Vernehmungen. Heiko Artkämper
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(2) Befindet sich der Zeuge im Ausland, so ist bei der schriftlichen Befragung Nr. 121 RiVASt zu beachten.
247Für derartige schriftliche Äußerungen als Zeuge stehen vorformulierte „Anhörungsbögen als Zeuge“, die auch die erforderlichen Belehrungen enthalten, zur Verfügung. Während die Angaben zur Person (vgl. § 111 OWiG) relativ detailliert abgefragt werden, befindet sich dort bezüglich der eigentlich wichtigeren Angaben zur Sache regelmäßig ein Freifeld.
2.14.3Standardisierte Anhörungsbögen
248Derartig standardisierte Anhörungsbögen führen häufig zu wenig brauchbaren Angaben; der zu Vernehmende erzählt entweder seine Lebensgeschichte oder antwortet genervt in Bruchstücken; ermittlungsrelevante Wahrnehmungen finden sich gar nicht oder allenfalls am Rande.
Beispiel:
249Nach einem tödlichen Unfall auf einer BAB ist allein relevant, wie der Sturz des Kradfahrers unmittelbar zustandegekommen ist.
250Der Extremfall der Beantwortung des Anhörungsbogens kann darin bestehen, dass der Zeuge das Formular durchstreicht, mit der Bemerkung „ich nix deutsch“ versieht, unterschreibt und zurückschickt.
251Die schriftliche Äußerung der Zeugen wird allerdings regelmäßig deren Reiseantritt, den Reiseverlauf und das Ziel und damit Unwichtiges enthalten. Selbst wenn ein Zeuge angibt, dann plötzlich das Krad auf der Fahrbahn und eine (getötete) Person gesehen zu haben, bedeutet dies nicht, dass er keine weitergehenden Wahrnehmungen gemacht hat.
Beispiel:
252Im vorangegangenen Beispiel sollte das Anschreiben ergänzt werden: „Bitte eine Unfallschilderung aus Ihrer Sicht. Konnten Sie die Ursache erkennen, die zum Sturz des Kradfahrers geführt hat? Beschreiben Sie bitte den Verlauf des Sturzes.“
Aber auch dies führt nicht zwingend zu klaren Antworten, wie das nachfolgende Originalbeispiel einer Antwort zeigt:
Beispiel:
253„Ich habe nur gesehen, wie der Motoradfahrer schon im fahl war, ist gegen unterfahrschuz geknalt, leicht abgefedet und dann mit dem kopf unter den hinterrad von anhenger. Aus welhem grund er zum fahl kamm habe ich nicht gesehen.“
254Jedenfalls werden hier aber Details des Sturzes geschildert, die weitere Ermittlungen – Vernehmung des Zeugen – erfordern; der Zeuge hat offensichtlich den unmittelbaren Unfallhergang wahrgenommen. Ob er mehr weiß, muss eine Vernehmung klären.
Praxistipp: | |
255 | Hier können Telefonate entweder vor der Versendung des Anhörungsbogens oder nach Erhalt einer derartigen Antwort hilfreich sein; deren Inhalte sind in einem Aktenvermerk niederzulegen. |
2.14.4Detaillierte Fragenkataloge (mit Platz für Antworten)
256Fehlschlägen kann nur durch detaillierte Fragenkataloge mit Platz für Antworten vorgebeugt werden; eine sinnvolle Fragegestaltung soll das nachfolgende, recht einfache Beispiel erläutern. Allerdings dürfte dabei klar werden, dass die Erstellung und Auswertung derartiger Fragenkataloge extrem aufwändig sein kann.
Beispiel:
257Bei einem Raubüberfall auf eine Spielbank konnte ermittelt werden, dass sich am Tatabend etwa 2000 Personen im Großen Spielsaal aufgehalten haben könnten. Eine genauere Eingrenzung war nicht möglich, da nur der Zutritt, nicht aber auch das Verlassen der Räumlichkeiten erfasst wurde.
258Um überhaupt Ermittlungsansätze zu erhalten, wurde der nachfolgend abgedruckte Fragenkatalog entwickelt; wichtig ist dabei – da nur dann ansatzweise abschließende Antworten zu erwarten sind –, dass nach jeder Frage Raum für die Antwort bleibt. So wird der Zeuge gezwungen, sich mit jeder Frage zu beschäftigen und sie ggf. zu beantworten.
259Die vorbeschriebene Vorgehensweise garantiert allerdings keinen inhaltlichen Erfolg; so stellte sich in dem Verfahren später heraus, dass auch in der Spielbank befindliche Mittäter den Fragebogen erhalten, ausgefüllt und zurückgeschickt hatten. Nur die inhaltliche Qualität ihrer Angaben ließ zu wünschen übrig – sie logen.
2.14.5Konservierung von Zeugenwahrnehmungen durch vorgelagerte Anhörungsbögen – „EVA“
260In einigen Bundesländern wurden – in Anlehnung an die Praxis in Norwegen, Großbritannien und den Niederlanden – schriftliche Anhörungsbögen konzipiert, die der Konservierung von Zeugenwahrnehmungen durch möglichst tatzeitnahe, vorgelagerte Gedächtnisprotokolle für Augenzeugen dienen sollten. Als Vorreiterin entwickelte Nicola Hahn das „Eigenständige Vernehmungsprotokoll für Augenzeugen“ (EVA), als Begriff eine Übersetzung des „Self-Administered Interview“ (SAI)54. Die Grundüberlegung bestand darin, in besonders unübersichtlichen (Sofort-)Lagen, beispielsweise Delikten auf größeren Veranstaltungen, in Gaststätten oder Diskotheken, aber auch bei Verkehrsunfällen mit einer Vielzahl von Zeugen oder Delikten in hochfrequentierten Geschäftsbetrieben die jeweiligen Wahrnehmungen von Zeugen sehr zeitnah zu dokumentieren und damit in einem Grundgerüst „einzufrieren“.
261Eines der wichtigsten Charakteristika sei an dieser Stelle deutlich betont: „EVA“ ist ausdrücklich nicht als Ersatz für persönliche Vernehmungen vorgesehen. Es ist eine Ergänzung, die es ermöglichen soll, den subjektiven Befund bei unübersichtlichen Sofortsachverhalten zu ordnen, zu kategorisieren und zu konservieren, um spätere Erhebungen im Rahmen von Vernehmungen vorzubereiten. Keinesfalls wird die Vernehmung ersetzt – auch nicht die Anhörung oder gar die schriftliche Aussage55. Sind letztere wegen anderer Verhinderungen nicht mehr zu erlangen, liegt immerhin bereits eine Aussage vor, die durchaus 1:1 in die Ermittlungsakte eingebracht werden kann.
262Praktisch kommt „EVA“ zur Anwendung, wenn Vernehmungen unmittelbar nach Bekanntwerden eines Sachverhaltes nicht möglich sind, unabhängig von der Schwere des Deliktes. Das kann also durchaus auch die „einfache“ Kneipenschlägerei sein. Einsatzkräfte der Polizei (Wach- und Wechseldienst/Bereitschaftspolizei; insbesondere Kriminalwache) händigen den potenziellen Zeugen ein Heft aus, das sie möglichst sofort an einem ruhigen Ort allein ausfüllen sollen.