Vernehmungen. Heiko Artkämper

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Vernehmungen - Heiko Artkämper

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Geschwindigkeit eines Radfahrers (die bereits bis max. 60 km/h reichen dürfte). Langsamer als ein Auto auf einer Umgehungsstraße? – Also etwa zwischen 60 und 100 km/h.

      293Die in der Bekundung „zu schnell“ enthaltene Wertung muss man wohl nicht erläutern, sondern man muss sich fragen, an welchen Werten der Zeuge sich orientiert. Schneller als erlaubt, schneller als die Technik seines Fahrzeugs es zulässt, schneller als die Situation es zulassen würde? Offen bleibt, wo das Vergleichsniveau ist, an dem der Zeuge sich orientiert oder zu orientieren können glaubt.

      294„Viel zu schnell“. Was ist denn „viel“? Solche Aussagen müssen einen polizeilichen Vernehmungsbeamten und später einen Richter verärgern, werden sie nicht kritisch hinterfragt. Ebenso wenig ist definiert, was „wenig“ ist. Derartige Mengenangaben nehmen im allgemeinen Sprachgebrauch breiten Raum ein, sind aber wenig aussagekräftig – genauer gesagt: nichtssagend.

      295Interessant ist auch die Antwort im Hinblick auf die Frage der Täterschaft einer bestimmten Person und damit dem Kernbereich der Tatsachenaufklärung: „Der!“ Wer ist das denn? Wahrscheinlich dürfte der Fahrer gemeint sein, konkret sogar nur das Auto; wer hat es gefahren, wer hat am Steuer gesessen? Ein Mann oder eine Frau? Hat der Zeuge den Fahrer erkannt? Regelmäßig hat er nur das Auto gesehen, das seiner Meinung nach „viel zu schnell“ war.

      296Im Ergebnis beinhaltet die Bekundung eigentlich gar nichts: Der Fahrer ist unbekannt, und die gefahrene Geschwindigkeit kann so nicht ermittelt werden. Vielleicht ist es als Ergebnis zulässig, zu behaupten, dass es dieses Auto war, zumindest aber ein gleich aussehendes mit vielleicht diesem abgelesenen Kennzeichen. Eine scheinbar „sichere“ Aussage entpuppt sich als Flop.

Praxistipp:
297 Es macht keinen Sinn, weiter nachzufragen, was wirklich viel zu schnell ist; „viel zu schnell eben“. Es wird deutlich, dass der Vernehmende offenkundige Wertungen auf das tatsächlich Wahrgenommene reduzieren muss: „Was haben Sie gesehen?“ Die ernüchternde Antwort lautet: Ein fahrendes Auto – in diesem Beispiel –, mehr nicht.

       3.5.2Abfrage von Vergleichswerten

      298In solchen Fällen kann nur das Abfragen von Vergleichswerten helfen. „Schneller als ich laufen könnte, schneller als ein Radfahrer“.

      299Entfernungsschätzungen sind in ihrer Fehleranfälligkeit geradezu beispielhaft: „Drei bis vier Meter“. Diese Angabe ließ sich bereits mehrfach relativieren auf das zehnfache, wenn nicht mehr. Ein normaler PKW ist etwa 4,50 m lang. Die ergänzende Frage danach, wie viele Autolängen das denn wohl waren, stützt sich zunächst auf die – meist nicht ausgesprochene – Annahme, dass ein Auto etwa zwei Meter lang ist. In der Vorstellung des Zeugen haben zudem hinterein ander abgestellte Autos nicht den nötigen Abstand, um ausparken zu können.

       Beispiel:

       300Die Aussage „fünf Autolängen“ beinhaltet

in der Vorstellung des Zeugen: 5 × 2 m = 10 m
– tatsächlich: 5 × 4,50 m + 4 × 2 m = 22,50 m + 8 m = 30,50 m

      301Die Berechnung könnte allerdings auch umgekehrt proportional zutreffen. Wer nicht hinterfragt, welche Vorstellung ein Vernommener von Entfernungen hat, kommt keinen Schritt weiter. Seine Vorstellungen sollten sich dann natürlich auch an konkreten, messbaren Vergleichswerten orientieren.

      302In der Hauptverhandlung wird oft die Frage gestellt: „Wie weit ist der Richtertisch Ihrer Meinung nach denn vom Zeugenstuhl entfernt?“ Dies ist der Versuch, einen messbaren und objektiven Vergleichswert zu erlangen; allerdings erweist sich dieser Versuch als untauglich, da er nur zu einer weiteren Schätzung durch den Zeugen führt.

Praxistipp:
303 Zutreffenderweise müssen daher Fragen gestellt werden, die objektive Kriterien beinhalten: „Wie weit waren Sie entfernt? Etwa so weit, wie wir hier auseinander sitzen?“ Bejaht der Zeuge diese Frage, ist ein objektivierbarer Wert – die nachmessbare Entfernung – gewonnen.

      304Für die vernehmenden Beamten muss sich eine solche Frage direkt stellen. Bei Schätzungen müssen sofort und nach Möglichkeit auch in örtlichen Zusammenhängen stehende Vergleichswerte definiert werden, da nur so – und dies ist die Hauptsache – nachvollziehbare Angaben erlangt werden.

       3.6Soziale Wahrnehmung und ihre Realisation durch den Vernehmenden

      305Polizeibeamte und Juristen pflegen nur zu leicht die Nase zu rümpfen, wenn es um soziologische und sozialpsychologische Erkenntnisse geht; allerdings dürfen sie die Augen nicht davor verschließen, dass eine Vernehmung ein Kommunikationsprozess ist, bei dem die sozialen Rahmenbedingungen das Ergebnis beeinflussen.3

       Beispiel:4

      306Eine angezeigte Vergewaltigung wird aus der Sicht der Zeugin (als Opfer) und des Vernehmenden (als objektivem Ermittler) unterschiedlich empfunden. Aber auch die Vorstellungen des Vernehmenden zur Tat, zum Opfer und dessen Persönlichkeit sind ausschlaggebend: Der „aufgeschlossene“ Vernehmende, der eine gewisse Sympathie mit dem Beschuldigten und dessen Lebensgewohnheiten bei wenig Empathie mit dem Opfer hat, begreift das Verfahren als falsche Verdächtigung, Vortäuschen einer Straftat und Verleumdung. Ein eher „biederer“ Vernehmender mit Sympathie für das Opfer und wenig Verständnis für den „losen“ Lebenswandel des Beschuldigten wird hingegen eine Vergewaltigung sehen.

      307Die soziale Vorstellung des Vernehmenden, die von seinen Erfahrungen, Wertvorstellungen und Zuschreibungen geprägt wird, nimmt entscheidenden Einfluss auf den Vernehmungsverlauf und dessen Ergebnis. „Bauchgefühl“ und „Schweinehundtheorie“ determinieren unbewusst die Wahrnehmung des Vernehmenden. Unwillentlich vorhandene kollektive Bewertungsmuster – sogenannte Frames – spielen eine Rolle. Eine Beeinflussung durch sie wird nicht vollständig auszuschließen sein, jedoch muss sich der Vernehmende der Existenz und Wirkung derartiger Frames bewusst sein.

Praxistipp:
308 Frames beeinflussen ungewollt die Vernehmung; sie basieren nicht auf sachlichen Informationen. Der Vernehmende muss ihre Existenz kennen und seine Ermittlungsergebnisse vor diesem Hintergrund ständig mit den objektiven Befunden abgleichen. Selbstkritik ist hier vonnöten.

       3.7Bestätigende

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