Philosemitische Schwärmereien. Jüdische Figuren in der dänischen Erzählliteratur des 19. Jahrhunderts. Katharina Bock

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Philosemitische Schwärmereien. Jüdische Figuren in der dänischen Erzählliteratur des 19. Jahrhunderts - Katharina Bock Beiträge zur nordischen Philologie

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Übergangssituation verbleibt er lange Zeit. Oft schreckt er aus seinen Fieberfantasien hoch, „hvori han ofte med Job forbandede sin Fødselstime og med Propheterne saae sit ulykkelige Folks Undergang og Jerusalems ødeleggelse [in denen er oft mit Hiob seine Geburtsstunde verfluchte und mit den Propheten den Untergang seines unglücklichen Volkes und Jerusalems Zerstörung vorhersah]“ (Ingemann 2007: 115). Seinen hiobgleichen Qualen begegnet Benjamine, in dem sie an seinem Bett sitzt und betet oder ihm aus der Bibel vorliest. Die Worte der Heiligen Schrift beruhigen den Kranken, ohne dass ihm jedoch bewusst ist, dass es sich um die Evangelien handelt. Benjamine selbst ist von den Worten tief bewegt und geht aus der Krankheitsphase ihres Großvaters als ‚Seelenchristin‘ hervor.1 Während für Philip Moses Veits Haus Symbol für ein Übergangsstadium zwischen Leben und Tod, zwischen Judentum und Christentum, zwischen Tod und Ewigem Leben bleibt, wird es Benjamine, deren Leben bisher durch Rastlosigkeit und Unzugehörigkeit gekennzeichnet war, zur geistigen und geistlichen Heimat.

      Veit, der Künstler, und sein Vater, „den gamle Doctor Veit [der alte Doktor Veit]“ (IngemannIngemann, Bernhard Severin 2007: 116), bieten Benjamine und Philip Moses erstmals in der Novelle einen sicheren und geschützten Raum, aus dem sie nicht gewaltsam ausgeschlossen werden. Veits Vater tritt in der Novelle jedoch kaum weiter in Erscheinung. Als Arzt ist es sein Beruf und seine Berufung zu helfen, so dass sein freundliches Handeln gegenüber Philip Moses und Benjamine keiner weiteren Begründung bedarf.2 Der junge Maler Veit vor allem ist es, dessen Handeln als wahrer Christ in die Zukunft weist. Das Gebot der Nächstenliebe wird als christliches Alleinstellungsmerkmal inszeniert, das nun, da es den beiden jüdischen Figuren endlich entgegengebracht wird, zwangsläufig zu deren Konversion führen wird. Im Wechsel mit Benjamine wacht Veit am Bett des kranken Juden. Anders als Philip Moses redet er nicht nur von Gott, sondern handelt nach göttlichem Gebot. Somit werden in diesen beiden Figuren zwei religiöse Konzepte einander gegenübergestellt: starres Wort vs. gute Tat. Bereits in der Figurenkonstellation ist festgelegt, welches Konzept hier das zukunftsweisende ist. Der Text macht das Judentum als ein krankendes religiöses Prinzip aus. Es ist zwar als Vorläuferreligion des Christentums inszeniert, wird aber zugleich totgesagt. Denn für Benjamine stellt das mit der Figur des Philip Moses verbundene Prinzip keine Zukunftsperspektive dar. Weder ihr verwandtschaftliches Verhältnis zu ihrem Großvater noch dessen Form der Religiosität weisen Benjamine einen Weg in die Zukunft. In Veit hingegen vereinen sich das Versprechen einer bürgerlichen Ehe samt Nachkommenschaft und das Versprechen auf religiöse Erlösung. Der Erfüllung dieses Zukunftsversprechens stehen jedoch die tiefe Religiosität des Rabbiners und die Loyalität der Enkelin zu ihrem Großvater im Weg. Denn er erfasst die Botschaft des Evangeliums zunächst nicht. Sein ambivalenter Zustand zwischen Leben und Tod, aus dem er sich nur kurz erholt, verweist auf einen Zustand religiöser Ambivalenz.

      2.4.1 Erkennen

      Als sich Philip Moses augenscheinlich von seiner Krankheit erholt hat, möchte er das Haus der Christen verlassen und zurück in die jüdische Gemeinde kehren. Doch Benjamine ist nun gefangen zwischen der Loyalität zum alten Glauben/dem alten Mann und der Liebe zum neuen Glauben/dem jungen Mann. Wann immer Benjamine selbst spricht, das heißt ihr Sprechen im Text als Figurenrede markiert ist, sind es fast ausschließlich Worte, mit denen sie ihren Großvater schützt und verteidigt. So hat sie auch in diesem, ihrem eigenen, inneren Konflikt zunächst weder eine Stimme noch Handlungsmacht. Bei ihrer bevorstehenden Trennung ist es Veit, der erkennt und an ihrer Stelle ausspricht, dass sie ihn liebt:

      [D]a saae de unge Mennesker smertelig paa hinanden, og Taarerne styrtede dem begge af Øiene.

      „Ja, Benjamine! nu seer jeg det – du elsker mig, som jeg længe har elsket dig“ – sagde den unge Veit plutselig og greb hendes Haand, og førend Benjamine kunde besinde sig, laae de begge for de Gamles Fødder og bade om deres Velsignelse. (IngemannIngemann, Bernhard Severin 2007: 118)

      Da sahen die jungen Menschen einander schmerzvoll an, und Tränen stürzten ihnen beiden aus den Augen.

