Vernehmungen. Heiko Artkämper

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Vernehmungen - Heiko Artkämper

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keinen „großen Lauschangriff“ darstellt.47

      232Rein formell und auch materiell lagen darüber hinaus die Voraussetzungen des § 100f StPO, der die akustische Überwachung außerhalb von Wohnungen ermöglicht, vor. Trotzdem gelangte der 1. Strafsenat zu einem Verwertungsverbot. Gemäß § 119 Abs. 3 StPO a. F. in Verbindung mit Nr. 27 UVollzO waren Besuche während der Untersuchungshaft regelmäßig erkennbar zu überwachen; in der Praxis waren Vollzugs- oder Polizeibeamte und Dolmetscher anwesend.

      233Die Besonderheit des Falles besteht darin, dass bewusst ein separater Besuchsraum verwendet wurde, der bei dem Beschuldigten den Eindruck erwecken musste und sollte, hier ungestört und unüberwacht mit seiner Ehefrau sprechen zu können.

      234Die nach strafprozessualen Vorgaben zulässige Maßnahme tangiert daher einerseits den Grundsatz des nemo tenetur se ipsum accusare; sie dürfte – da aktives Tun durch die Zuweisung des separierten Raumes vorliegt – die Grenzen der kriminalistischen List in Richtung einer Täuschung im Sinne des § 136a StPO überschreiten. Zu Recht stellte der BGH klar, dass jedenfalls die Gesamtumstände zu einer staatlichen Totalüberwachung des Beschuldigten – ohne jegliche Rückzugsmöglichkeit in eine Privatsphäre – führen, die mit einem fairen Verfahren nicht zu vereinbaren sind. Genau betrachtet wird aber eine derartige Rückzugsmöglichkeit durch die durch die Strafverfolgungsbehörden geschaffene Situation vorgespiegelt.

Praxistipp:
235 Täuschen die Ermittlungsbehörden im Hinblick auf die Überwachung von Besuchen während der Untersuchungshaft, so liegt darin ein Verstoß gegen den Grundsatz des „fair trial“.

       2.13Hörfallen

      236Angaben des Beschuldigten, die er gegenüber Privaten getätigt hat, sind selbst dann verwertbar, wenn diese Privatpersonen ohne amtlichen Auftrag mit Mitteln, die staatlichen Organen nach § 136a StPO verboten sind, Beweismittel erlangt haben.48

       Beispiele:

       237„Was ein Beschuldigter einem Mitgefangenen erzählt hat, der auf Veranlassung der Polizei auf seine Zelle gelegt wurde, um ihn über das Tatgeschehen auszuhorchen, darf nicht verwertet werden. Verwertbar ist dagegen die Aussage, die ein in der Hauptverhandlung vernommener Zeuge gemacht hat, den die Polizei aufgrund von Angaben des Beschuldigten gegenüber dem Mitgefangenen ermittelt hat.“49

      238Wenn ein Mithäftling aus eigenem Antrieb den Beschuldigten veranlasst, ihm die Tat zu schildern, darf dies verwertet werden, selbst wenn dieser sein Aushorchen in Kenntnis der Ermittlungsbehörden fortsetzt.

Praxistipp:
239 „Hat eine Privatperson auf Veranlassung der Ermittlungsbehörde mit dem Tatverdächtigen ohne Aufdeckung der Ermittlungsabsicht ein auf die Erlangung von Angaben zum Untersuchungsgegenstand gerichtetes Gespräch geführt, so darf der Inhalt des Gespräches im Zeugenbeweis jedenfalls dann verwertet werden, wenn es um die Aufklärung einer Straftat von erheblicher Bedeutung geht und die Erforschung des Sachverhaltes unter Einsatz anderer Ermittlungsmethoden erheblich weniger Erfolg versprechend oder wesentlich erschwert gewesen wäre.“50

      Der BGH hat im Jahre 2010 ein Verwertungsverbot für den Fall anerkannt, dass ein inhaftierter Beschuldigter verdeckt verhört wird.51

       Beispiel:

      240Der verurteilte Angeklagte hatte sich in der Haft einem Mitgefangenen anvertraut, der sich ihm gegenüber fälschlich als Mitglied der Bandidos ausgegeben und sich erboten hatte, Leute zu besorgen, die die Frau des Angeklagten gegen Bezahlung töten würden. Nachdem der Mitgefangene eine Anzahlung kassiert hatte, wandte er sich an die Leitung der JVA und erklärte sich später gegenüber der Polizei als kooperationsbereit. Die dadurch erlangten Beweismittel reichten den Strafverfolgungsbehörden nicht, sodass sie einen Polizeibeamten unter der Legende eines Rockers an den Angeklagten heranführten. Dieser führte im Besucherraum der JVA ein Gespräch, in dem er auch fragte, ob es richtig sei, dass sie die Frau des Angeklagten „wegmachen“ sollten, was der Angeklagte mit einem Nicken bestätigte.

      241Der BGH bezeichnet das Gespräch zu recht als verdeckte Vernehmung, die in ihrer konkreten Ausgestaltung rechtswidrig war. Sie griff in den Kernbereich der grundrechtlich und konventionsrechtlich geschützten Selbstbelastungsfreiheit ein, mit der Folge, dass daraus ein Verwertungsverbot abgeleitet wurde. Dies galt insbesondere vor dem Hintergrund, dass der Polizeibeamte eine Entscheidung geradezu provoziert und den Angeklagten in einen Aussagezwang versetzt hatte.

       2.14Schriftliche „Vernehmungen“, besser: Äußerungen

      242In vielen Fällen der Massenkriminalität sind schriftliche Äußerungen ein probates Mittel, den Arbeitsaufwand zu meistern. Um Vernehmungen handelt es sich dabei nicht, da hier weder eine akustische Wahrnehmung und eine Protokollierung durch den Vernehmenden erfolgt noch der zu Vernehmende sich mündlich äußert.52

       2.14.1Beschuldigte

      243Derartige schriftliche Äußerungen lässt das Gesetz beim Beschuldigten unter den Voraussetzungen des § 136 Abs. 1 S. 6 StPO zu:

       § 136 StPO Erste richterliche Vernehmung

      … In geeigneten Fällen soll der Beschuldigte auch darauf, dass er sich schriftlich äußern kann, sowie auf die Möglichkeit eines Täter-Opfer-Ausgleichs hingewiesen werden.

      244Diese Möglichkeit ist über § 163a Abs. 4 S. 2 StPO auch bei polizeilichen Vernehmungen eröffnet. Das Schweigerecht des Beschuldigten enthält sein Recht, sich schriftlich zu äußern. Erforderlich ist aber stets die Prognose, dass der zu Vernehmende bereit und fähig ist, sich schriftlich zu äußern; nur dann liegt ein geeigneter Fall vor.53

Praxistipp:
245 Bei komplexen, umfangreichen Sachverhalten und gravierenden Vorwürfen scheiden schriftliche Äußerungen von vornherein aus. Auch die Persönlichkeitsstruktur des zu Vernehmenden kann einer schriftlichen Äußerung entgegenstehen.

       2.14.2Zeugen

      246Zeugen kann es ermöglicht werden, ihre Wahrnehmungen – jedenfalls zunächst – schriftlich niederzulegen; dies erspart teilweise lange Anfahrtstrecken und ermöglicht häufig dem Vernehmenden, die „Spreu vom Weizen“ zu trennen. Nr. 67 RiStBV regelt insofern die Voraussetzungen.

       RiStBV

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