Vernehmungen. Heiko Artkämper
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2.3.3Das Interventionskonzept
159Mittlerweile ist das Interventionskonzept bundesweit „übergestülpt“, aus folgenden Gründen: 1994 erschoß in Kamen (NRW, Kreis Unna) ein Mann seine Frau vor den Augen der beiden Kinder, nachdem diese vier Stunden zuvor eine Bedrohungsanzeige erstattet hatte, die ohne weitere Bearbeitung „im Geschäftsgang“ gelandet war. Aus diesem Sachverhalt entwickelte die KPB Unna zunächst ein eigenes Interventionskonzept, das sich (zunächst) weder landes- noch bundesweit etablierte. Kernpunkte waren:
–Sachverhaltsaufnahme
–Sofortige Durchführung aller zulässigen Maßnahmen
–Gefährderansprache
–Gefährdungsanalyse
–Gefährdungsbewertung
–Anschlussmaßnahmen.
160Erst 2002 gab es einen Vorstoß aus dem Innenministerium Baden-Württemberg, in Persona Uwe Stürmer, der den „AK II“ (Zusammenkunft der Innenminister der Länder) dazu brachte, das Thema bundesweit auf die Agenda zu setzen.
Ein Kernsatz blieb jedoch in vielen Gebieten unberücksichtigt:
„Die Einschätzung der Ernsthaftigkeit einer Drohung muss stets am konkreten Einzelfall orientiert erfolgen und ist nicht schematisch leistbar.“17
161Vielerorts wurden – durchaus in Anlehnung an die Erfahrungen der KPB Unna und Ausführungen des IM BW – ähnliche „Konzepte“ entwickelt und schlussendlich auch in die Praxis umgesetzt. Leider mit einem Manko, das sich fast überall durchgesetzt hat:
Handlungsanweisungen in Form von Schemata (Checklisten).
162Genau das, was Stürmer als „nicht leistbar“ bezeichnet hatte, prasselte bundesweit auf die „Frontarbeiter“ der Polizei nieder, verzerrte das eigentlich klare Bild der Intervention und hat dieses Instrument in ein Papiermonster verwandelt, das – triefend vor Textbausteinen und vorgedachten Formulierungen – schlicht die Erfordernisse eines Einzelfalls vergisst.
Praxistipp: | |
163 | Nehmen Sie – soweit Sie als Polizeibeamter mit einem konkreten Sachverhalt betraut sind – ein weißes Blatt Papier und legen es in den Drucker ein. Am PC aktivieren Sie ein Schreibprogramm und beginnen, das leere Blatt mit Informationen zu füllen, die Sie in diesem Fall für wichtig erachten. Das Ergebnis wird manche Führungsdienststellen vor Probleme stellen, inhaltlich aber eher den Kern treffen, als jene vorformulierten Checklisten. |
2.4Handlungsempfehlungen, Opferfürsorge und Anhörungen
164Handlungsempfehlungen, Opferfürsorge und Anhörungen spielen im polizeilichen Alltag durchaus eine Rolle; sie sind allerdings nicht von dem Ziel der Informationsgewinnung in einem Strafverfahren geprägt und sollen daher hier nicht näher erläutert werden.
2.5Informatorische Befragungen
165Zu einem Zeitpunkt, an dem noch nicht geklärt ist, ob überhaupt ein strafrechtlich relevantes Geschehen infrage kommt und ob eine der anwesenden befragten Personen als Beteiligter dieser Straftat vernommen werden soll, sind sogenannte informatorische Befragungen anerkannt. Zu diesem Zeitpunkt besteht noch kein Beschuldigtenstatus.18
§ 9 Abs. 2 PolG NRW (Befragung, Auskunftspflicht, allgemeine Regeln der Datenerhebung)
(2) Die Polizei kann jede Person befragen, wenn Tatsachen die Annahme rechtfertigen, dass sie sachdienliche Angaben machen kann, die für die Erfüllung einer bestimmten polizeilichen Aufgabe erforderlich sind. Für die Dauer der Befragung kann die Person angehalten werden.
Entsprechende Regelungen finden sich auch in den Polizeigesetzen der anderen Länder.
Beispiel:
166Befragt etwa ein Polizeibeamter am „Tatort“ oder in dessen Umgebung Personen danach, ob sie ein bestimmtes Geschehen beobachtet haben, liegt darin selbst dann keine Vernehmung, wenn die Befragung von der Hoffnung getragen ist, dass es gelingt, einen Täter zu ermitteln.19
167Sicherlich gibt es viele Fälle, in denen Polizeibeamte zu einem Unfall gerufen werden und aufgrund einer Massenkarambolage eine strafrechtlich relevante Zuordnung in keiner Weise möglich ist. Genau diese – aber auch allein diese – Fälle sind diejenigen, die unbestritten außerhalb einer Belehrungspflicht liegen und informatorische Befragungen ermöglichen.
2.6Sondierungsfragen
168Nach Weihmann/Schuch20 gibt es neben bzw. in der informatorischen Befragung auch sogenannte Sondierungsfragen. Die Autoren bezeichnen damit solche Fragen, die der Befragte aufgrund einer rechtlichen oder gesetzlichen Pflicht beantworten muss; sie benennen dafür
–§ 111 OWiG (Frage nach den Personalien),
–§ 4 Abs. 2 FeV (Frage nach dem Führerschein) und
–§ 48 StPO (Frage, ob jemand als Zeuge in Betracht kommt)
als Beispiele.
Praxistipp: | |
169 | Die Anerkennung derartiger Sondierungsfragen als spezielle Kategorie scheint nicht erforderlich. Informatorische Befragungen reichen aus und die Frage nach dem Führerschein kann vorweg eine Belehrung erfordern, wenn etwa der Polizeibeamte weiß, dass dem Fahrzeugführer die Fahrerlaubnis (vorläufig) entzogen worden ist. |
2.7(Zufälliges) Mithören von Äußerungen
170In manchen Situationen treffen Polizeibeamte nach der Einsatzvergabe an einem frei zugänglichen Tatort ein und werden Zeugen von Äußerungen des Beschuldigten oder von Zeugen, bevor diese Personen die Polizeibeamten überhaupt wahrgenommen haben.
Beispiele:
171Bei einem Einsatz wegen häuslicher Gewalt steht die Hauseingangstür ebenso wie die Wohnungstür offen. Nachdem die Polizeibeamten die Wohnung betreten haben, hören sie vom Eingangsflur aus, wie der Beschuldigte
–sich