Von einem, der auszog, einen Staat aufzubauen. Martin Heipertz

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Von einem, der auszog, einen Staat aufzubauen - Martin Heipertz

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und die Lebenshaltung so mancher Angehöriger der Finanzelite – dazu muß man nicht ins Kosovo reisen. Dort ist es für unseren verwöhnten Blick nur so herzerfrischend offenkundig zu sehen, wie ubiquitär die Verletzung des allgemeinen durch das partikulare Interesse daherkommen kann; denn nichts anderes ist die Korruption ihrem Wesen nach. Sie in ihrem frühen Stadium so unverblümt demonstriert zu bekommen, schult den Blick für den Rest des Lebens.

      Der Unterschied liegt in der Systematik, das heißt in der Abstufung, ob ein Phänomen wie der Klientelismus die Ausnahme darstellt oder die Regel. In Ländern wie dem Kosovo liegen in Staat und Gesellschaft durchgängig personelle Abhängigkeiten vor, die das Zusammenleben nicht nach Recht und Gesetz, sondern nach Geben und Nehmen strukturieren. Es handelt sich um ein anderes und – aus unserer Sicht – schlechteres soziales Organisationsschema, aufbauend auf feudalistischen und der Großfamilie entsprechenden Strukturen, unvereinbar mit unserem Ideal des Rechtsstaats. Erst später wurden mir Ausmaß und Systematik dieses Unterschieds bewußt, war mein Auge entsprechend geschärft und begann ich, nach den Gründen zu fragen.

      Ganz zu Beginn meines Aufenthalts aber dachte ich mir rein gar nichts anhand der viel zu zahlreichen Auto Larjes, nahm vielmehr die wenig ansehnlichen Neubauten links und rechts der Straße in Augenschein und unterhielt mich mit Aidan, dem Fahrer. Eine drängende Frage wollte ich ihm stellen:

      »Sagen Sie bitte – warum hat mich mein Mobilfunknetz vorhin bei der Ankunft eigentlich in Monaco begrüßt und nicht im Kosovo?«

      Aidan lachte. »Ach, das liegt daran, daß wir hier das Netz von Monaco nutzen. Wir haben keine eigene Landesvorwahl.«

      »Wie bitte?«

      »Kein Witz. Für Festnetz gilt noch die serbische Nummer. Nullnulldreiachteins. Und für Mobilfunk diejenige aus Monaco. Nullnulldreisiebensieben. Die Auslandsgespräche laufen alle über Monaco, wofür die auch ein Drittel des Umsatzes kassieren. So ist das hier bei uns. Wir sind halt noch ganz am Anfang.«

      Dann fragte Aidan mich ein wenig aus. Er erfuhr, daß ich Anfang dreißig war, mich ein wenig mit Staatsfinanzen auskannte und fortan der Vorbereitungsmannschaft angehören würde, die das ICO innerhalb weniger Wochen aufbauen sollte. Ich war der neuzuschaffenden Einheit Economic and Financial Affairs Unit zugeordnet, deren Abkürzung an einen prächtigen Ziervogel denken ließ: EFAU.

      Aidan maß diesem Bereich große Bedeutung bei. Economy is very important for Kosovo, sagte er an verschiedenen Stellen unseres Gespräches. Ich wußte bereits aus meiner Vorbereitung auf die Einstellungsgespräche, die ich wenige Wochen zuvor in Brüssel geführt hatte, daß der Bevölkerungsanteil der Jugendlichen im Kosovo bei fünfundzwanzig Prozent lag, von denen etwa die Hälfte arbeitslos war. Inzwischen hat sich dieser Anteil auf fünfzig Prozent verdoppelt. Es gab damals wenig gesicherte Erkenntnisse und keine belastbare Datengrundlage zur volkswirtschaftlichen Lage. Die Kollegen des Internationalen Währungsfonds IWF, der in Priština eine kleine Präsenz unterhielt, schätzten die Wachstumsrate des Bruttoinlandsproduktes auf etwa fünf Prozent; ein gutes Fünftel der Wirtschaftskraft aber machten die Hilfszahlungen aus dem Ausland aus. Hinzu kamen die privaten Überweisungen von Kosovo-Albanern, die in Europa lebten; von der Rolle der sogenannten Internationalen Gemeinschaft, insbesondere des Militärs, als wichtigster Arbeitgeber im Lande ganz zu schweigen. Faktisch war keine nennenswerte ökonomische Basis vorhanden. Selbst Lebensmittel und einfachste Materialien wie Ziegelsteine wurden importiert; Investoren aus dem Ausland hingegen wurden von Rechtsunsicherheit, Willkür und Korruption abgeschreckt.

