Pias Labyrinth. Adriana Stern
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»So, Kleine, dann zeig uns mal, was dir dein Vater beigebracht hat.«
Pia schreckt hoch. Mist, sie muss eingeschlafen sein. Wo sind die anderen Mädchen? Erschrocken dreht sie sich um. Sie stehen alle im Halbkreis um sie herum. Harro kniet vor ihr und drückt sie in den Sand.
»Also, fang an.«
»Lass mich los, du Arschloch.« Pia versucht sich aus seinem Griff zu befreien, aber er kniet auf ihren Armen. »Stefan«, schreit sie und tritt um sich, die Beine hat sie noch frei.
»Los, trink das.«
Pia dreht den Kopf weg, aber Harro hält ihr die Nase zu und irgendwann muss sie den Mund aufmachen, um Luft zu holen. Ein scharfes Brennen in ihrem Mund. Harro lässt ihre Nase los, und reflexartig schluckt Pia. Sie hustet.
»Was soll das, verdammt?«
Doch da hält ihr der Typ die Nase schon wieder zu. Pia schluckt auf diese Weise fast eine halbe Flasche.
»Echter schottischer Whisky, du kleines Flittchen. Damit du dir ein bisschen Mut antrinkst.«
Pia fühlt sich total benommen. »Lass los«, keucht sie. Sie kann sich überhaupt nicht mehr bewegen.
»Harro, lass sie doch.« Angst schwingt in Martinas Stimme mit.
»Aber erst solche Geschichten erzählen«, antwortet er und lockert seinen Griff.
Stefan zieht sie hoch. »Jetzt bist du bestimmt total besoffen«, meint er, da übergibt sie sich schon. Sie hat das Gefühl, sich die Seele aus dem Leib zu kotzen, samt aller Organe.
»Hier, trink mal ’nen Schluck, ist Kaffee«, sagt Stefan.
»Warum machst du dabei mit?« Pia stürzt den Kaffee herunter. Er hilft nicht viel, nimmt aber wenigstens den ekelhaften Geschmack weg.
»Genug geplaudert.« Harro reißt sie wieder auf den Boden. »Jetzt will ich Tatsachen sehen. Hosen runter.«
Pia schreit, sie tritt, mehrere Leute halten sie fest. Sie fühlt, wie jemand den Knopf der Jeans abreißt. Jemand zieht ihr die Schuhe aus, jemand reißt an der Jeans und zieht sie ihr aus. Harro zerreißt ihren Slip unter dem Grölen der anderen.
»Na, wer will sie zuerst haben?«
»Harro, verdammt, das ist kein Spaß mehr. Das könnt ihr doch nicht machen«, kreischt Martina.
Pia ist starr vor Schreck. Selbst als sie niemand mehr festhält, kann sie nicht aufstehen.
»Guck mal, sie wartet schon«, hört sie wieder Harros Stimme. »Nee, Martina, wer’s mit dem eigenen Alten treibt, der treibt’s auch mit ’ner ganzen Gruppe.«
Pia versucht verzweifelt, sich aus der Starre zu befreien. Sie muss abhauen. Weg hier.
Doch da drückt sie schon wieder jemand zu Boden. Legt sich schwer auf sie. Pia spürt einen gleißenden Schmerz, dann versinkt sie in loderndem Schwarz.
Hat sie überhaupt irgendwas gesagt? Verunsichert schaut Pia auf. Erschrockene Augenpaare begegnen ihr. Schwester Grisaldis sieht aus, als hätte sie geweint. Pia schluckt. Wieder so ein Sprung in der Zeit, in die Vergangenheit, in der sich nichts verändert hat. Alles noch genauso ist wie damals. Genauso schrecklich, erniedrigend, verwirrend. Zitternd kauert sie auf ihrem Stuhl. Sie wagt keinen zweiten Blick in die Runde.
»Pia«, sagt der Englischlehrer nach einem Räuspern, »danke für Ihre Offenheit. Es ist entsetzlich, was dort am Rhein geschehen ist. Es tut mir sehr, sehr Leid, dass Sie das durchmachen mussten.«
Die anderen Lehrer nicken zustimmend.
