Vernehmungen. Heiko Artkämper
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341Obwohl der Staatsanwalt, der Berichterstatter3 und der Vorsitzende, ebenso wie die Angeklagte und der Verteidiger, den Akteninhalt und damit den Inhalt des Notrufes kennen, müssen sie sich an die Spielregeln halten. Es kann daher lediglich aufgrund der verwertbaren Spontanäußerung festgestellt werden, dass die Angeklagte auf den Geschädigten eingestochen hat. Entgegen dem aktenkundigen weiteren Geschehensablauf ist dann allerdings zugunsten der Angeklagten zu unterstellen, dass sie freiwillig die weitere Tatausführung aufgegeben hat und daher wirksam vom unbeendeten Versuch eines Tötungsdeliktes zurückgetreten ist. Eine Verurteilung kann daher allenfalls wegen gefährlicher Körperverletzung, nicht aber wegen des tatsächlich vorliegenden versuchten Tötungsdeliktes erfolgen.
342Dies gilt selbst dann, wenn die Tochter am Tag nach der Tat und nach ordnungsgemäßer – ggf. sogar qualifizierter – Belehrung über ihr Zeugnisverweigerungsrecht bei der Polizei eine umfangreiche und detaillierte Aussage gemacht hat, die allerdings als nicht-richterliche Vernehmung nicht verwertet werden darf.
4.1Personal- und Sachbeweis
343Der allgemeine Grundsatz der Rekonstruktion ist vom Unmittelbarkeitsprinzip und der Feststellung geprägt, dass der Personal- dem Sachbeweis vorgeht.
§ 250 StPO Grundsatz der persönlichen Vernehmung
Beruht der Beweis einer Tatsache auf der Wahrnehmung einer Person, so ist diese in der Hauptverhandlung zu vernehmen. Die Vernehmung darf nicht durch Verlesung des über eine frühere Vernehmung aufgenommenen Protokolls oder einer Erklärung ersetzt werden.
344Dieser Grundsatz ist durch eine seit 2004 geltende Neuregelung in Teilbereichen relativiert worden und es ist ein erweiterter Urkundenbeweis möglich und zulässig.
§ 256 StPO Verlesung der Erklärungen von Behörden und Sachverständigen
(1) Verlesen werden können
1.die ein Zeugnis oder ein Gutachten enthaltenden Erklärungen
a)öffentlicher Behörden,
b)der Sachverständigen, die für die Erstellung von Gutachten der betreffenden Art allgemein vereidigt sind, sowie
c)der Ärzte eines gerichtsärztlichen Dienstes mit Ausschluss von Leumundszeugnissen,
2.unabhängig vom Tatvorwurf ärztliche Atteste über Körperverletzungen,
3.ärztliche Berichte zur Entnahme von Blutproben,
4.Gutachten über die Auswertung eines Fahrtschreibers, die Bestimmung der Blutgruppe oder des Blutalkoholgehalts einschließlich seiner Rückrechnung,
5.Protokolle sowie in einer Urkunde enthaltene Erklärungen der Strafverfolgungsbehörden über Ermittlungshandlungen, soweit diese nicht eine Vernehmung zum Gegenstand haben und
6.Übertragungsnachweise und Vermerke nach § 32e Absatz 3.
(2) Ist das Gutachten einer kollegialen Fachbehörde eingeholt worden, so kann das Gericht die Behörde ersuchen, eines ihrer Mitglieder mit der Vertretung des Gutachtens in der Hauptverhandlung zu beauftragen und dem Gericht zu bezeichnen.
345Wichtig ist insofern die Rückausnahme bei Vernehmungen von Zeugen und Beschuldigten, bei der weiterhin ausschließlich der Personalbeweis zulässig ist.
4.2Erscheinungsformen von Angaben im Ermittlungsverfahren
346Angaben einer Auskunftsperson im Ermittlungsverfahren können als Informationen aus informatorischen Befragungen, Spontanäußerungen und Bekundungen im Rahmen einer Vernehmung stammen. Die häufigste und umfangreichste Informationsquelle aus dem Ermittlungsverfahren sind Vernehmungen von Zeugen und Beschuldigten. Diese wurden – ebenso wie die Vorgespräche – an anderer Stelle behandelt und ausführlich erläutert.4
4.3Transfer des Personalbeweises in die Hauptverhandlung
347Soll bzw. muss die Äußerung einer Auskunftsperson in die Hauptverhandlung eingeführt werden, ist danach zu unterscheiden, ob es sich bei ihr um einen Beschuldigten oder einen Zeugen handelt.
4.3.1Beschuldigtenangaben
348Macht der Beschuldigte – nunmehr Angeklagte – im Rahmen der Hauptverhandlung von seinem Einlassungsverweigerungsrecht Gebrauch, können Äußerungen, die er im Ermittlungsverfahren gemacht hat, jeweils durch die Vernehmung des Adressaten dieser Bekundungen eingeführt werden.
Praxistipp: | |
349 | Eine von Polizeibeamten oftmals angeregte richterliche Beschuldigtenvernehmung macht daher hier, anders als bei Zeugen mit Zeugnisverweigerungsrecht, selten Sinn. |
350Allerdings kommt eine Rekonstruktion auf diesem Wege nur dann in Betracht, wenn die prozessualen Spielregeln eingehalten wurden; Verwertungsverbote bei der Anwendung verbotener Vernehmungsmethoden und Widerspruchslösung bei fehlender bzw. fehlerhafter Belehrung spielen hier eine ausschlaggebende Rolle.
4.3.2Zeugenangaben
351Bei den Zeugenangaben und deren Rekonstruktionsmöglichkeiten ist eine genauere Differenzierung erforderlich, da das Strafverfahrensrecht privilegierte Zeugen kennt, die sich einer Wahrheitsfindung entziehen dürfen.
4.3.2.1Normalzeugen
352Die Stellung des Zeugen ist im Wesentlichen von Pflichten und wenigen Rechten geprägt. Im Hinblick auf seine Aussagepflicht gilt die Regelung des § 70 StPO.
§ 70 StPO Folgen unberechtigter Zeugnis- oder Eidesverweigerung
(1) Wird das Zeugnis oder die Eidesleistung ohne gesetzlichen Grund verweigert, so werden dem Zeugen die durch die Weigerung verursachten Kosten auferlegt. Zugleich wird gegen ihn ein Ordnungsgeld und für den Fall, dass dieses nicht beigetrieben werden kann, Ordnungshaft festgesetzt.
(2) Auch kann zur Erzwingung des Zeugnisses