Philosemitische Schwärmereien. Jüdische Figuren in der dänischen Erzählliteratur des 19. Jahrhunderts. Katharina Bock

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Philosemitische Schwärmereien. Jüdische Figuren in der dänischen Erzählliteratur des 19. Jahrhunderts - Katharina Bock Beiträge zur nordischen Philologie

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hat Isaak sich weitestgehend entfernt. Seine fünf Kinder sind allesamt blond und blauäugig, als hätte der Grad der Assimilation sich bereits in die Körper der Folgegeneration eingeschrieben und jegliche Verbindung zu den leiblichen Vorfahren väterlicherseits auch biologisch abgebrochen. Isaak lebt das assimilierte Leben, das die Juden im Hause Samuels in ihrer Not erst zu entwerfen versuchen. Als Kleiderhändler lebt er einen bürgerlichen Wohlstand, ist aber nicht reicher als viele andere auch. Er unterhält freundschaftliche Kontakte zu Juden wie Christen, die in seinem Haus ein- und ausgehen – wenngleich die Novelle, als die Handlung im Haus von Isaak spielt, tatsächlich nur von Christen erzählt, die dort zu Gast sind. Isaak hat seine Religion weitestgehend abgestreift, ohne eine andere angenommen zu haben. Kurz: Er verkörpert ein säkularisiertes, in der Auflösung begriffenes Judentum. Seine bürgerlich etablierte Lebenssituation stellt scheinbar eine Alternative und einen Kontrast zum ausschließlich an ökonomischen Gewinn interessierten Bruder dar. Doch das Problem ist hier ebenfalls ein Mangel an Nächstenliebe, welcher sich aus einem Defizit an gelebter und empfundener Religiosität ergibt. Isaak nimmt seinen Vater zwar bei sich auf, doch schnell stellt Philip Moses auch hier einen Fremdkörper dar, dessen Anwesenheit den Anderen bald lästig wird. Auch die Freunde des Hauses verhalten sich Philip Moses gegenüber respektlos und äußern sich in seiner Anwesenheit gar zustimmend und verharmlosend über die judenfeindlichen Ausschreitungen, die noch immer nicht ganz abgeklungen sind. Schließlich stellt sich sein fünfjähriger blonder Enkel vor den alten Rabbiner hin, um seinen demütigenden Spaß mit ihm zu treiben: „[H]ar jeg en skægget Smaus til Bestefader, som ikke tør spise Flesk? nei, ham skal vi lege Hep Hep med, som de andre Drenge [Hab ich einen bärtigen Schmautz (Schimpfwort für ‚Jude‘, KB) zum Großvater, der nicht wagt, Schweinefleisch zu essen? Nein, mit ihm wollen wir Hep Hep spielen, wie die anderen Jungen]“( IngemannIngemann, Bernhard Severin 2007: 113). Benjamine, tief getroffen von den Schmähungen gegen ihren Großvater, hält ihrem kleinen Cousin weinend die Hand vor den Mund, Isaak unternimmt einen vagen Versuch, seinen Vater zu verteidigen, doch seine Frau nimmt „det unskyldige Barn [das unschuldige Kind]“ in Schutz und beklagt: „[H]erefter tør Ingen af os mere lukke Munden op i vort eget Huus [Hiernach wagt keiner von uns mehr, den Mund in unserem eigenen Haus aufzumachen]“ (Ingemann 2007: 114). So sieht sich Philip Moses erneut gezwungen aufzubrechen und auch das Haus seines zweiten Sohnes zu verlassen. Begleitet wird er wiederum von Benjamine, die ihn nicht aus den Augen und aus ihrer Obhut lässt, und die im Hause ihres Onkels und der angeheirateten Tante ohnehin nicht mehr als einen Platz zum Schlafen und eine Menge Hausarbeit zur Aufgabe bekam.

      Auch im Haushalt seines zweiten Sohnes Isaak fehlt es also an Wärme und Liebe ebenso wie am Glauben an Gott, auch hier wird Philip Moses gewaltvoll von seiner eigenen Familie und Gemeinschaft ausgegrenzt. Während draußen vorm Hause Samuels der „hamborgske Pøbel [hamburgische Pöbel]“ (IngemannIngemann, Bernhard Severin 2007: 105) die geschäftstüchtigen Juden bedroht, sind im Hause Isaaks Christen und Juden in ihrer areligiösen Gefühlskälte miteinander vereint. Obwohl „Christen“ genannt, ist mehr als deutlich, dass diesen Christen jegliche Form der Nächstenliebe fremd ist. Auch der Respekt vor dem alten Rabbiner fehlt ihnen, als sie einander spöttisch fragen: „Hvem er den underlige Gamle? – han taler jo som en Bibel [Wer ist der wunderliche Alte? – Er redet ja wie eine Bibel]“ (Ingemann 2007: 113). So stellt sich in der Novelle der Konflikt nicht zwischen Juden und Christen dar, sondern zwischen aufrichtigem Glauben und Gottesferne. Gottesferne führt stets zu Ausgrenzung, die in der Novelle durch die wiederholten Ortswechsel erzählt wird, zu denen Großvater und Enkelin genötigt sind. Kritik richtet sich nicht gegen eine der beiden Religionsgemeinschaften, sondern gegen die Säkularisierung. Die Jüdin und der Rabbiner als idealisierte Figuren in diesem philosemitischen Konstrukt sind die Opfer dieser Verweltlichung, die Opfer einer Gesellschaft, die seit der Aufklärung einen rasanten Wandel vollzieht.

