Philosemitische Schwärmereien. Jüdische Figuren in der dänischen Erzählliteratur des 19. Jahrhunderts. Katharina Bock

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Philosemitische Schwärmereien. Jüdische Figuren in der dänischen Erzählliteratur des 19. Jahrhunderts - Katharina Bock Beiträge zur nordischen Philologie

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      Auf der einen Seite der Individualismus eines Künstlers, Philosophen, Gönners und Kunstbesitzers, auf der anderen das wie eine Sache oder eine Abstraktion behandelte Objekt ihrer Aktivitäten – die Frau. (Berger 2016: 59)

      Zwar bezieht sich Berger mit diesem Befund vornehmlich auf die Aktmalerei. Dennoch befinden sich die beiden Gemälde als „Kleinode“, also als Schmuckstücke, als schmückende Objekte, in Veits Besitz. Veit eignet sich durch das Malen und das Besitzen der beiden Porträts nicht nur Benjamine, sondern auch Philip Moses an. Zeigt die Tatsache, dass er nicht nur die von ihm geliebte Benjamine porträtiert hat, sondern auch Philip Moses, auf der einen Seite den Respekt und die Achtung an, die Veit dem alten Juden entgegenbringt, so macht dessen Porträt in Veits Besitz auch deutlich, dass nicht nur Benjamine als Frau und ‚schöne Jüdin‘ Objektcharakter hat, sondern auch Philip Moses als Jude. Dagegen mag sich einwenden lassen, dass das Bild eines geliebten Menschen mehr darstellt als ein Objekt, das einfach nur besessen wird. Es ist vielmehr ein kostbares Erinnerungsstück, ein Trost für das sich sehnende Herz. Trotzdem ist der Blick auf das Machtverhältnis zwischen Sehendem (christlicher Mann/Künstler) und Gesehenen (Frau/Jüdin und Jude), zwischen Aktivität und Passivität, zwischen dem Schaffendem und den beiden Abgebildeten aus dieser Perspektive fruchtbar. Denn mit ihrer Hilfe lässt sich aufzeigen, dass die Blickrichtung, mit der der Text auf die Frau sieht, derjenigen ähnlich ist, mit der er auf den Juden sieht, nämlich durch die Augen des christlichen Mannes, der sich sowohl von der Frau und Jüdin als auch vom Juden ein Bild macht und dieses Bild über seine Kunst weiterverbreitet. Als christlicher Mann hat Veit die Deutungsmacht sowohl über die Frau als auch über den Juden. Als Jüdin und Frau, also als zweifache Außenseiterin im Sinne Mayers (vgl. 1981: 33–41), bietet Benjamine eine doppelte Projektionsfläche für Zuschreibungen durch den christlichen Mann. Als gottbegnadeter Künstler stellt aber auch Veit einen Außenseiter der Gesellschaft dar, der sich durch seine äußere Erscheinung ebenso wie durch sein inneres Wesen von der Mehrheitsgesellschaft unterscheidet. So vermag er als Einziger die Liebe der schönen Benjamine zu gewinnen und schließlich sogar den strengen Philipp Moses für sich einzunehmen und beide als ihr Retter auf eine höhere Glaubensstufe zu führen.

      Anders als beispielsweise in der Zauberflöte (1791) von Wolfgang Amadeus MozartMozart, Wolfgang Amadeus (und Emanuel Schikaneder, der das Libretto zur Oper schrieb), um das vielleicht prominenteste Beispiel zu wählen, oder in LessingsLessing, Gotthold Ephraim (2001) bürgerlichem Trauerspiel Emilia Galotti (1772), um ein Beispiel mit fatalen Folgen für die Porträtierte zu nennen,1 verliebt sich hier der junge Mann nicht in das bereits vorhandene Porträt einer schönen Frau, sondern fertigt das Bildnis im Handlungsverlauf selber erst an. Es wird auch folgerichtig gar nicht beschrieben, da Erscheinung und Aussehen Benjamines bereits zuvor aus der Perspektive des Künstlers (Malers/Autors) geschildert werden. Gleichzeitig ermöglicht das Auge des fiktiven Malers zu beschreiben, was nur ein Künstler zu sehen und zu begreifen in der Lage ist – nämlich den Moment, in dem Benjamine vom Heiligen Geist ergriffen wird und auch Philip Moses ihn in seiner Seele schon spürt, obwohl sein Verstand ihn noch nicht begriffen hat.

      Einmal mehr lässt sich feststellen, dass es sich bei den Figuren der Benjamine und des Philip Moses um (literarische) Bilder handelt, um Vorstellungen davon, wie Juden und Jüdinnen seien oder im Idealfall zu sein haben. IngemannsIngemann, Bernhard Severin Text nimmt die Möglichkeiten der Literatur (noch) nicht wahr, die Bilder, die der Text aufruft, zu modifizieren und zu unterwandern und lässt seine Hauptfiguren ungebrochen ihren glücklichen Weg ins Christentum und die Ehe gehen. Während die ‚schöne Seele‘ Emilia Galotti keine Möglichkeit hat, ihrem traurigem Schicksal zu entkommen, stellt für Benjamine die Konversion den Weg zur Errettung dar. Zwingende Voraussetzung für diese glückliche Wendung ist jedoch ihr Jüdischsein, das sie überwinden muss.

