Verschollen in Ostfriesland. Ulrich Hefner
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Er hatte den Nordholzer Weg hinter sich gelassen und befand sich auf dem Möhlendiek. Sein gelbes T-Shirt war von Schweiß durchnässt, und die zweite Flasche Wasser, die er am Gürtel bei sich trug, war zur Hälfte geleert, doch hoffte er, dass die verbliebene Menge für die letzten Kilometer ausreichen würde. Als der Gehweg endete und er den Ort verließ, lief er am rechten Straßenrand. Es herrschte nur wenig Verkehr, und der Waldweg, dem er im Anschluss folgen musste, lag gerade mal 300 Meter entfernt. Den Wagen hinter sich hörte er erst, als der Motor laut aufheulte. Seine Konzentration ruhte fest in seinem Körper. Die Straße war breit genug, deshalb hielt er die Augen nach vorne gerichtet. Erst im letzten Moment, als er spürte, dass etwas nicht stimmte, wandte er den Kopf. Er nahm etwas Rotes wahr, doch bevor er registrierte, dass der Wagen direkt auf ihn zuschoss, wurde er hoch in die Luft geschleudert. Alles in ihm war ein einziger Schmerz. Er wirbelte durch die Luft. Als er hart auf dem Boden landete, schwanden ihm die Sinne. Am Straßenrand blieb er liegen, während der rote Wagen im hohen Tempo in Richtung der Bundesstraße davonraste.
*
47 Minuten, nachdem Mathias Wegener angefahren worden war, wurde er mit einem Rettungshubschrauber nach Cuxhaven in die Klinik gebracht. Er lebte, doch befand er sich in akuter Lebensgefahr. Niemand wusste, ob er die Nacht durchstehen würde.
Die Polizei fahndete mit Hochdruck nach dem Unfallwagen, einem roten Nissan Juke, von dem allerlei Teile an der Unfallstelle zurückgeblieben waren und von dem es eine Beschreibung einer Zeugin gab, die mit ihrem Kind vom Spielplatz im Nordholzer Weg gekommen war.
Eine Streife fand den Wagen am späten Nachmittag in einem Waldstück bei Sievern, und auch den Fahrer fand sie vor, der volltrunken hinter dem Steuer kauerte und seinen Rausch ausschlief. Zwei Flaschen Wodka lagen im Fond. Sie nahmen den Fahrer namens Anatol Rogoff fest und sperrten ihn nach einer Blutprobe in Cuxhaven in eine Zelle, denn der Wagen war am frühen Morgen vom Parkplatz einer Baufirma gestohlen worden.
Der Richter ordnete Untersuchungshaft an. Anatol Rogoff war nicht das erste Mal betrunken und ohne Führerschein mit einem gestohlenen Wagen unterwegs gewesen. Und auch, wenn er sich mit seinen 2,89 Promille, wie sich später herausstellte, an nichts mehr erinnern konnte, so sprach alles gegen ihn. Anatol Rogoff war der Täter und, sollte Mathias Wegener, der im Koma lag, an den Folgen des Unfalls sterben, so würde den polizeibekannten Russen eine lange Haftstrafe erwarten.
1
Kriminalkommissariat Wilhelmshaven, Mozartstraße
Trevisan hob sein Glas in die Höhe und prostete Eike zu. »Auf deinen Hauptkommissar«, sagte er und trank einen kleinen Schluck.
Anlässlich der Beförderung von Eike Brun zum Hauptkommissar hatten sich Trevisan und seine Crew im Soko-Raum der Dienststelle zu einer kleinen Feierstunde versammelt. Es gab Sekt und Häppchen. Als Eike mit einem Löffel gegen das Glas schlug, verstummte das Lachen und alle Augen richteten sich auf den jungen Mann, der sichtlich gerührt war.
