Von einem, der auszog, einen Staat aufzubauen. Martin Heipertz

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Von einem, der auszog, einen Staat aufzubauen - Martin Heipertz

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Fasern übrig, die ihren pflanzlichen Ursprung nicht verbergen konnten. Im Grunde nicht mehr als ein gewaltiger Komposthaufen.

      Unweit des Abbaugeländes befand sich das Kraftwerk, das aus zwei Einheiten bestand. Eine davon ging zurück bis zur Stalinzeit, die andere war aus den 1980er Jahren. In großen Hallen standen die beeindruckenden Öfen, Turbinen und Generatoren, die aus dem Lignit Strom machten. Für jemanden wie mich, der sein Berufsleben am Schreibtisch verbrachte, war der Anblick dieser musealen, männlichen Ingenieurkunst geradezu erregend. Nie jedoch liefen alle Turbinen fehlerfrei, und einer der Blöcke war meist zu Wartungszwecken abgeschaltet. So auch während unseres Besuches, so daß wir in der enormen, staubigen Halle von Kosovo A die Turbinen, Boiler und Kamine verschiedener Entwicklungsstufen bis 1962 allesamt sorglos in Augenschein nehmen konnten. Alles wirkte so vorsintflutlich, daß man die Männer, die dieses museale System am Laufen hielten, bewundern mußte und sich im Stillen fragte, wie hier von Zeit zu Zeit überhaupt noch Strom erzeugt werden konnte. Fast noch mehr altbacken wirkte der Verwaltungstrakt der staatlichen Stromfirma KEK, wo wir durch den Direktor empfangen wurden.

      Es war wie in einem Film: Holzpaneele und muffige Büros mit unsortierten Schreibtischen, Staub, schadhafter Putz und rein gar nichts, was Effizienz und Modernität ausgedrückt hätte. Kosovo B dagegen war ein recht modernes, russischdeutsch-amerikanisches Konstrukt, das Tito gerade einmal dreißig Jahre zuvor zusammengeschnorrt hatte. Sein wasserfallrauschender Kühlturm wirkte schon deutlich mächtiger als alles an Kosovo A. Die Steuerungseinheit war ein wahrer Zeitsprung in die Moderne, und die beiden Generatoren lieferten mit ihren Siemens-Turbinen zuverlässig je dreihundert Megawatt, indem diese lautstark etwa dreitausend Umdrehungen pro Minute vollführten, kontrolliert über ein Computersystem recht neuer französischer Machart. Da im Winter jedoch circa eintausendzweihundert Megawatt benötigt wurden, wurde uns faßlich, wie es trotz umfangreicher Stromimporte fast täglich zu Ausfällen kommen konnte.

      Ein kundiger und sympathischer Ingenieur führte uns zwischen den orangefarbenen Monstren von Turbinen umher und erläuterte seine Ansicht, daß nur zwei weitere Einheiten angebaut werden mußten, um das Energieproblem angebotsseitig einzudämmen. Die megalomanischen Pläne eines komplett neuen Kohlekraftwerks Kosovo C mit zweitausend Megawatt Leistung, die bei uns zirkulierten, hielt er für anachronistisch angesichts der unausweichlichen Wende zu erneuerbaren Energien. Zumal ein kleiner Plan zeitnah umgesetzt werden könnte, während der große Entwurf noch lange auf Realisierung warten würde. Bis dahin blieb das Kosovo einfach in mehrere Versorgungszonen eingeteilt, die unterschiedlich zuverlässig mit Strom beliefert wurden. Das Diplomatenviertel Dragodan, in dem ich kurz nach meiner Ankunft Quartier nehmen sollte, gehörte freilich zu der zuverlässigsten Zone – aber selbst hier gab es kaum eine Woche ohne längeren Stromausfall.

      An allen Ecken schepperten dann kleine Benzingeneratoren auf der Straße. Sie verpesteten die Luft noch mehr als das Kraftwerk von Obilić, aber wenigstens konnten die Leute damit notfalls auch privat die Elektrizität herstellen, ohne die zu leben der moderne Mensch verlernt hat, auch wenn er am Rande der Zivilisation lebt. Wenn dann Block A oder B wieder ans Netz ging, nachdem er längere Zeit ausgeschaltet gewesen war, qualmten seine Schlote eine Weile lang pechschwarzen Rauch, bevor dieser langsam wieder die normale, braungelbe Farbe annahm und sich erneut jener bittersüße Geruch über die Ebene ausbreitete, den ich nun, aus dem Flugzeug steigend, zum ersten Mal kostete.

