Ungehorsam versus Institutionalismus. Schriften 5. Ulrich Sonnemann

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Ungehorsam versus Institutionalismus. Schriften 5 - Ulrich Sonnemann

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Die Freiheit als Eigenschaft der Menschen selber finde ich allzu wenig.

      Dieter Hasselblatt: Und Sie wohnen trotzdem in diesem Land hier, in dem es so wenig Freiheit, verwirklichte Freiheit gibt?

      Ulrich Sonnemann: Nun, die Freiheit als Institution besteht ja, und was diese andere betrifft, so kann man ganz gewiß als Schriftsteller, als Publizist für sie kämpfen. Man kann zunächst selbst, soweit man sie hat, von ihr Gebrauch machen, insofern unter Umständen sogar eine Art Modell setzen.

      Dieter Hasselblatt: Sie betrachten sich also selbst als einen jener Literaten, von denen Sie in Ihrem Buch sagen, die Literaten seien heute die »Gewissensträger der Öffentlichkeit«7?

      Ulrich Sonnemann: Nicht nur heute, das scheint mir jedenfalls in der ganzen neueren europäischen Geschichte, aber auch bereits im alten Griechenland – jedenfalls in späteren Zeiten – doch mindestens eine sehr bestimmende Seite an der Existenz der Literaten überhaupt zu sein. Es gilt ganz gewiß für Frankreich, das in diesem Punkt vorbildhaft ist.

      Dieter Hasselblatt: Und Sie sagen in Ihrem Buch, daß sich die Literaten als »Gewissensträger der Öffentlichkeit« ein »dialogisches« und kein »cliquierendes Verhalten« schuldig sind8. Meinen Sie dabei Cliquen wie die Gruppe 47?

      Ulrich Sonnemann: Ich kann mich erinnern, daß, als ich das schrieb, ich an die Gruppe 47 zunächst gar nicht dachte. Dann fiel mir ein, nachdem ich es bereits niedergeschrieben hatte, daß vielleicht der Leser an die Gruppe 47 denken könnte und daß es eben zu Fragen kommen würde wie Ihre gegenwärtige, was ich begrüße, weil da vielleicht wirklich etwas zu klären bleibt. Ich glaube nicht, daß essentiell die Gruppe 47 eine Clique ist. Dazu ist sie zu offen nach außen hin; dazu gehen die Meinungen innerhalb der Gruppe in allen möglichen Dingen viel zu weit auseinander. Wenn sie in den Geruch einer Clique immer wieder gerät, so liegt das meiner Ansicht nach darin, daß eben eine Öffentlichkeit überhaupt, die diese Gruppe auffangen könnte, die ihr gewachsen wäre, die sie integrieren könnte, in Deutschland fehlt.

      Dieter Hasselblatt: Sie sehen also bei unseren Nachbarn in Europa mehr öffentliches Bewußtsein und mehr Öffentlichkeitsgewissen als bei uns?

      Ulrich Sonnemann: Ja, das sehen Sie wahrscheinlich auch, wenn Sie sich etwa den Verlauf der ›Spiegel‹-Affäre bei uns und der Profumo-Affäre in England ansehen.

      Dieter Hasselblatt: Sie haben, glaube ich, zu der deutschen Publikation der Profumo-Affäre ein Vorwort geschrieben?

      Ulrich Sonnemann: Ja, eine Einleitung9.

      Dieter Hasselblatt: Das ist sicherlich nicht zufällig, daß man auf Sie gestoßen ist dabei, weil Sie doch in einer gewissen Hinsicht etwas repräsentieren, was bei uns selten ist. Ich meine das Denken, die Leidenschaft eines Denkens, das sich nicht in metaphysischen Höhen ergeht, sondern sich am akuten Hier und Jetzt festbeißt, weil es hier seine Aufgabe sieht und hier die schmerzlichsten Verwundungen erfährt. Ich weiß nicht, ob ich das richtig sehe?

      Ulrich Sonnemann: Nein, das sehen Sie völlig richtig. Es scheint mir, das hängt davon ab, wie man das tut, viel mehr als von einer thematischen Konzentration auf die Metaphysik als Gegenstandsbereich, sozusagen als Fach.

      Dieter Hasselblatt: Sie sind im einzelnen sehr angegriffen worden, weil Sie Thesen verfochten haben, die vielen Leuten nicht behagt haben. Aber was man Ihnen, glaube ich, uneingeschränkt zugestehen muß, ist diese Leidenschaft des Denkens, die sich nicht scheut, sich an politischen Sachverhalten festzubeißen und sie zu durchdenken, um auf die Hintergründe und Motive zu stoßen. Sie nennen Ihr Buch im Untertitel ›Deutsche Reflexionen‹, und mir scheint, als ob sowohl das Wort »deutsch« wie das Wort »Reflexionen« bezeichnend für Sie ist. Stimmt das?