      „Ja, Benjamine! Nun erkenne ich es – du liebst mich, wie ich dich lange schon geliebt habe“ – sagte der junge Veit plötzlich und griff ihre Hand, und ehe Benjamine sich besinnen konnte, lagen sie beide zu Füßen der Alten und baten um ihren Segen.

      Um mögliche Einwände des Rabbiners oder seines Vaters gleich zu entkräften fügt Veit hinzu: „Benjamine er Christen i Hjertet [Benjamine ist Christin im Herzen]“ (IngemannIngemann, Bernhard Severin 2007: 118). Diese beiden entscheidenden Bekenntnisse kann Benjamine nicht selbst aussprechen, sie bedarf auch im Ausdruck ihrer intimsten Gefühle und Gedanken der Worte des jungen Christen. Erst in dem Moment, als sie sich zwischen Veit und Großvater, Christ und Jude, Herkunft und Zukunft entscheiden muss, spricht sie schließlich selbst und offenbart dem Großvater, indem sie seine Knie umfasst, „det var Christi Ord, jeg læste for dig [es waren Christi Worte, die ich für dich gelesen habe]“ (Ingemann 2007: 118). Doch ist dies kein Glaubensbekenntnis, sondern vielmehr ein Schuldgeständnis. Auf die tiefe Erschütterung des Alten kann Benjamine nur reagieren, indem sie ihm Gehorsam verspricht und ihm zurück in die jüdische Gemeinde folgt, wo für sie nur noch der Tod vorstellbar ist: „[T]ag mig med dig og lad mig døe i dine Arme! men fordøm mig ikke i min Dødsstund! hvad der er skeet i min Sjæl var den Høiestes Villie [Nimm mich mit und lass mich in deinen Armen sterben! aber verfluche mich nicht in meiner Todesstunde! Was in meiner Seele geschehen ist, war der Wille des Höchsten]“ (Ingemann 2007: 119). Und doch gibt es für Benjamine kein Zurück zum Judentum, denn sie ist bereits übergetreten, in die Sphäre des christlichen Mannes.

      Veit stellt eine Ausnahme unter den Hamburger Christen dar. Als Maler ist er kürzlich aus der deutschen Künstlerkolonie in Rom zurückgekehrt. Die Stadt Rom ist vielfältig symbolisch aufgeladen: als religiöser und kultureller Gegenpol zur Stadt Jerusalem, als Sehnsuchtsort dänischer und deutscher Literaten und Künstler im späten 18. und frühen 19.Jahrhundert und darüber hinaus auch ganz konkret als Ort, an dem die sogenannten Nazarener wirkten und arbeiteten. Diese Künstlergruppe orientierte sich stilistisch an der Malerei der italienischen Renaissance und stellte vor allem religiöse Motive in den Mittelpunkt ihres Kunstschaffens. Äußerlich ähnelt Veit selbst einem Renaissancegemälde, denn er ist gekleidet „i gammeltydsk Dragt og med lange gule Lokker om den hvide Krave [in altdeutscher Tracht und mit langen goldenen Locken über dem weißen Kragen]“, wie es in Rom „almindelig blandt Konstnerne [üblich unter den Künstlern“] ist (IngemannIngemann, Bernhard Severin 2007: 112). Veit, dessen Berufung das Malen ist, ist derjenige, der sehen und das Gesehene in ein Kunstwerk umsetzen kann. Diese Fähigkeit zu sehen zeigt sich bereits, als er als einziger der Hausgäste im Hause Isaaks den alten Juden in seiner Ecke wahrnimmt und sich ihm gegenüber angemessen respektvoll zeigt. Es drückt sich aus, indem er Benjamines Gefühlsregungen erkennt und körpersemiotisch liest, ohne dass sie sie formulieren muss (oder darf oder kann). Am deutlichsten zeigt es sich aber, als Benjamine am Krankenbett ihres Großvaters sitzt und Veit sie und ihren Großvater malt:

      Tidt, naar Benjamine havde læst den Gamle til Ro og sad stille med den hellige Bog i sin Haand ved hans Leie, medens han slumrede, og det herlige Oldingsaasyn smilede beroliget til hende i Drømme – sad Veit med sin Pensel ligefor dem og afbildede dem begge. For Benjamines Sjæl gik et underfuldt Lys op ved hvad hun læste for den Gamle og hvad hun talede med den fromme Maler om den hellige Bog, som indeholdt Kilderne baade til hendes og til hans forskjellige Troesbekjendelse. (IngemannIngemann, Bernhard Severin 2007: 116)

      Oft, wenn Benjamine den Alten durch ihr Lesen zur Ruhe gebracht hatte und still mit dem heiligen Buch in der Hand an seinem Lager saß, während er schlummerte und das herrliche Greisengesicht ihr im Traum beruhigt zulächelte – saß Veit mit seinem Pinsel gleich vor ihnen und bildete sie beide ab. Vor Benjamines Seele ging ein wundervolles Licht auf durch das, was sie dem Alten vorlas und was sie mit dem frommen Maler über das heilige Buch sprach, das die Quellen ihrer beider unterschiedlicher Glaubensbekenntnisse enthielt.

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