Philosemitische Schwärmereien. Jüdische Figuren in der dänischen Erzählliteratur des 19. Jahrhunderts. Katharina Bock

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Philosemitische Schwärmereien. Jüdische Figuren in der dänischen Erzählliteratur des 19. Jahrhunderts - Katharina Bock Beiträge zur nordischen Philologie

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Grundlage dar. Jedoch liest sie aus dem Neuen Testament vor. Die Worte durchdringen ihre Seele, und dies ist just der Moment, in dem Veit das Porträt von ihr anfertigt. Diese Szene ist der Schlüsselmoment, in dem Sehen und Gesehenwerden, Erkennen und Erkanntwerden kulminieren. Der an sich unfassbare und unkörperliche Moment der religiösen Erleuchtung wird durch den Künstler auf Leinwand festgehalten, sichtbar gemacht, in Materie gefasst. So wiederum lässt sich die Szene literarisch fassen und erzählen, indem erzählt wird, was der Maler sieht. Doppelt festgehalten, in Öl auf Leinwand und in Druckerschwärze auf Papier, gefasst in den Holzrahmen der Leinwand und in den Einband der Novelle, gelingt es dem Künstler – dem Maler Veit ebenso wie dem Autor IngemannIngemann, Bernhard Severin –, den Moment göttlicher Erweckung festzuhalten und nachvollziehbar zu machen. Gemeinsam mit Veit und dem Erzähler betrachtet der Leser Benjamines Erweckung. Benjamine selbst wiederum zeigt kein Bewusstsein gegenüber diesem Gesehenwerden, reagiert nicht aufs Gemaltwerden. Sie ist ganz erfüllt von Gottes Wort und dem Heiligen Geist, der sie in diesem Moment durchdringt. Es ist eine intime Situation, die bei aller räumlichen Distanz, die zwischen dem Malenden und der Gemalten besteht, auch erotisch konnotiert ist. Benjamine gibt sich Veits Blick hin, sie empfängt, was Veit ihr anbietet: erst die Zeichenstunden, nun den geschützten Raum und die christliche Bibel – und gibt sich vertrauensvoll in seine Hände. So treibt Veit ihre Entwicklung voran und kann sie dabei in Ruhe betrachten und seinen Blick in Benjamines Seele für immer auf Leinwand festhalten.

      Gänzlich außerhalb dieses Moments des Sehens und Erkennens, den Veit auf seinem Porträt archiviert, befindet sich der alte Rabbiner, der im Fieberschlaf weder die entflammende Liebe zwischen Veit und Benjamine wahrnehmen noch die Worte, die Benjamine ihm aus dem Neuen Testament vorliest, verstehen kann. Auch ihn porträtiert Veit, und auch Philip Moses ist sich des Porträtiertwerdens nicht bewusst, doch liegt das nicht am Zustand der seelischen Entrückung, sondern am Fieberschlaf, in dem sich bereits sein naher Tod ankündigt. Veit jedoch ist in der Lage, auch Philip Moses in die Seele zu blicken. Denn dies ist, so legt es der Text nahe, die vornehmste Fähigkeit des Künstlers: das wahre Wesen der Welt zu erkennen und darzustellen. Veit sieht, dass die Worte des Evangeliums auch auf den schlafenden Juden beruhigende Wirkung haben, sieht, wie sie aus dem verzweifelten Hiob einen aufgerichteten Simeon1 machen. Er erkennt damit mehr, als es Philip Moses selbst in diesem Moment vermag, und so nimmt der Pinsel des Künstlers den Ausgang der Novelle und die Hinwendung des Juden zum Christentum prophetisch vorweg. Die jüdischen Figuren dienen als poetischer Nährboden für die literarische Darstellung des Künstlers und die literarische Reflexion über Kunst. Die Novelle schreibt sich damit deutlich in den kunstreligiösen Diskurs der deutschen Romantik ein, den Hartwich folgendermaßen beschreibt:

      Die romantische Weltanschauung baut einen polemischen Gegensatz zwischen dem göttlich begabten Künstler und den das Weltliche vergötzenden Philistern und Juden auf. Die kunstreligiöse Frontstellung wird aber immer wieder in Bildern der hebräischen Bibel exponiert und verrät so ihre religionsgeschichtliche Herkunft aus der ‚Mosaischen Unterscheidung‘. (Hartwich 2005: 23)2

      Im Verständnis der Romantik ist Veit als Künstler mit göttlichem Genie begabt. Benjamines und Philip Moses’ Weg ins Christentum ist an die Figur des Künstlers Veit gekoppelt. Doch auch umgekehrt sind Veits religiöser Weg und seine literarische Darstellung von den beiden jüdischen Figuren bestimmt. Veits Genie drückt sich in seiner Gabe zu sehen und zu schaffen aus, und für die literarische Darstellung dieses Genies bedarf es in dieser Novelle der beiden jüdischen Figuren. Veit sieht (= erkennt) Benjamine und Philip Moses und er erschafft Bildnisse von beiden, verdoppelt und bestärkt ihr Dasein in der Welt und wird auf diese Weise ihr Schöpfer.

