Integrative Medizin und Gesundheit. Группа авторов

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das Wie im konkreten kommunalen und Versorgungsalltag. Wie könnten bei Anna Zimmer Sozialstation, ärztliche Expertise und nachbarschaftliche Hilfe besser vernetzt werden?

      4. Gesundheitsförderung: Gesundheitsförderung orientiert sich an messbaren Zielen, beispielsweise der Erfolgsrate in der Tabakprävention. Vorzusehen ist die Ausdehnung auf Sektoren außerhalb des Gesundheitswesens, insbesondere auf die Betriebe der Region. Dieser Prozess soll ausdrücklich die Angebote der gesetzlichen Krankenkassen und der Rentenversicherung integrieren.

      5. Forschung: Eine der Kernkomponenten von AMBIGOAL ist die Erfassung von Patienteninformation und patientenrelevanten Outcomes in strukturierter Weise (Alguren et al. 2020; Saigle et al. 2019; Wiering et al. 2017). Anonymisiert werden über FIHR-Schnittstellen Daten in eine Forschungsdatenbank übertragen und auf regional aggregierter Basis mit Referenzdaten einer großen gesetzlichen Krankenkasse verglichen (Methode der synthetischen Kontrollgruppe). Innovative Forschungsdesigns wie etwa Regressions-Diskontinuität tragen im Versorgungsalltag neue Erkenntnisse über klinische Wirksamkeit, Effizienz, Zugänglichkeit, Praktikabilität und Ressourcenverbrauch bei.

      6. Qualitätssicherung: Die Voraussetzung für eine Qualitätssicherung ist, relevante Patientenoutcomes konsequent und strukturiert zu erfassen (Rosenzveig et al. 2014). Kaum eine Arztpraxis weiß heute wirklich, wie es ihren Patienten geht. Das Nichtwiederkommen wird gleichgesetzt mit Besserung. Anna Zimmers Hausarzt erfuhr erst Wochen später von der sich anbahnenden Verschlechterung und der Krise. Wie dies unter Einbezug der Patientenpräferenzen möglichst effizient erreicht werden kann, wird in einer multiprofessionellen Station zunächst an der Universitätsmedizin Mannheim exemplarisch entwickelt. In einem Open-Source Ansatz sollen die Erkenntnisse fortlaufend einer größeren Allgemeinheit zugänglich sein.

      7. Bildung und Ausbildung: Die Initiatoren von AMBIGOAL haben auf die Curricula verschiedener Ausbildungsinstitutionen für Physician Assistants eingewirkt bzw. waren daran maßgeblich beteiligt. Aufbauend auf existierende Formate, wie die noch für die klassische Hausarztpraxis entwickelte VERAH-Weiterbildung für medizinische Fachangestellte, werden über die VERAH hinausführende Formate unter Ausnutzung akademischer Aus- und Weiterbildung entwickelt und an die die erforderlichen Kompetenzen für die neuen Prozesse sowie Arbeits- und Verantwortungsaufteilungen angepasst werden. Zudem werden Ausbildungsmodule in digitaler Kompetenz für nicht ärztliche Fachberufe im Gesundheitswesen neu konzipiert und eingebunden vermittelt.

      8. Wissensaustausch: Neben der populärwissenschaftlichen Darstellung und Dissemination über klassische und soziale digitale Medien ist es unabdingbar, die Ergebnisse im Sinne wissenschaftlicher Evidenz, bei dem auch die zu erwartenden negativen Resultate dargestellt werden, nachhaltig für Fachkreise zu publizieren. Durch die Publikation in englischsprachigen, in PubMed gelisteten Open-Source-Fachartikeln in Zeitschriften mit Impact Factor wird ein qualitätsgesicherter Zugang zu den Ergebnissen für alle Interessierten sichergestellt.

      9. Finanzierung: Patientenzentrierte und Integrative Medizin bleiben Wunschdenken ohne adäquate Finanzierung. Wesentlich ist darum die Entwicklung von vertraglichen Vereinbarungen zur Ergänzung existierender Vergütungsformate oder Sonderverträge (z.B. § 140a SGB V). Diese müssen eine kostendeckende Vergütung der Mehraufwände sichern, bzw. ggf. durch sektorübergreifende kommunale Beteiligung Maßnahmen abdecken, die vor allem externen positiven Nutzen aufweisen. Ansatzpunkte für solche Innovation bietet etwa die Verordnung zur Aufnahme Digitaler Gesundheitsanwendungen in die Vergütung, bei welcher ausdrücklich auch Verbesserungen der Versorgung benannt sind. Schließlich gehört dazu auch eine Organisationsform, die den Arbeitsvorstellungen jüngerer Ärztinnen und Ärzte mehr entspricht, etwa als Medizinisches Versorgungszentrum in Eigentum einer größeren regionalen Genossenschaft.