      Korruption ist kein Klima für allgemeines wirtschaftliches Gedeihen. Die Fehlallokation von Humankapital mußte überdies grotesk sein, wenn eine einheimsiche Putzfrau bei der Uno mehr Lohn erhielt als ein Lehrer, der auf etwa zweihundert Euro Monatssold kam. Es gab keinen Fleck auf der gesamten Erde, auf dem die internationalen Hilfszahlungen pro Kopf im Durchschnitt höher ausfielen als im Kosovo. Doch auch hier bestätigte sich, daß Geld allein nicht nur nicht glücklich macht, sondern auch keine sozioökonomischen Probleme löst. Manchmal schafft oder verschlimmert es erst das eigentliche Problem, das heißt Korruption, Gängelung durch die Verwaltung, politische Ineffizienz und so weiter.

      Aidans fast kindliche Hochachtung vor meinen beschränkten Kenntnissen der Ökonomie machte mir Sorge: Das naive Vertrauen, das man in Leute wie mich setzte, empfand ich als ungeheuren Erwartungsdruck. Dabei ahnte ich bereits, daß es in der Entwicklungshilfe genauso viele Probleme ohne Lösungen wie Lösungen ohne Probleme gab und daß viele von uns sich vor allem auf Letztere verstanden.

      Ich hegte von Anfang an keine große Hoffnung, persönlich und nennenswert zu einer raschen, spürbaren Besserung der Lage beitragen zu können. Die Staatsfinanzen, mein Fachgebiet, befanden sich bisher als Aggregat in halbwegs geregeltem Zustand, was aber nur daran lag, daß es ja schließlich noch gar keinen Staat gab und auch kein Budget, über das er hätte verfügen können, sondern nur die von der internationalen Verwaltung hierzu vorbereiteten Strukturen. Das sollte sich jedoch in wenigen Tagen ändern, und ich lernte schnell, daß meine Aufgabe nicht etwa darin bestehen würde, Gutes zu bewirken, sondern Unfug zu verhindern, so gut ich es eben vermochte und mir die Macht hierzu gegeben war. Primum nil nocere, so lautete ein altes Prinzip der Medizin: Zunächst einmal keinen Schaden stiften. Wie wenig ich aber selbst unter solchen reduzierten Erwartungen letzten Endes überhaupt bewirken konnte, hatte ich jedoch selbst in meiner von Anfang an genährten Skepsis noch unterschätzt.

      Je näher wir am Tage meiner Ankunft auf dem Amselfeld dem Stadtzentrum kamen, desto mehr häuften sich Flaggen, Inschriften und Plakate, die auf die bevorstehende Unabhängigkeitserklärung hinwiesen. Am häufigsten wehte das rote Tuch Albaniens mit dem schwarzen Doppeladler, dicht gefolgt von den Stars and Stripes der Amerikaner. Doch auch die maßgeblichen Schutzmächte des Kosovos aus Europa waren vertreten, allen voran der britische Union Jack, aber auch zahlreiche deutsche und andere europäische Flaggen konnte ich ausmachen.

      Oftmals hieß es Thank you, America und Thank you, Europe. Viele Leute waren unterwegs, und ich bildete mir ein, daß sie osmanisch auf mich wirkten, zumindest wie eine Mischung aus Türken und Rumänen. Ihre Stimmung schien vergnügt und fast aufgekratzt, wie die von Kindern an Sylvester.

      Auch der Fahrer Aidan war voller Vorfreude auf den bevorstehenden, großen Moment. Er deutete an, daß er selber als Partisan gegen die serbische Fremdherrschaft gekämpft und einen seiner Brüder im Krieg verloren habe. Später war er als Flüchtling eine Zeitlang in Lausanne untergekommen, und stolz demonstrierte er mir ein paar Brocken Französisch.

      Obwohl ich persönlich nichts zu dem Ereignis beigetragen hatte, das ihn mit solcher Begeisterung erfüllte, war mir die allenthalben versicherte Dankbarkeit schmeichelhaft. Da bemerkte ich ein seltsames, großformatiges Poster, auf dem ein bemüht seriös durch seine randlose Brille blickender Anzugträger vor der europablauen Flagge des Kosovos abgebildet war, der daneben aber schemenhaft und jünger noch einmal martialisch im Kampfanzug auftauchte, vor blutrotem Hintergrund mit albanischem Doppeladler.

      »Wer ist das?«

      »Das ist Rambo«, antwortete Aidan stolz. »Wir nennen ihn alle so. Ramush Haradinaj heißt er und ist Chef der AAK-Partei. Der war erst Türsteher einer Disco in der Schweiz und hat dann im Krieg mehr Serben kaltgemacht als alle anderen.«

      »Aha. Und dann?«

      »Na, dann wurde er natürlich unser Premierminister, als vor der Unabhängigkeit eine erste, provisorische Regierung unter Aufsicht der UNMIK gebildet wurde.«

      »Der kam direkt aus diesem fürchterlichen Krieg und wurde Premierminister?«

      »Na klar. Aber jetzt ist er als Kriegsverbrecher angeklagt und sitzt in Den Haag.«

      »Soso, das meine ich doch.«

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