Vernehmungen. Heiko Artkämper

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Vernehmungen - Heiko Artkämper

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entwickelt. Es enthält die grundsätzlichen und wiederkehrenden Fragestellungen, die in fast allen Sachverhalten verfahrensrelevant sind. Es ist selbsterklärend aufgebaut und besteht insgesamt aus 14 Seiten, wobei den Großteil Leerflächen für Eintragungen einnehmen. Direkt nach dem Ausfüllen kann es wieder der Polizei übergeben werden, ggf. zeitnah an die Dienststelle übersandt/überbracht werden. Die Mitnahme nach Hause und Abgabe zu einem (wesentlich) späteren Zeitpunkt ist grundsätzlich nicht vorgesehen, aber auch möglich.

      264Diese „Vernehmungsmethode“ wurde bereits im September 2011 im Rahmen eines Erstkontaktes zur Universität Maastricht bekannt, im Rahmen eines Feldversuches im Bundesland Hessen bis 2016 erprobt, und 2017 landesweit (dort) eingeführt. Nach dem Feldversuch hatten 200 Beamte das Modell getestet, wobei etwa 80 % zu dem Ergebnis kamen, dass es sich um ein „nützliches Werkzeug im Ersten Angriff“ handelt.56

      265Nikola Hahn warnt selbst davor (was die Autoren an dieser Stelle deutlich unterstreichen), das eigenständige Vernehmungsprotokoll als Ersatz für Vernehmungen, Befragungen, „Anhörungen“ anzuwenden. Als ordnendes Werkzeug in unübersichtlichen Sofortsituationen stellt „EVA“ sich allerdings als geniales Hilfsmittel dar, die Erinnerung potentieller Zeugen zu konservieren, zu ordnen und weitere Ermittlungshandlungen vorzubereiten. Fraglich ist allerdings die lange Einführungszeit (sechs Jahre bis zur Umsetzung in Hessen). Rechtlich und praktisch wäre eine sofortige bundesweite Umsetzung unbedenklich.

      266Die Bedenken gegen die Methode, die die Verfasser in der Vorauflage geäußert haben,57 waren mannigfaltig, da

      –Zeugen schriftlich nur das „erzählen“, was für sie subjektiv wichtig war,

      –die schriftliche Niederlegung bei mehreren Zeugen unkontrollierbar gemeinschaftlich erfolgen wird,

      –der Zeuge, der im Zweifel eine Kopie seines Bogens fertigen wird, nur noch behält (und später wiedergibt), was er dort als rudimentäre Aussage niedergeschrieben hat,

      –die Möglichkeit eines zusammenhängenden Vortrages ebenso wenig besteht wie die Möglichkeit für den Vernehmenden, zeitnah zur Wahrnehmung Fragen zu stellen.

      267Sie sind allerdings im Wesentlichen durch die Forschungsergebnisse relativiert, sofern EVA bestimmungsgemäß eingesetzt und nicht zu einem Vernehmungsersatz umfunktioniert wird.

      268Anschaulich beschreibt das Deckblatt des EVA-Heftes der hessischen Polizei das intendierte Vorgehen:58

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       2.15Polizeiliche und staatsanwaltliche Vernehmungen

      269Eine im Jahre 2009 ergangene Entscheidung verdeutlicht die Grenzen staatsanwaltlicher Vernehmungen, die teilweise – was unstreitig zulässig ist – in den Räumlichkeiten der Polizei stattfinden.59 Wenn allerdings

      –diese räumliche Verlagerung nur gewählt wird, um Zwangsmittel gegen den Zeugen durchzusetzen (Erscheinenspflicht, Vorführung …) und

      –die staatsanwaltliche Vernehmung nur einen äußeren Rahmen bilden soll, in dem eigentlich ein Polizeibeamter die Vernehmung leitet und durchführt,

      stellt sich in der Tat die Frage, ob dies noch eine Vernehmung im Sinne des § 161a StPO darstellt.

