Von einem, der auszog, einen Staat aufzubauen. Martin Heipertz

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Von einem, der auszog, einen Staat aufzubauen - Martin Heipertz

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ganze Friedensduselei von solchen Gewalttätern nur ausgelacht wird, und ich bin froh, daß das sogar die Grünen dann erkannt haben. Aber ich interpretiere die damalige Lage unvoreingenommen so, daß wir gegen die Serben zu Felde gezogen sind, weil sie die Oberhand hatten, und nicht, weil die anderen sonderlich bessere Ziele verfolgt hätten.«

      »Ich weiß nicht«, meinte die Abgeordnete. »Die Serben, das waren schon ganz klar die Bösen.«

      »So wie wir früher«, lachte der Panzermann. »Einer ist doch immer an allem schuld.«

      »Aber genau deshalb finde ich das zu einfach«, hielt ich dagegen. »Wie hat man sich das denn vorgestellt – die Serben aus der Luft mit Bomben zum Halten zu bringen – und dann?«

      »Dann sind wir mit Bodentruppen eingerückt, von allen Seiten, und haben sie aus dem Kosovo herausgeworfen«, bestätigte der Panzermann.

      »Ja, aber dann? Das, was wir jetzt hier erleben, diese Staatsgründung eines unabhängigen Kosovos – war das die Idee? Wie hat man sich das denn vorgestellt? Mit welchem Ziel und mit welcher Strategie ist man denn hier überhaupt hineingegangen?«

      »Das war nicht das Ziel«, sagte die Abgeordnete. »Ich würde sagen, wir hatten überhaupt keine Strategie. Wenn Sie jetzt sagen, daß die Loslösung des Kosovos eine Folge des Krieges von 1999 sei, dann würde ich widersprechen. Das hätte alles auch ganz anders kommen können. Wir wollten einen Genozid verhindern, und das ist uns gelungen, und die Serben zurück an den Verhandlungstisch zwingen, und das ist uns auch gelungen. Und was regen Sie sich überhaupt auf. Das waren doch Ihr Kohl und Ihr Genscher, die ein paar Jahre zuvor die Sezession von Kroatien und Slowenien betrieben haben. Da können wir ja auch einmal darüber sprechen – wer ist denn schuld daran, daß das gute, alte Jugoslawien zerfallen ist wie ein fauler Apfel, wenn der Herbstwind kommt? Die alten Bundesgenossen und Waffenbrüder, die nimmt man gegen die Serben in Schutz, aber den Rest, die Moslems und Kümmeltürken, die überläßt man ihnen, damit man sich nicht selber damit herumschlagen muß. Das war doch die Haltung in Bonn die ganzen neunziger Jahre hindurch! Die Leute hier wurden jahrelang unterdrückt und unterjocht und gequält, und das hat überhaupt niemanden von euch interessiert! Bis es dann geknallt hat und die UÇK mal losgelegt hat.«

      »Ich will keine Partei ergreifen. Keiner hat recht. Aber zurück zur Gegenwart. Das, was da morgen stattfindet, die Gründung der sogenannten Republik Kosova, das war vielleicht nicht die zwingende Folge von 1999 – aber umgekehrt stimmen Sie mir zu, daß unser kleiner Krieg von 1999 die notwendige Voraussetzung war, oder nicht? Ich denke allerdings, daß diese Weichenstellung ziemlich direkt auf die Sezession zulief, denn die Verhandlungen wurden doch von den Albanern in dem Wissen geführt, daß sie im Falle des Scheiterns die volle Unabhängigkeit erlangen könnten. Die Serben haben Krieg geführt, weil sie doch faktisch mit dem Rücken zur Wand standen. Da haben sie alles auf eine Karte gesetzt und verloren. Und alles, was ich eigentlich sagen will, ist, daß die Politik jedenfalls völlig im Dunkeln tappt, wenn sie solche weitreichenden Entscheidungen trifft wie 1999. Man kann es ja den Willen der Geschichte nennen, der sich hier vollzieht und von deren vorbeiziehenden Mantel Ihr Parteivorsitzender ja damals auch so theatralisch gesprochen hat. Aber wenn das stimmt, dann müssen Sie mir doch zugestehen, daß die Steuerleute in der Regierung praktisch im Blindflug von einer Entscheidung in die nächste stolpern, und am Ende das herauskommt, was sich im Rückblick mit gewisser Notwendigkeit einfach vollzogen hat, weil es so kommen mußte und nicht, weil irgendein Stratege es als die bessere Option erkannt und planmäßig verfolgt hat. Es war schlichtweg die einzige von Tausenden Alternativen, die vor der Geschichte Bestand hatte, und alles andere ist mit zwingender Logik im Sande verlaufen. Und wenn das so ist, dann können Sie Ihren Joschka in der Pfeife rauchen, denn dann waren er und auch Sie nur Erfüllungsgehilfen von etwas, das sich mit der Gesetzlichkeit eines Naturereignisses vollzogen hat. Jeder kleine Panzerschütze vor Tetovo hat mehr Anteil an dem morgigen Ergebnis als Sie mit Ihren Pressemeldungen und Sonntagsreden von Auschwitz und Völkerverständigung, Demokratie und dem ganzen Zinnober. Bewahrt er die Nerven oder nicht; schießt er zurück oder nicht, wenn eine Mörsergranate zu kurz gezielt ist und bei ihm niedergeht – das sind die entscheidenden Fragen, nicht die morgendliche Lagebesprechung da bei Ihnen in Bonn oder Berlin.«

