Philosemitische Schwärmereien. Jüdische Figuren in der dänischen Erzählliteratur des 19. Jahrhunderts. Katharina Bock

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Philosemitische Schwärmereien. Jüdische Figuren in der dänischen Erzählliteratur des 19. Jahrhunderts - Katharina Bock Beiträge zur nordischen Philologie

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Großvater) dadurch Erlösung im allumfassenden Sinne bringt. Benjamines Glück ist – wie das Glück der Frauenfiguren im Märchen – an die Figur eines heilbringenden Mannes gebunden. Er unterscheidet sich aber nicht durch den Adelsstand von den anderen Figuren, sondern durch seine göttliche Begabung. Die Figur der Sara in Andersens Märchen Jødepigen hingegen hat keinen irdischen Retter, und so ist ihr auch kein irdisches Glück beschieden.2 Es lohnt die Überlegung, ob es nicht gerade der Religionsunterschied zwischen Jüdin und Christ ist, der die Darstellung einer solch ungebrochenen und idealisierten Erlöserfigur, wie Veit sie darstellt, überhaupt erst ermöglicht. Denn die ideale männliche Erlöserfigur ist in IngemannsIngemann, Bernhard Severin Novelle nur im Zusammenspiel mit der Jüdin Benjamine erzählbar. Erst durch den Christen Veit findet Benjamine zu ihrem Glück. Erst durch die Jüdin Benjamine kann Veit als Erlöserfigur erzählt werden. Die Figur des alten Juden Philip Moses dient hierbei der weiteren Idealisierung des jungen Christen, denn je widriger die Bedingungen für Veit sind, unter denen er dem Rabbiner seinen Respekt entgegenbringt, desto edler und idealisierter lässt ihn dies erscheinen. Der edle Retter ist kein schlaffer Prinz, wie ihn die Märchen anzubieten haben, sondern ein Künstler, der gottbegnadet in der Lage ist, zum Erlöser Benjamines, zum Erlöser der Juden und zum Erlöser einer säkularisierten christlichen Gesellschaft zu werden. Durch seine Fähigkeit zum Erkennen und zum Erschaffen ist er in der Lage, Religion mit neuem, tiefen Sinn zu füllen und somit in die Nachfolge Christi zu treten.

      Wenn man nun also den Blick erneut auf AndersensAndersen, Hans Christian Märchen Jødepigen richtet, wird plausibel, warum diese Erzählung als Märchen veröffentlicht werden konnte. Offenbar lassen sich märchenhafte Strukturen auf jüdische Figuren übertragen oder anders gesagt: Die jüdischen Figuren eröffnen Assoziationsräume zu märchenhaften Topoi. Diese wiederum sind, wie ich in den folgenden beiden Kapiteln 2.7 und 2.8 anhand des Ahasverusmotivs zeigen werde, anschlussfähig an das (volks)religiöse Genre der Legende (vgl. Rosenfeld 1982: 5–17). In beiden Textsorten, dem Märchen und der Legende, geschehen Wunder, und „[d]urch Wunder kommt es zur Begegnung zwischen dem Göttlichen und der Welt der Menschen“ (Burdorf/Fasbender/Moennighoff/Schweikle, G./Schweikle, I. 2007: 424). Das Märchen Jødepigen3 ist aufgrund der wundersamen Bekehrung der Jüdin zum Christentum märchenhaft genug, um keine weiteren märchenhaften oder phantastischen Elemente hinzufügen zu müssen. Zum Topos der ‚schönen Jüdin‘ gehört diese innere Zuwendung zum Christentum, die entweder im Scheitern der Figur, oftmals sogar in ihrem Tod endet oder in die Konversion samt Ehe mündet.4 Die religiöse Erleuchtung ist also Teil des Topos, die märchenhafte Begegnung mit dem Heiligen Geist ist in der Figur der ‚schönen Jüdin‘ angelegt, die ‚schöne Jüdin‘ ist somit selbst ein Märchen.