»Ich danke euch, liebe Kolleginnen und Kollegen«, sagte er mit hölzerner Stimme. »Ich bin nicht besonders gut im Redenhalten, aber ich bin stolz darauf, dieser Crew anzugehören. Mit Trevisan als unseren Kapitän und Monika, quasi als Steuerfrau, im Rücken und mit euch an der Seite sind wir unschlagbar. Ich hoffe, dass wir auch weiterhin so gut zusammenarbeiten, und möchte an dieser Stelle sagen, dass es Lentje oder Lisa ebenso verdient gehabt hätten wie ich. Ich hoffe, dass sich an unserer Zusammenarbeit nichts ändert, nur weil es zufällig mich getroffen hat.«
Lentje Kaplani winkte ab. »Mir kommen gleich die Tränen«, scherzte sie. »Die paar Kröten, die du jetzt mehr kriegst als wir, machen den Kohl nicht fett. Ist noch Sekt da?«
Alle lachten und prosteten sich zu.
Draußen schien die Julisonne, keine Wolke trübte den Himmel. Es war warm geworden im Norden, und Trevisan schaute auf seine Uhr. Es war kurz nach 16 Uhr am späten Nachmittag. In 20 Minuten war Feierabend, und er musste noch einen Blumenstrauß besorgen, einen großen Blumenstrauß, denn Paula hatte in der Nacht entbunden und einen strammen Sohn zur Welt gebracht.
Während die anderen miteinander scherzten, gesellte sich Monika an Trevisans Seite. »Wie geht es der jungen Mutter und dem neuen Erdenbürger?«, fragte sie.
»Bei meinem Anruf heute Mittag ging es beiden gut«, entgegnete Trevisan. »Der Kleine schläft und Peer ist bei ihr. Ich fahre später zu ihnen.«
»Wie fühlt es sich an, Opa zu sein?«
Trevisan lächelte. »Ich weiß es nicht, ist wohl noch zu früh, um was zu sagen. Zuerst will ich ihn mal in den Armen halten.«
Monika Sander nickte. »Es ist schon komisch: An den Kindern merkt man, dass man alt wird. Es ist, als hätte ich meine Kinder vor Kurzem in meinen Armen gehalten – und jetzt ist das Haus leer. Du wirst Opa, und ich bin schon Oma, nur bekomme ich davon nichts mit. Meine Enkel wohnen 400 Kilometer weit entfernt, und die Besuche halten sich in Grenzen. Ostern vielleicht, an Weihnachten, und das war es auch schon. Da hast du Glück, du siehst deinen Enkelsohn vor deiner Nase aufwachsen. Hat der Kleine schon einen Namen?«
Trevisan wiegte mit dem Kopf hin und her. »Er soll Ayk heißen.«
»Mike?«
»Nein, Ayk, A, Y, K«, buchstabierte Trevisan.
»Ist das dänisch?«
Trevisan schüttelte den Kopf. »Ayk ist ein alter friesischer Name, Paula hat ihn ausgegraben.«
»Das ist toll, Ayk Trevisan, ein Stammhalter.«
Trevisan lächelte. »Ja, ich bin nicht unglücklich darüber, dass Paula bei ihrer Trauung den Mädchennamen beibehalten hat. Obwohl Stenmark auch nicht schlecht klingt. Ich hoffe nur, dass sie glücklich wird, nach allem, was sie durchmachen musste.«
»Hey, ihr dort drüben!«, rief Eike. »Steht in der Ecke und blast Trübsal, und das bei meiner Beförderung.«
Trevisan und Monika nickten entschuldigend. »Keine Angst, wir freuen uns mit dir, wir schwelgen nur ein klein wenig in Erinnerungen.«
»Wann willst du es ihnen sagen?«, flüsterte Monika, denn außer ihr wusste niemand darüber Bescheid, dass Trevisan Opa geworden war.
»Ich möchte ihn erst einmal in den Händen halten«, entgegnete Trevisan, bevor sie ihre Ecke verließen und sich zu den anderen