      2.4.2 Erschaffen

      Der Literaturwissenschaftler Hans Mayer hat in seiner bahnbrechenden Untersuchung Außenseiter die Gemeinsamkeiten der gesellschaftlichen Außenseiter, zu denen Juden ebenso wie Frauen gehören, herausgestellt. Mayer zufolge sind Juden und Frauen (und als dritte Gruppe [männliche!] Homosexuelle) gleichermaßen „existenzielle[…] Außenseiter“, die „immer wieder insgeheim miteinander verbunden werden“ (Mayer 1981: 21; vgl. auch Braun 1992; Schnurbein 2006; Schößler 2009). Der Erzähler der Novelle Den gamle Rabbin nimmt einen dezidiert christlichen (und männlichen) Standpunkt ein und richtet den Blick von außen auf „die Juden“. Dabei kontrastiert er das romantisch-religiöse Idealbild „des Juden“ mit verschiedenen anderen jüdischen Lebensentwürfen, in denen die jüdischen Figuren den Weg der Säkularisierung gehen und sich von der althebräischen Mythologie entfernt haben. Der Text entwirft mit Philip Moses ein Bild vom perfekten (oder wünschenswerten) Juden, ebenso wie mit Benjamine ein Bild von der perfekten (oder wünschenswerten) Frau. Diese ist zwar aufgrund ihres Geschlechts und ihres Judentums gleich doppelt als Außenseiterin markiert, jedoch wird sie im Moment ihres innerlichen Glaubensübertritts porträtiert, das heißt, dass sie ihr Jüdischsein im Moment des Gemaltwerdens überwindet. Die literarischen Bilder werden durch die Gemälde Veits verdoppelt, und die Novelle verweist so auf ihren eigenen Verfasser, der als Autor ebenfalls ein Künstler ist. Er entwirft das Bild eines ‚edlen Juden‘, einer ‚schönen Jüdin‘ und eines christlichen Künstlers, der wiederum das Bild dieses ‚edlen Juden‘ und dieser ‚schönen Jüdin‘ malt. Wie der Maler Gemälde herstellt, produziert auch der Text, beziehungsweise dessen Autor, literarische Bilder. Die Bilder des Malers bilden das Innerste der beiden jüdischen Figuren ab und stellen diese Bilder im Text zur selben Zeit erst her. Die fiktive Leinwand wird zur Projektionsfläche des Malers und zugleich des Autors.

      Als Veit nach der vorläufigen Trennung von Benjamine nach Rom abzureisen plant, legt er seinem Gepäck die beiden Porträts bei:

      To uforglemmelige Billeder vare fremtraadte i hans liv, som hans Skjæbnes underfulde dobbelte Herolder; de vare de kjæreste og kostbarste Klenoder, han havde pakket ind for at medtage, og de vare den skjønne Benjamines og den gamle Philip Moses’s Portraiter. (IngemannIngemann, Bernhard Severin 2007: 121)

      Zwei unvergessliche Bilder waren in sein Leben getreten, als die wunderbaren doppelten Herolde seines Schicksals; sie waren die liebsten und kostbarsten Kleinode, die er zum Mitnehmen eingepackt hatte, und dies waren die Porträts der schönen Benjamine und des alten Philip Moses.

      Obwohl die Bilder also „unvergesslich“ sind, sind sie doch erst durch den Akt des Malens entstanden und unvergesslich geworden. In ihnen ist die Vergangenheit als Grundlage des eigenen, christlichen Glaubens archiviert: das Judentum in Gestalt des Philip Moses, dessen Glaubenskonzept als längst vergangen und überholt markiert wird. In Benjamines Porträt ist jedoch der Moment archiviert, in dem sie selbst ihre eigene religiöse Vergangenheit hinter sich lässt und sich innerlich dem Neuen zuwendet. Diese Bilder sind zugleich Projektionen des Künstlers, die zeigen, wie er Benjamine und Philip Moses sieht und deren Jüdischsein interpretiert. In der Thematisierung des Kunstschaffensprozesses selbst reflektiert der Text den Herstellungsprozess derjenigen Bilder und Projektionen, die er selbst verwendet und (re-) produziert.

      Der Künstler nimmt also nicht allein die Gemälde mit in sein Reisegepäck, sondern gewissermaßen einen Teil der Abgebildeten selbst. Der Kunstkritiker, Schriftsteller und Maler John Berger, der 1972 das englische Fernsehpublikum mit seiner BBC-Reihe Ways of Seeing das Sehen lehrte, schreibt in seinem kurz darauf erschienenen gleichnamigen Essay-Band Ways of Seeing [1972], der als Sehen. Das Bild der Welt in der Bilderwelt 1974 ins Deutsch übersetzt wurde, über die Ölmalerei zwischen 1500 und 1900:

      Auf Gemälden werden häufig Gegenstände dargestellt, die man erwerben kann. Hat man einen Gegenstand gemalt und auf eine Leinwand gebracht, ist das nicht anders, als habe man ihn gekauft und mit nach Haus genommen. Kauft man nämlich ein Gemälde, kauft man auch das Aussehen des Gegenstands, den es abbildet. (Berger 2016: 78)

      Nun sind Benjamine und Philip Moses keine Gegenstände, die Veit besitzen könnte, er muss sie auch nicht kaufen, sondern hat die Gemälde für sich selbst gemalt. Nichtsdestotrotz befinden sie sich in seinen Besitz. Berger hat radikal

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