      Ich schaltete mein Mobiltelephon ein und erhielt eine befremdliche Nachricht: Willkommen in Monaco. Eingehende Anrufe kosten neunzehn Cent pro Minute. Ich steckte das Gerät wieder in meine Hosentasche. Wie Monaco sah es um mich herum nicht gerade aus. In der Abfertigungshalle hatten sich lange Schlangen vor den wenigen Schaltern gebildet. Dennoch verlief die Einreise zügig und unkompliziert. Den notorischen kosovarischen Stempel erhielt ich noch nicht, denn die Gründung der Republic of Kosova stand ja erst bevor; ihre Verfassung wurde gerade geschrieben und sollte im Juli in Kraft treten. Die Mitarbeit an den die Wirtschaftsordnung des neuen Staates betreffenden Passagen eben dieser Verfassung sollte eine meiner ersten Aufgaben werden. Ohne Verfassung war es aber selbst aus Sicht der neuen Machthaber in Priština unschicklich, kosovarische Grenzer zum hoheitlichen Einsatz zu bringen, die andererseits bereits in fabrikneuer, vermutlich in Asien genähter und mit am Ärmel abstehenden Fäden versehenen Uniform auf ihren Posten saßen. In diesem Zwischenstadium galt weiterhin die Verwaltung der Vereinten Nationen, und noch waren diese Grenzer in ihrem Namen und unter ihrer Aufsicht tätig. Also erhielt ich einen Stempel mit dem fröhlichen Akronym UNMIK: United Nations Mission in Kosovo. Interessehalber erkundigte sich der Grenzer nach meinem Dienstherrn und war hochzufrieden, als ich mit European Union antwortete.

      »Europe good, UNMIK bad«, sagte er und lächelte mit schadhaftem Gebiß.

      Ich lächelte ebenfalls, auch wenn ich damals noch nicht recht ahnen konnte, was er an UNMIK auszusetzen hatte.

      UNMIK wurde von einem pensionierten deutschen Oberbürgermeister geleitet, als ich das Kosovo zum ersten Mal betrat. Die Mission hatte tatsächlich einen überaus schlechten Ruf, wie ich alsbald feststellte; bemerkenswerterweise sowohl unter Serben als auch Albanern und hinter vorgehaltener Hand auch unter uns Ausländern. Vertreter der beiden verfeindeten Volksgruppen schienen überhaupt nur in zwei Bereichen zu sofortiger, auch persönlicher, Übereinstimmung gelangen zu können: Wenn es um einen geschäftlichen oder finanziellen Vorteil ging, den sie gemeinsam auf Kosten der sogenannten Internationalen Gemeinschaft erzielen konnten, oder wenn man sie nach den Unzulänglichkeiten von UNMIK befragte.

      Der schlechte Ruf der Uno-Verwaltung mochte in ihren vom Krieg wenig begünstigten Anfängen begründet liegen oder auch aus jener Zeit stammen, als ihr Chef ebenfalls ein Deutscher war; allerdings kein Oberbürgermeister, sondern vielmehr ein profilierter Karrierediplomat. Dessen Auftreten und Vorgehensweise aber waren bei Kennern des Kosovos keineswegs als diplomatisch, sondern bestenfalls als unkonventionell in Erinnerung geblieben und Gegenstand mancher pikanten Anekdote. Der frühere Sicherheitsberater Gerhard Schröders war nach der sogenannten Kaviar-Arschloch-Affäre ins Kosovo versetzt worden – strafversetzt, wie einige interpretierten. Er soll zuvor in einer Regierungsmaschine der Luftwaffe bei einem Aufenthalt in Moskau lautstark Kaviar verlangt und einen Flugbegleiter mit dem genannten Kraftausdruck beschimpft haben, als die Fischeier so schnell nicht aufzutreiben waren. Nach einer Weile auf seinem Bewährungsposten im Kosovo ehelichte er vorübergehend eine der vielen, gutaussehenden Frauen, die das albanische Volk schon immer hervorgebracht hat. Damit jedoch verlor er das Vertrauen seiner serbischen Untertanen. Nebenbei war er auch Urheber der als Strategie bezeichneten Hilflosigkeit, die sich hinter dem Motto Standards vor Status verbarg. Er versprach, die Lebenssituation der Bevölkerung zu verbessern, die Qualität der Verwaltung zu erhöhen und die Annäherung an die EU auf den Weg zu bringen, nicht obwohl, sondern gerade weil die Klärung der alles überschattenden Frage nach dem völkerrechtlichen Status des Protektorats auf unbestimmte Zeit verschoben wurde. Was die Standards betraf, waren die Menschen auch sechs Jahre später noch unzufrieden, aber Unzufriedenheit mit der Politik ist eine menschliche Grundeinstellung, nicht nur auf dem Balkan. Das eigentliche und grandiose Scheitern seiner Vorgehensweise betraf den Status, dessen Dringlichkeit und Bedeutung fatal unterschätzt worden war. Die Pogrome von 2004 verfolgte der ehemalige UNMIK-Chef nur noch aus der Ferne, von seinem neuen Posten in Genf aus.

      Seine kurze Geschichte im Kosovo wurde in unseren Kreisen oft diskutiert, und die meisten von uns sogenannten Internationalen zogen den Schluß daraus, daß selbst unzweifelhafte Kompetenz nicht vor gravierenden Fehleinschätzungen schützt und schneidiges Auftreten als bleibender Eindruck schnell von Makeln in Fragen des Anstandes überschattet wird – ganz unabhängig davon, ob der Betreffende sich weiterhin politischer Gunst erfreut oder nicht. Die Bevölkerung jedenfalls hatte ihr anfängliches Vertrauen in die internationale Obrigkeit schnell verloren, zumal diese insbesondere im Kampf gegen die Korruption kaum Erfolge aufweisen konnte.

      Die viergliedrige Struktur von UNMIK umfaßte erstens die Bereiche Polizei und Justiz, zweitens zivile Verwaltung, drittens Demokratisierung und Aufbau von Institutionen sowie viertens physischen

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