Philosemitische Schwärmereien. Jüdische Figuren in der dänischen Erzählliteratur des 19. Jahrhunderts. Katharina Bock

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Philosemitische Schwärmereien. Jüdische Figuren in der dänischen Erzählliteratur des 19. Jahrhunderts - Katharina Bock Beiträge zur nordischen Philologie

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være ligesaa gode som alle vore Fixfaxerier. I vore Tider er den Tro s’gu den bedste, som giver Sikkerhed og Fred i Handel og Vandel [Das sind ja nur lumpige Zeremonien, die ebenso gut sind wie unser ganzer Firlefanz. In unseren Zeiten ist der Glaube der beste, der Sicherheit und Frieden im Handel und Wandel gibt]“ (Ingemann 2007: 100). Und so drückt sich nicht nur seine Missachtung gegenüber der christlichen, sondern auch gegenüber der eigenen, der jüdischen Religion aus. Von ihr hat sich Samuel längst abgewandt, auch seine Sprache drückt dies aus. Das umgangssprachliche „s’gu“ verwendet vor allem Samuel in seiner Figurenrede – außer ihm nur ein weiterer reicher Jude aus seinem Umkreis – und das auffallend häufig. „S’gu“ ist eine umgangssprachliche Interjektion und zu Beginn des 19.Jahrhunderts ein Modeausdruck (vgl. Det Danske Sprog- og Litteraturselskab 1939). Seine Verwendung zeigt also an, wie Samuel seine Sprache der Sprache der Mehrheitsgesellschaft angepasst hat. Gleichzeitig steht sie im Kontrast zur altmodischen und von religiösen Motiven durchzogenen Sprache des Rabbiners. Im Gegensatz zu den jüdischen Figuren auf der Theaterbühne, deren Rede häufig durch eine Sondersprache gekennzeichnet ist (vgl. Brandenburg 2014: 106–110), zeichnet sich die Sprache Samuels also gerade durch die auffällige Verwendung moderner Alltagssprache aus. Ironischerweise ist „s’gu“ eine Verkürzung von „saa Gud hjelpe mig“ („so wahr mir Gott helfe“), die Samuel also auch dort verwendet, wo er die religiöse Zugehörigkeit auf ihre assimilierende Funktion reduziert. Der Modeausdruck verweist somit zum einen auf den gesamtgesellschaftlichen Säkularisierungsprozess, dem der Text selbst kritisch gegenübersteht, zum anderen zeigt er an, dass Samuel und dessen soziales Umfeld unkritisch an diesem Säkularisierungsprozess teilhaben. Samuels Vater, der Rabbiner, erinnert ihn mit seinen mahnenden Worten und seiner Frömmigkeit stets und ständig an die Religion seiner Vorfahren und wird seinem Sohn dabei immer lästiger. Die reichen Juden im Hause des noch reicheren Samuel schlagen unterschiedliche Strategien vor, sich ihrem christlich dominierten Umfeld anzupassen, um weiterer Verfolgung zu entgehen. Sei es die Taufe, als scheinbar einfache Formalität, oder der Wunsch, die Taufe könnte durchgeführt werden mit „ætsende Vand, som kunde gjøre vore sorte Haar lyse [ätzendem Wasser, das unsere schwarzen Haare hell machen könnte]“ (Ingemann 2007: 101). Ein Anderer bringt an, dass es nicht die Religion sei, wegen der die Juden verfolgt würden, sondern ihr Reichtum. Ein Jude sei doch ohnehin immer als Jude zu erkennen, ob getauft oder nicht. So sei es besser, den Reichtum nur im eigenen Heim auszuleben, „men bærer ikke eders Veldfærd til Skue! saa er det Ingen, som misunder og forfølger Eder [aber stellt nicht euren Wohlstand zur Schau! dann neidet und verfolgt euch auch niemand]“ (Ingemann 2007: 103). Dem entgegnet „en af de rigeste [einer der Reichsten]“ (Ingemann 2007: 103) mit dem Vorschlag von Anbahnungen interkonfessioneller erotischer Verhältnisse zwischen den eigenen Töchtern und den Söhnen der christlichen Geschäftspartner. Sogar die eigenen Ehefrauen werden hier als willfährige Vermittlerinnen in Betracht gezogen: „[V]i vil bede alle de unge Grosserersønner til Bords hos os – vore Døttre og Koner skal være milde og føielige imod dem og ikke agere saa knipske og ærbare [Wir werden all die jungen Söhne der Großhändler an unseren Tisch bitten – unsere Töchter und Frauen sollen ihnen gegenüber mild und fügsam sein und nicht so schnippisch und ehrbar agieren]“ (Ingemann 2007: 103).

      In dieser ökonomisch und zweckorientiert argumentierenden Gemeinschaft erscheint der Rabbiner Philip Moses als ein Fremdkörper. Seine Rede ist stets auf die Hebräische Bibel bezogen, vermischt sich immer wieder mit direkten Zitaten aus dem Alten Testament,1 zumeist aus den Prophetenbüchern, und seine eigenen Worte klingen selbst wie Prophetie, in denen bereits das Donnern des Jüngsten Tags anklingt, wenn er zum Beispiel ausruft:

      „Elendige Søn […] fordømt være den Aand, som taler gjennem din Mund! […] Fordømt være det Gods og det Liv, hvorfor du vil sælge dine Fædres Tro […]! – Fordømt være den Sikkerhed og Fred, hvorfor du forraader Jehova! – fordømt den Handel og Vandel, som har gjort Guds Folk til Slaver af Mammon og til Guldkalvens afsindige Tilbedere!“ (IngemannIngemann, Bernhard Severin 2007: 100)

      Elender Sohn, verflucht sei der Geist, der durch deinen Mund spricht! Verflucht sei das Habe und das Leben, für das du den Glauben Deiner Väter verkaufen willst! Verflucht seien die Sicherheit und der Frieden, für den du Jehova verrätst – verflucht der Handel und Wandel, der Gottes Volk zu Sklaven des Mammon und zu wahnsinnigen Anbetern des Goldenen Kalbes gemacht haben!