»Und das konntest du uns in der Nacht oder am nächsten Tag nicht sagen?« Schwester Grisaldis’ Stimme klingt brüchig. Das Siezen hat sie völlig vergessen.
Pia schüttelt den Kopf. »Nein, es … es war unmöglich. Schwester Libora, die Mädchen – die Jungen, sie alle haben mich doch für eine Hure gehalten.«
Schwester Grisaldis zuckt zusammen.
»Aber ich wollte das mit meinem Vater nicht und auch nicht das mit den Jungs«, flüstert sie.
»Nein, natürlich nicht«, sagt die Direktorin schnell. »Das wissen wir, Pia. Ich werde mit Schwester Libora reden. Mir ist klar, dass du bei ihr keinen leichten Stand hattest.« Ganz blass ist die sonst so gesund aussehende Nonne, und ihre Hände zittern.
»Die Schule war danach nur noch ein Spießrutenlauf«, fährt Pia fort, als hätte sie die Worte der Schwester gar nicht gehört. »Sie haben ja die Kommentare der Mädchen nicht gehört, und schon gar nicht die von den Jungen.«
»Was für ein Alptraum«, fährt die Psychologielehrerin dazwischen. »Die besagten Jungen müssen der Schule verwiesen werden.«
Diesmal nickt niemand.
»Ich wollte nicht mehr reden, nicht mehr leben. Niemand hat mich gefragt, was los war.« Pia fühlt plötzlich eine Menge Wut. »Auch Sie nicht, Schwester Grisaldis. Sie wollten auch lieber glauben, dass ich gestört bin, als dass an Ihrer Schule so etwas vorkommt. Sie wollten lieber glauben, dass ich eine Hure bin, so wie Schwester Libora, nachdem die Mädchen ihre Version der Geschichte erzählt hatten.«
»Wie bitte?«, fragt die Nonne tonlos.
»Ja, dass ich es mit allen Jungen getrieben hätte, das haben die Mädchen erzählt. Und sie zum Alkohol verführt hätte. Und das hat Schwester Libora nur allzu gern geglaubt. Und Sie auch.«
»Nein, Pia, das ist nicht wahr. Schwester Libora hielt dich für gefährdet. Du hast ja nicht mehr mit ihr gesprochen. Mit niemandem mehr. Und nichts mehr gegessen. Ich habe dich schon immer für sehr klug gehalten, Pia. Und für ausgesprochen verantwortungsbewusst.«
»Und warum haben Sie mich dann nie dazu befragt? Sondern mich lieber in die Klapse überwiesen? Gut, Sie haben mich über das Thema Verantwortung schreiben lassen. Sie alle« – Pia sieht die Deutsch-, die Psychologie- und die Philosophielehrerin an – »haben mir eine Eins gegeben. Aber niemand von Ihnen hat mich zu dieser Nacht befragt. Niemand. Warum?«
Betretenes Schweigen macht sich im Konferenzzimmer breit. Wie abgesprochen starren die Lehrer auf den Tisch, als läge dort eine Antwort auf Pias Frage.
»Ich möchte«, sagt Pia langsam, »noch einmal beantragen, in die dreizehnte Klasse versetzt zu werden. Trotz meiner hohen Fehlquote, weil ich … in Notwehr gehandelt habe.« Der letzte Satz legt sich wie eine Glasglocke über die knisternde Stille des Konferenzzimmers.
»Würden Sie bitte einen Moment draußen Platz nehmen? Ich rufe Sie in wenigen Minuten wieder herein«, durchbricht der Englischlehrer die Wand aus Schweigen, und fast erleichtert verlässt Pia den Raum.
Sie setzt sich auf die Bank, wo sie vor Jahrhunderten, scheint ihr, den Roman in die Ecke gefeuert hat. Wenn doch ihre Freundinnen hier wären, dann würde sie sich sicher nicht so elend fühlen.
Mit Phil hat sich doch noch alles zum Guten gewendet.