      Konfessionelle Beliebigkeit und Konversion aus Kalkül sind Vorwürfe, die auch aus späteren Werken IngemannsIngemann, Bernhard Severin herauszulesen ist. So weist Mogens Brøndsted darauf hin, dass die Konversion zum Christentum, wie sie „Heinrich Heine og konsorter [Heinrich Heine und Konsorten“] (Brøndsted 2007b: 16) vollzogen haben, von Ingemann in seinem Drama Renegaten [Der Renegat; 1838] (1853a) kritisch karikiert wird. „Derimod havde Ingemann respekt for den gammeljødiske ånd, som det ses af fortellingen ‚Den gamle Rabbin‘ [Hingegen hatte Ingemann Respekt vor dem altjüdischen Geist, wie an der Erzählung ‚Den gamle Rabbin‘ zu sehen ist]“ (Brøndsted 2007b: 16). Doch dieser „altjüdische Geist“ ist ein Phantasma, der einer christlichen Wunschvorstellung vom Judentum entspringt. Die Texte Ingemanns schreiben sich in die vorherrschende Religionsauffassung der deutschen Romantiker ein, wie der Germanist Wolf-Daniel Hartwich in seiner Monografie Romantischer Antisemitismus (2005) dargelegt hat:

      Die Romantiker beklagen in der Gegenwart den allgemeinen geistig-religiösen Niedergang der westlichen Kultur durch ihre Säkularisierung, Kapitalisierung und Industrialisierung. Das Judentum habe diesen Prozeß nicht bewirkt, fördere diesen aber und profitiert [sic!] von ihm. Die romantische Apokalyptik vollzieht keine dualistische Konfrontation mit dem Judentum. Vielmehr wird in der jüdischen Überlieferung selbst[,] als der ältesten göttlichen Ursprungs[,] das genetische Potential der Erlösung gesehen. Die jüdische Urgeschichte wird dabei in die christliche Kunstreligion transformiert. (Hartwich 2005: 27)

      Neben den opportunistischen Juden dieser Novelle sind es also einzig Philip Moses und Benjamine, die eine aufrichtige Nähe zu Gott und damit „das genetische Potential der Erlösung“ repräsentieren. In ihren Figuren verschränken sich Konzepte von Religiosität, Geschlecht und Alter hierarchisch: Während Philip Moses’ Handeln stets auf Gott bezogen ist, ist Benjamine mit ebensolcher Innbrunst auf ihren Großvater bezogen. Während Philip Moses Gott gegenüber absolut loyal ist, ist Benjamine ihrem Großvater gegenüber vollkommen loyal. Doch bietet die Novelle Benjamine noch einen anderen religiösen Weg an, der sie zunächst in große Gewissensnöte bringt: den jungen christlichen Maler Veit.

      2.3.3 Ankommen: Im Hause der guten Christen

      Veit hat seinen Weg als Sohn des Hausarztes in die Familie von Isaak gefunden und unterrichtet dort als „Tegnemester; men hvad der drog ham did var især Benjamines skjønne Ansigt, der havde et særdeles Interesse for ham som Kunstner [Zeichenmeister; doch was ihn dorthin zog, war insbesondere Benjamines schönes Gesicht, das für ihn als Künstler von besonderem Interesse war]“ (IngemannIngemann, Bernhard Severin 2007: 112). Auch ihr gibt er hin und wieder Zeichenstunden und steht nun, während Philip Moses in einem Sessel in der Ecke sitzt,

      ved Vinduet og talte med Benjamine om den gamle ærværdige Bedstefader, som han strax havde bemærket og hilset med den Ærbødighed, hans Alder og ædle Udseende opvakte, og over hvis skjønne patriarkalske Oldingshoved han ret havde glædet sig. (IngemannIngemann, Bernhard Severin 2007: 112)

      am Fenster und sprach mit Benjamine über den alten ehrwürdigen Großvater, den er sogleich bemerkt und mit der Ehrerbietung gegrüßt hatte, wie sein Alter und edles Aussehen es verlangten, und über dessen schönes patriarchalisches Greisenhaupt er sich recht gefreut hatte.

      Als einziger der Hausgäste begegnet Veit ihm mit Freundlichkeit und Wärme und empfindet ihm gegenüber schnell eine ebenso große Zuneigung wie gegenüber Benjamine. Das Fenster, an dem er mit Benjamine steht, fungiert hierbei als Erkenntnismetapher, die den jungen Maler gegenüber den anderen Gästen, die sich in der Tiefe des Raumes befinden, aber auch gegenüber Philip Moses, der allein in einer Ecke sitzt, auszeichnet.

      Als Philip Moses und Benjamine auch das Haus des zweiten Sohnes verlassen, weil Philip Moses die Kälte und Respektlosigkeit dort nicht mehr erträgt, und Benjamine „fulgte grædende efter ham [ihm weinend folgte]“ (IngemannIngemann, Bernhard Severin 2007: 114), erweist sich Veit als ihr Retter. Er schützt sie vor weiteren judenfeindlichen Übergriffen durch gewaltbereite Christen und bringt sie in das Haus seines Vaters, wo Philip Moses noch auf der Türschwelle zusammenbricht und in ein langes Fieber und einen tiefen Schlaf fällt. Die Türschwelle zum Haus des Christen ist ein

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