      Ulrich Sonnemann: Das könnte sein, ja. Es ist leicht möglich, daß viele dieser Reflexionen in anderen Sprachmedien zwar nicht unmöglich sind; ich hoffe nicht, daß sie am deutlichsten nur im Deutschen werden können, und daß es also nicht zufällig ist, daß ich aus dem Englischen gerade für diese Dinge zuerst ins deutsche Sprachmedium zurückgekehrt bin.

      Dieter Hasselblatt: Ich meine jetzt gar nicht so sehr die Sprache, sondern die deutschen Verhältnisse, die deutschen Belange. Mir ist eine Stelle Ihres Buches in Erinnerung, wo Sie von der deutschen Lage sprachen, und zwar im Zusammenhang mit einer Notiz, in der Sie sagen, das Zentrum des Weltkommunismus verlagere sich von Moskau nach Peking. Daran knüpfen Sie unmittelbar eine Reflexion über die Rückwirkungen dieser Verschiebung auf die deutschen Zustände.10 Ich glaube, das ist typisch, daß Sie alle Dinge, die Sie berühren, sofort auf die deutsche Situation zurückbeziehen. Ist das System, ist das Methode?

      Ulrich Sonnemann: Wenn es System ist, wenn es Methode ist, dann eine solche, die sich sozusagen von selbst vollzieht, nicht die ich veranstalte. Das Denken hat aber mit seinen Gegenständen zu tun, nicht mit seiner Methode.

      Dieter Hasselblatt: Sie setzen eine höchst intelligente Sonde an am deutschen Körper, und die Sonde scheint mir sowohl philosophisch geschärft zu sein wie literarisch und aktuell geführt. Es gibt sehr viele Anspielungen und sehr viele Rückbeziehungen auf die literarische, auf die politische, auf die aktuelle kulturgeschichtliche Situation. Wenn Sie dann zum Beispiel Worte prägen, die unsere bundesdeutsche Politik als »Staatswurstelei« bezeichnen11, dann scheint mir das sehr bezeichnend für die Art und Weise, wie Sie philosophieren. Oder sehe ich das falsch?

      Ulrich Sonnemann: Nein, ich glaube, das sehen Sie ganz richtig.

      Dieter Hasselblatt: Sie sagen zum Beispiel, daß die Politikergeneration, die jetzt im Augenblick die Politik der Bundesrepublik macht, ersetzt werden müßte durch eine neue Besetzung.12 Können Sie ungefähr sagen, wie diese neue Mannschaft der Politik aussehen sollte?

      Ulrich Sonnemann: Meinen Sie zunächst die Frage des Generationenwechsels, die da anklingt?

      Dieter Hasselblatt: Die klingt natürlich an.

      Ulrich Sonnemann: Das ist natürlich, wie immer, nur cum grano salis zu verstehen. Es ist so, daß in der ganzen gegenwärtigen Politikergarnitur von rechts bis links die Bereitschaft, den Herausforderungen der Zustände zu begegnen, nämlich zu begegnen mit einem konsequent diese Zustände ändernden Verhalten, nicht zu finden ist. Warum, wäre zu untersuchen. Es ist im ganzen eine gebrochene Generation, und soziologisch wäre Generationenwechsel das, als welches das, was mir vorschwebt, unter anderem zu bezeichnen wäre. Das bedeutet nicht, daß im einzelnen Fall nicht der eine oder andere Politiker der älteren Generation vielleicht noch vor Toresschluß einen ganz anderen Politiker in sich entdecken könnte. Das wäre ja sehr erfreulich; und unter Umständen für die Politik praktisch, da er natürlich zunächst mehr Erfahrung mitbringt, mehr Sacherfahrung als die Jungen.

      Dieter Hasselblatt: Sie sagen »vor Toresschluß« – was für ein Tor schließt sich? Und wozu und wovor schließt es sich?

      Ulrich Sonnemann: Ich glaube, daß sich demnächst das Tor schließt – wie bald, das zu entscheiden wäre natürlich unsinnig; aber zweifellos rückt der Zeitpunkt näher, in dem einerseits nicht mehr zu rechnen ist mit einem uferlosen Fortgang der Prosperität, andererseits in der Außenpolitik es immer deutlicher wird, werden dürfte, daß eine Politik mit bloßen Formeln, immer versteinerteren Formeln für die deutschen Lebensinteressen, die ja im Osten liegen, unförderlich ist.

      Dieter Hasselblatt: Sie denken an Formeln wie »Wiedervereinigung«, oder …

      Ulrich Sonnemann: Ja, ich denke an die allzu ungeprüfte Identifizierung etwa der DDR mit ihrer gegenwärtigen Regierung.

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