auf den Privatklageweg trifft der Staatsanwalt. Besteht nach Ansicht der Behörden oder Beamten des Polizeidienstes kein öffentliches Interesse an der Strafverfolgung, so legen sie die Anzeige ohne weitere Ermittlungen dem Staatsanwalt vor.

Praxistipp:
218 Auch in derartigen Fällen muss die Anzeige aufgenommen werden; die Möglichkeit, einen Anzeigeerstatter auf den Privatklageweg zu verweisen, steht

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