      270Eine staatsanwaltliche Zeugenvernehmung im Sinne des § 161a StPO setzt voraus, dass ein Staatsanwalt die Vernehmung leitet und das Vernehmungsgespräch im Wesentlichen selbst führt. Eine – über den Staatsanwalt unterstützende Befragung hinausgehende – Zeugenvernehmung durch einen Polizeibeamten in Gegenwart des Staatsanwalts beinhaltet keine zur Sachaussage verpflichtende und bei grundloser Aussageverweigerung ordnungsmittelbewehrte staatsanwaltliche Zeugenvernehmung.60

      271Unbeschadet einer im Einzelfall unglücklichen Aufteilung der Vernehmung auf staatsanwaltliche und polizeiliche Kopfbögen, hinter der sich allerdings möglicherweise ein System verbirgt, sind die Aussagen des OLG inhaltlich zutreffend: Polizeiliche Vernehmungen, die nur im Gewand einer staatsanwaltlichen Vernehmung stattfinden, unterfallen nicht den §§ 70, 161a StPO. Eine staatsanwaltliche Vernehmung setzt voraus, dass ein Staatsanwalt die Vernehmung leitet und das Vernehmungsgespräch im Wesentlichen selbst führt; die unterstützende Befragung durch Polizeibeamte ist zulässig, darf aber nicht derart ausarten, dass der Polizeibeamte die Vernehmung führt. Der Senat begründet dies auch anhand der Entstehungsgeschichte der Norm eindrucksvoll. Auf den Punkt gebracht:

       In einer Vernehmung muss auch das drin sein, was draufsteht!

      272Die dargestellte „Notwendigkeit“ staatsanwaltschaftlicher Vernehmungen hat sich relativiert, da die seit 2017 geltende Neuregelung des § 163 Abs. 3 StPO eine grundsätzliche Erscheinenspflicht des Zeugen auch bei polizeilichen Vernehmungen konstituiert.

       § 163 StPO Aufgaben der Polizei im Ermittlungsverfahren

      (3) Zeugen sind verpflichtet, auf Ladung vor Ermittlungspersonen der Staatsanwaltschaft zu erscheinen und zur Sache auszusagen, wenn der Ladung ein Auftrag der Staatsanwaltschaft zugrunde liegt. Soweit nichts anderes bestimmt ist, gelten die Vorschriften des Sechsten Abschnitts des Ersten Buches entsprechend. Die eidliche Vernehmung bleibt dem Gericht vorbehalten.

      273Aus dieser Norm folgt, dass in den Fällen einer ausdrücklichen staatsanwaltschaftlichen Anordnung der Vernehmung eines Zeugen dieser (auch) bei der Polizei erscheinen muss und im Weigerungsfalle Zwangsmittel angewendet werden können. Die Regelung hat sich in der Praxis bewährt, zumal die konkrete Anweisung des Staatsanwaltes in Eilfällen auch telefonisch eingeholt werden kann und dann als Vermerk in der Akte notiert wird.

      1Verhör, Vernehmung, Befragung (2016).

      2BGHSt (GS) 42, 139 (145); vgl. auch: Weihmann, Kriminalistische Vernehmung, Kriminalistik 2010, 82 ff.

      3BGH, Beschluss vom 31.2.2011, 3 StR 400/10; vgl. auch BGHSt 52, 11 (15 f.).

      4BGH NStZ 2001, 49 (50).

      5BGH, Beschluss vom 31.3.2011 – 3 StR 400/10.

      6BGHSt 20, 384(385); 29, 230(232); NStZ 2001, 49 (50), vgl. unten Rn 343.

      7Ausführlich dazu: Sommer, Effektive Strafverteidigung, 2016, Rn. 101 ff.

      8Siehe auch Habschick, a.a.O., 96 ff.

      9Kraheck-Brägelmann/Esders/Füllgrabe, Die Beschuldigten- und die Zeugenvernehmung, 1994, 69 ff.

      10Ausführlicher dazu unter Rn. 246.

      11Richtlinien für das Strafverfahren und das Bußgeldverfahren.

      12Lesenswert: Hahn, Gefährderansprache-Vernehmung, der kriminalist 4/2014, 6 ff.

      13BGHSt (GS) 42, 139 (145).

      14Kriminalistik 2008, 672 ff.

      15RR’in Birgit Müller auf: http://www.dvjj.de/sites/default/files/medien/imce/documente/veranstaltungen/dokumentationen/mueller.pdf

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