      Die Novelle Den gamle Rabbin wird strukturiert durch Aus- und Einschlussprozesse einerseits, erzählt anhand der drei Haushalte, in denen Benjamine und Philip Moses Zuflucht suchen, und durch das Motiv der Mobilität und Rastlosigkeit andererseits, wenn die beiden Figuren sich von einem Haus zum nächsten und damit jeweils in eine ungewisse Zukunft aufmachen. Damit schreiben sich die Figuren Benjamine und Philip Moses in einen weiteren Topos ein: den des ‚ewigen Juden‘ Ahasverus. 1602 tauchte dieser erstmals in der pseudonym verfassten Ahasveruslegende Kurtze Beschreibung und Erzehlung von einem Juden/mit Namen Ahaßverus auf (vgl. Körte 2006: 43). Die Figur steht, obwohl selbst eben gerade kein Heiliger, durch ihren legendenhaften Charakter in einem heilsgeschichtlichen, christlichen Kontext (vgl. Körte 2000: 11 [Fußnote 1]; Rosenfeld 1982: 1–2, 15–19).1 Dabei ist Ahasverus nicht als Individuum gestaltet, sondern fungiert als „Protagonist einer L.[egende] v.a. als exemplarische Projektionsfläche bestimmter Ideen“ (Burdorf/Fasbender/Moennighoff/Schweikle, G./Schweikle, I. 2007: 425; vgl hierzu Körte 2006: 44–46). Als geistiges Kind der Reformation verbreitete er sich in den folgenden zwei Jahrhunderten soweit in der Literatur Europas, dass er schließlich zur literarischen Topos wurde. André Jolles bezeichnet Ahasverus als einen „unheiligen Gegenfüßler“ (1968: 52) zu den Heiligenfiguren der christlichen Legenden. Dennoch trägt auch er zum Heilsgeschehen bei, ist also selbst Legende, wenn auch eine „Antilegende“ (Jolles 1968: 51). Ahasverus soll ein Schuhmacher in Jerusalem zur Zeit Jesu gewesen sein, der dem Heiland auf seinem Weg nach Golgatha die Rast vor seinem Haus verweigert hat. Zur Strafe soll er dazu verdammt worden sein, bis in alle Ewigkeit auf Erden umherzuwandern, ohne sterben zu können oder jemals zur Ruhe zu kommen (vgl. Körte 2000: 27–48; für den dänischen Kontext vgl. Dal 1965; Edelmann 1965). Gesehen zu werden ist sein einziger Zweck. „Kein Wunder wäre es gewesen, wenn dieser Mann wie andere Sünder, wie sogar Judas selbst, für sein Unrecht in der Hölle hätte büßen müssen; Wunder ist, daß er nicht stirbt, daß er ewig lebend, allen sichtbar umherwandelt“ (Jolles 1968: 52). Auf diesen Topos spielt die Novelle nicht nur mit ihrer Struktur und der Rastlosigkeit ihrer Figuren an. Auch die Figurenrede verweist auf Ahasverus, wenn Philip Moses, als er das Haus seines zweiten Sohnes Isaak verlässt, zu Benjamine sagt: „Lad mig gaae, mit Barn! og græd ikke fordi jeg vandrer saa ene! jeg vil heller gaae huusvild paa Jorden, end laane Tag i Forargelsens Bolig [Lass mich gehen, mein Kind! und weine nicht, weil ich so einsam wandere! ich will lieber heimatlos auf Erden wandern, als Schutz in der Wohnstätte des Ärgernisses zu suchen]“ und Benjamine ihm antwortet: „Nu vel, saa bliver jeg hos dig [Nun gut, dann bleibe ich bei dir]“ (IngemannIngemann, Bernhard Severin 2007: 108). Benjamine und ihr Großvater sind ebenfalls rastlos, heimatlos, selbst innerhalb ihrer eigenen Familie und Gemeinde sind sie Fremde und Nicht-Zugehörige. Für alle sind sie sichtbar: für Christ*innen und Jüd*innen, für die Figuren und die Leser*innen. Erst mit der Hinwendung zum Christentum werden beide jüdischen Figuren von ihrer ewigen erzwungenen Wanderschaft erlöst. Damit deutet sich ein weiteres Mal die Nähe zu Ahasverus an, denn in der Literatur ist er stets dadurch gekennzeichnet, dass entweder „der Ewige Jude […] keine Entwicklung hat“ (Körte 2006: 47) oder die einzig mögliche Entwicklung ihn direkt ins Christentum führt. Philip Moses repräsentiert durch seine Sprache, seinen greisen Körper und schließlich seinen todesähnlichen Krankheitszustand eben jene Entwicklungslosigkeit, die auch Ahasverus verkörpert. In seinem Bann ist Benjamine ebenfalls dem Schicksal des Ahasverus ausgeliefert. Für Philip Moses fällt die Entwicklung zum Christentum mit dem Moment des Todes zusammen, seine Geschichte ist hier also auserzählt. In der Figur der Benjamine findet ebenfalls allein durch ihre Bekehrung zum Christentum eine Entwicklung statt, denn in diesem Schritt kann Benjamine sich aus der starren Perspektivlosigkeit, an der ihr Großvater festhält, lösen. Sie erlebt also als junge Frau ihre Erlösung noch zu Lebzeiten. Doch damit ist auch ihre Geschichte als Jüdin auserzählt und die Novelle endet.

      Der ‚ewige Jude‘ Ahasverus wird IngemannIngemann, Bernhard Severin noch einmal beschäftigen. 1833 erscheint sein umfangreicher (immerhin 237 Seiten umfassender) Gedichtzyklus Blade af Jerusalems Skomagers Lommebog [Seiten aus dem Notizbuch des Schuhmachers von Jerusalem] als eine Art lyrisches Reisetagebuch des ‚ewigen Juden‘. Als Unzugehöriger, der durch alle Länder und die Jahrhunderte wandert, wird er in der Rezeption des Zyklus als Verkörperung des autoreigenen „Fremmedfølelsen [Fremdheitsgefühls]“ (Akhøj Nielsen 2001–2017) in seiner Gegenwart begriffen. „Et karakteristisk udtryk for denne stemning […] er hans identifikation med Ahasverus i digtkredsen [Ein charakteristischer Ausdruck dieser Stimmung ist seine Identifikation mit Ahasverus im Gedichtzyklus]“ (Minke 2008). Wie Ahasverus als Identifikationsfigur nicht nur für Ingemann, sondern für den suchenden Dichter generell literarisch fruchtbar gemacht werden konnte, soll im folgenden Exkurs anhand eines weiteren Textes von AndersenAndersen, Hans Christian dargestellt werden (vgl. auch Thing 2001: 123–162).

      Nur kurze Zeit nach der Veröffentlichung von IngemannsIngemann, Bernhard Severin Novelle erschien Hans Christian AndersensAndersen, Hans Christian (1986) Debütroman Fodreise fra Holmens Canal til Østpynten af Amager i Aarene 1828 og 1829 [Fußreise vom Holmenkanal zur Ostspitze von Amager in den Jahren 1828 und 1829],

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