      10. Politik: Wesentlich für die frühe Umsetzung solcher Innovation ist die frühe Einbindung der Politik. Bei AMBIGOAL haben wir dies früh auf Landesebene der Ministerien (Sozialministerium, Wirtschaftsministerium, Ministerium für den Ländlichen Raum, Ministerium für Wissenschaft und Kultur), der Körperschaften wie Ärztekammern, der Kassenärztliche Vereinigung, und der gesetzlichen Krankenkassen vorangetrieben. Auf regionaler Ebene ist ein unerlässlicher Partner der Regionalverband Nordschwarzwald, der das Vorhaben mit einer eigenen, mehrere Kommunen umfassenden Digitalisierungsinitiative verknüpft hat („Digital Black Forest“) und darüber den Zugang zu den Verantwortlichen für die kommunalen Gesundheitskonferenzen und den Landräten eröffnete sowie zu den Bürgermeistern der Region. Durch die Förderung im Rahmen des Forums Gesundheitsstandort Baden-Württemberg und die Einbindung der Koordinierungsstelle Telemedizin des Landes Baden-Württemberg soll die Wechselwirkung mit der Weiterentwicklung des Gesundheitswesens in Baden-Württemberg gesichert werden.

      Noch ist das Vorhaben AMBIGOAL eine geförderte Absichtserklärung mit Potenzial für die Zukunft. Wie rasch es sich im Nordschwarzwald umsetzen lassen wird, muss der Projektverlauf über die nächsten zwei Jahre zeigen. Hoffnung macht, dass beispielsweise in der Hochschulambulanz Witten bereits viele der genannten Komponenten in der Praxis verwirklicht sind. Hoffnung macht auch, dass der Landkreis Calw unabhängig von AMBIGOAL den Neubau eines medizinischen Campus vorantreibt, auf welchem auf einem Gelände die horizontale und vertikale Integration einschließlich Gesundheitsförderung abgebildet werden sollen.

      Hoffnung bleibt also, dass das, was Anna Zimmer in ihrem Einzelschicksal wiederfuhr, gängige Alltagspraxis wird. Nach Rücksprache mit den Söhnen entschieden sich die Ärzte entgegen der Patientenverfügung und in Abweichung von den Leitlinien zu einer versuchsweisen, begrenzten Intensivbehandlung mit einer kontrollierten Infusion von Noradrenalin zur Stabilisierung der Herzfunktion. Zur Überraschung aller erholte sich die alte Dame rasch und konnte nach sechs Tagen in private Rehabilitation bei dem in einem medizinischen Fachberuf tätigen Sohn entlassen werden. Inzwischen ist das soziale Netz der Kommune aktiviert. Sozialstation, Gärtner, Einkaufshilfe, Haushilfe, Nachbarn, alle unterstützen die alte Dame. Anna Zimmer ist dankbar für das Geschenk eines wunderbaren Frühlings, die Chance noch einmal ein paar Wochen, Monate oder vielleicht auch noch etwas länger in ihrem Haus leben zu können. Ein afrikanisches Sprichwort sagt: „Es braucht ein Dorf um ein Kind groß zu ziehen.“ Es braucht offensichtlich auch heute noch ein ganzes Dorf und mehr, um einem sehr alten Menschen einen würdigen Lebensabend zu ermöglichen.

       Literatur

      Alguren B et al. (2020) A scoping review and mapping exercise comparing the content of patient-reported outcome measures (PROMs) across heart disease-specific scales. J Patient Rep Outcomes 4(1): p. 7

      Annis, AM et al. (2016) Do Patient-Centered Medical Home Access and Care Coordination Measures Reflect the Contribution of All Team Members? A Systematic Review. J Nurs Care Qual 31(4): p. 357–66.

      Azzopardi-Muscat N et al. (2019) Digitalization: potentials and pitfalls from a public health perspective. Eur J Public Health 29(Supplement_3): p. 1–2.

      Blandford A et al. (2018) Seven lessons for interdisciplinary research on interactive digital health interventions. Digit Health 4: p. 2055207618770325.

      Chiang CY et al. (2018) Effectiveness of nurse-led patient-centered care behavioral risk modification on secondary prevention of coronary heart disease: A systematic review. Int J Nurs Stud 84: p. 28–39.

      Coombs JM et al. (2011) Factors associated with physician assistant practice in rural and primary care in utah. Int J Family Med 2011: p. 879036.

      Davies P (2008) In praise of salutogenesis: the missing component of most public health work. J Epidemiol Community Health 62(7): p. 572.

      Esch T, Brinkhaus B (2020) Neue Definitionen der Integrativen Medizin: Alter Wein in neuen Schläuchen? Complement Med Res 27(2): p. 67–69.

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