      »Was für ein Unfug! Wir hätten doch damals auch entscheiden können, nichts zu tun, so wie wir beim zweiten Irak-Krieg ja auch nicht mitgemacht haben. Wir hatten die Wahl, das heißt die freie Entscheidung, und damit die Verantwortung, diese Entscheidung möglichst richtig zu treffen. Deswegen geht man doch überhaupt in die Politik!«

      »Sehen Sie«, meinte ich. »Genau das halte ich für eine Illusion. Überhaupt keine Wahl hatten Sie. Ihr Joschka und Sie, sie kamen an jeweils Ihre Stelle, und Sie auch mit Ihren Leos da in Tetovo, Herr Oberstleutnant, weil Sie mit Ihrer Einstellung und Ihren Ressourcen in just diesem Moment dahin gehörten, um den Willen der Geschichte zu erfüllen. Oder wenn man religiös ist, dann gar den Willen der göttlichen Vorsehung, die ja vielleicht doch einen Plan hat, wohin das alles laufen soll mit den Menschen und Europa und dem neuen Jahrtausend. Nennen Sie das schizophren, aber ich bin im Tagesgeschäft schon immer sozusagen vorsichtig pessimistisch und gleichzeitig voller Zuversicht aufs Große, Ganze. Ich rechne mit dem Schlimmsten und hoffe auf das Beste. Aber der freie Willen in der Politik, wenn ich das zusammenfassen darf, ist doch wohl auf die Ergründung und möglichst zielgenaue Umsetzung dessen beschränkt, was von höherer Warte aus richtig und wahr ist und oftmals ohnehin vorbestimmt ist. Und wer sich dem entgegenstellt, geht unter. Punkt. Wie der Kommunismus in den 1980er Jahren, angefangen in Polen. Oder wie Milošević dann zehn Jahre später.«

      Die Abgeordnete und ihr Oberstleutnant schüttelten fassungslos die Köpfe. Eine peinliche Stille entstand. Da hatte ich mich ja schön in die Nesseln gesetzt an meinem ersten Abend in neuer Umgebung. Warum konnte ich auch nie meinen Mund halten.

      »Na, darauf prost«, warf lachend die gute Veronika Winzmann ein. »Wir wollen uns doch der Illusion nicht ganz begeben, daß der morgige Tag das Ergebnis einer bewußt gewollten und begrüßten Entwicklung sei. Sonst gäbe es doch gar nichts zu feiern, gar nichts, worauf man stolz sein könnte. Dann müßte man sich ja darauf beschränken, das alles nur zu beobachten und tiefschürfend zu ergründen.«

      »Eben«, quittierte ich, »ich fürchte, so sehe ich das. Und trotzdem prost. Bei Tageslicht nimmt es sich gewiß wieder anders aus.«

      »Na, das hoffe ich«, schloß die gute Veronika. »Sonst könnten wir ja gleich einpacken mit unserem ICO und später auch mit Eulex.«

      »Aber nein«, sagte ich, bevor ich ging. »Die Schauspieler sind wichtig für das Stück. Jede einzelne Rolle muß gut gespielt werden. Auch in einer Farce. Aber man sollte sich nicht für den Regisseur halten, wenn man in Wahrheit doch nur seine vorgegebenen Sätze aufsagt. Gute Nacht allerseits.«

      Der Ablauf der feierlichen Unabhängigkeitserklärung am nächsten Tag war von der amerikanischen Botschafterin kontrolliert und von ihrem Stab minutiös geplant worden. Diese resolute Person wurde von allen nur mit ihrem Vornamen Tina genannt und war zweifelsohne die mächtigste Instanz in dem an Instanzen nicht armen Kosovo. Das, was Tina wollte oder nicht wollte, wurde flüsternd und mit Ehrfurcht zitiert und galt im Zweifel mehr als geschriebenes Recht. Als Statthalterin Amerikas nahm sie im Kosovo den Platz ein, den ihr die osmanische Tradition mit dem Beylerbey geschaffen hatte, dem Herrn der Herren, Provinzgouverneur des Großwesirs.

      Jene berühmte Tina lernte ich bereits einige Wochen nach der Unabhängigkeitserklärung des Kosovos bei einem Empfang kennen. Sie war in den späten Vierzigern, ihre Statur klein und untersetzt. Alles an ihr trug einen Ton von Grau; vor allem die Haut, die militärisch kurz geschorenen Haare und die Augen mit dem Blick eines Greifvogels. Ihr Händedruck war kräftig, und ihre ruhige, aber in besonderen Momenten auch zu lauter Dosierung fähige Stimme hatte ein männliches Timbre. Alles an ihr strahlte Schnelligkeit und Härte aus. Als Ehefrau und Mutter konnte ich sie mir beim besten Willen nicht vorstellen.

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