      In Kapitel 3 werde ich aufzeigen, wie eine andere, nur ein Jahr später veröffentliche Novelle, BlichersBlicher, Steen Steensen Jøderne paa Hald, ihre literarischen Möglichkeiten einsetzt, die Bilder, die der Text zunächst selbst aufruft, zu unterminieren. Dennoch ist es bemerkenswert, dass der erste dänische Erzähltext, der jüdische Figuren auftreten lässt und ihnen eine so zentrale Rolle zuweist, zugleich die Konstruiertheit des Bildes von „dem Juden“ und „der Jüdin“ in sich aufnimmt und thematisiert.

      2.4.3 Erlösen

      Über die Beziehung zwischen Benjamine und den beiden männlichen Figuren Philip Moses und Veit ist die Frage nach der Religion in den Diskurs von Leben und Tod eingeschrieben. Die Entscheidung, die Benjamine zu treffen hat, bedeutet zunächst, dass sie einen der beiden Männer verlieren muss: entweder ihren jüdischen Großvater, der ihre Vergangenheit und Herkunft repräsentiert, ihr jedoch als Perspektive nur den frühen Tod zu bieten hat, oder Veit, der ihre Zukunft sein könnte und mit dem sie auch sexuell eine fruchtbare Verbindung eingehen würde. Da in der Logik der Novelle Benjamines Anziehungskraft eben genau in ihrer vollkommenen Bereitschaft zur Aufopferung und ihrer Hingabe für das Wohlergehen ihres Großvaters besteht, entscheidet sich Benjamine trotz ihrer fruchtbaren Liebe zu Veit für die unfruchtbare Liebe zu ihrem Großvater. Und derselben Logik folgend fügt sich Veit in dieses Schicksal, nachdem er den alten Rabbiner noch einmal für ein Gespräch aufgesucht hat (IngemannIngemann, Bernhard Severin 2007: 119). So entschließt er sich, endgültig zurück nach Rom zu reisen, in die Künstlerkolonie, aus der er erst kurze Zeit zuvor in seine Heimatstadt zurückgekehrt war, und damit auch ins religiöse Zentrum des Christentums. Für Benjamine hingegen scheint das Gebundensein an Philip Moses in jedem Fall den Tod zu bedeuten. Sein Tod bedeutet ihren Tod, denn auch wenn der alte Rabbiner stirbt, wird sie sich nicht von ihrem Treuegelübde entbinden. „[H]endes Hjerte vil maaske briste derved; men hun vil ikke være den Døde mindre tro, end den Levende [Ihr Herz mag vielleicht daran zerbrechen; aber sie würde dem Toten nicht weniger treu sein als dem Lebenden]“ (Ingemann 2007: 120). Aber die Novelle findet schließlich doch noch ein glückliches Ende. Philip Moses, der bald wieder erkrankt und auf dem Totenbett von Benjamine gepflegt wird, empfängt noch im letzten Moment seines Lebens durch das weit geöffnete Fenster den Heiligen Geist und prophezeit mit letztem Lebenshauch seiner Enkelin, dass sie an seinem Grab ihre Erlösung finden werde:

      Han havde bedet Benjamine aabne Vinduet, at han endu engang kunde see den lyse Himmel, og da var det ligesom et helligt Syn hadve viist sig for ham i den venlige Morgenrøde. – „Skuffe mig ikke mine bristende Øine“ – havde han sagt – „saa kom til min Grav, Benjamine! og min Aand skal vise dig din Frelse“ – her var hans Stemme bleven utydelig; men hans Aasyn havde smilet forunderlig saligt. Med den stivnende Haand havde han endnu gjort et Tegn paa sit Dødsleie som et Kors, og rolig havde han opgivet Aanden i Benjamines Arme. (IngemannIngemann, Bernhard Severin 2007: 122)

      Er hatte Benjamine gebeten, das Fenster zu öffnen, damit er noch einmal den leuchtenden Himmel sehen konnte, und da hatte sich ihm gleichsam eine heilige Erscheinung in der freundlichen Morgenröte gezeigt. – „Täuschen mich meine brechenden Augen nicht“ – hatte er gesagt – „so komm an mein Grab, Benjamine! und mein Geist wird dir deine Erlösung zeigen“ – hier war seine Stimme undeutlich geworden; doch sein Gesicht hatte wundersam selig gelächelt. Mit der steifen Hand hatte er noch ein Zeichen auf seinem Totenlager gemacht, wie ein Kreuz, und ruhig hatte er seinen Geist in Benjamines Armen aufgegeben.

      Anders als Benjamine, deren religiöse Erkenntnis durch den Blick des Künstlers eintritt, ereilt Philip Moses die Erleuchtung am und durch das Fenster. Wie bei Veit dient es auch hier als Metapher der Erkenntnis. Das heißt wiederum, dass Religiosität und Erkenntnis erneut mit der Kategorie Geschlecht verschränkt und hierarchisiert werden. Während beide Männer durch das Fenster Erkenntnis erlangen, ist Benjamines Erkenntnis an das Gesehenwerden durch einen christlichen Mann gebunden. Allerdings ist wiederum die Vorbedingung für Philip Moses’ Erleuchtungsmoment, dass dieser zuvor die Worte des Neuen Testaments aus dem Mund seiner Enkelin Benjamine gehört hat, wodurch Benjamine als Mittlerin zwischen Alt und Neu, Judentum und Christentum hierarchisch

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