      So herrscht Samuel ihn unbeeindruckt und ungeduldig an: „Du taler over dig, Gamle! […] og forstaaer dig ikke paa at føie dig i Tiden. Du er gammel og hænger ved det Gamle; men dine Propheters Tider ere s’gu forbi [Du bist außer dir, Alter! und verstehst es nicht, dich in die Zeit zu fügen. Du bist alt und hängst am Alten; aber die Zeiten deiner Propheten sind nun vorbei]“ (IngemannIngemann, Bernhard Severin 2007: 100), und so fordern auch die anderen Juden: „Bort, bort med den gamle Prophet! [Weg, weg mit dem alten Propheten!]“ (Ingemann 2007: 104). Philip Moses erfährt also innerhalb seiner eigenen Gemeinschaft eben jene Ausgrenzung, vor der die anderen Juden sich zu schützen suchen. Was Philip Moses in seiner eigenen Familie zum Objekt des Spotts macht, schützt ihn wiederum, als er inmitten der Hep-Hep-Krawalle das Haus seines Sohnes verlässt, weil der innerjüdische und innerfamiliäre Konflikt, der im Moment der Bedrohung von Außen seinen Höhepunkt findet, für ihn nicht mehr zu ertragen ist. Dem steinewerfenden Pöbel auf der Straße gilt Philip Moses hingegen als „ærlig Mand – ham er det Synd at røre ved eller spotte [ehrlicher Mann – ihn anzurühren oder ihm zu spotten ist Sünde]“ (Ingemann 2007: 105). So lassen sie ihn unversehrt passieren.

      2.3.2 Ausgrenzung II: Im Hause des assimilierten Juden

      Begleitet wird Philip Moses von Benjamine, seiner fürsorglichen und frommen Enkelin, die ihm als einzige ihre ungebrochene Loyalität und Liebe entgegenbringt. Benjamines Mutter Rahel, die Tochter des alten Rabbiners, ist früh verstorben, und da Benjamine auch keinen Vater mehr hat, lebt sie abwechselnd bei ihren beiden Onkeln Samuel und Isaak. In der Novelle wird nicht ausdrücklich erwähnt, dass der Vater ebenfalls verstorben ist, doch ist davon auszugehen, da Benjamine „fader- og moderløs [vater- und mutterlos]“ ist (IngemannIngemann, Bernhard Severin 2007: 106). Bemerkenswert ist diese unkommentierte Leerstelle insofern, als dem Vater offenbar keine Bedeutung beigemessen wird. Die Figur des weisen Patriarchen ist durch den alten Rabbiner abgedeckt, die negativen jüdischen Figuren durch die beiden Söhne des Rabbiners. Die verstorbene oder abwesende Mutter ist Teil des Narrativs von der ‚schönen Jüdin‘ und findet sich in fast allen anderen Texten dieser Analyse wieder.1 Der abwesende Vater, der weder als negativ konnotierter „Geldjude“ noch als alter Patriarch dargestellt werden muss, da diese Figuren bereits besetzt sind, hat keinen literarischen Kontext, in den er sich einschreiben könnte, und bleibt somit unerzählt.

      In der Kälte der Herbstnacht überredet Benjamine ihren Großvater, mit ihr zu Isaak zu kommen, mit dem ihr Großvater seit fünf Jahren kein Wort mehr gesprochen hat, seit Isaak eine Christin geheiratet hat. Da Philip Moses und Benjamine sonst keinen Zufluchtsort haben, suchen sie nun Schutz bei Isaak und seiner Frau. Die Ehe zwischen einem Juden und einer Christin ist in der Literatur, im Gegensatz zu der umgekehrten Konstellation, ein äußerst seltenes Ereignis. Wo angedeutet, zum Beispiel in LessingsLessing, Gotthold Ephraim Die Juden, findet sie keine Erfüllung (vgl. Lezzi 2006: 61–62, 2013: 67–72). Vor allem aber ist bemerkenswert, dass der jüdische Mann vor der Eheschließung nicht zum Christentum konvertiert ist. In der umgekehrten und weitaus üblicheren literarischen Konstellation, der Liebesbeziehung zwischen einer jüdischen Frau und einem christlichen Mann, ist dies nämlich nahezu immer Vorbedingung (vgl. Krobb 1993; Lezzi 2013). IngemannIngemann, Bernhard Severin orientiert sich in diesem Fall also offenbar am damals geltenden dänischen Recht, das für die Eheschließung zwischen Jüd*innen und Christ*innen keine Konversion voraussetzte (vgl. Schwarz Lausten 2012: 192–193). In Den gamle Rabbin ist jedoch wahre Liebe an wahre Religiosität gekoppelt, was beides in der Ehe zwischen Isaak und seiner Frau nicht gegeben ist. So ist diese Ehe weder erfüllt von Liebe, noch stellt sie eine wahrhaft interreligiöse Verbindung dar, denn beide Eheleute haben sich, wie ich im Folgenden zeigen werde, von ihrer Religion ab- und dem Säkularismus zugewandt.

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