mit einem mulmigen Gefühl. Jeder sagte „Glück Auf.“ Schröder schloss die Tür zum Förderkorb, der sich sofort in Bewegung setzte. Er wurde immer schneller. Mit rasender Geschwindigkeit ging es senkrecht auf 640 m. Der Förderkorb war ringsherum offen, eigentlich nur ein Stahlgerüst mit Stahlboden in Draht gehüllt, welcher an einem riesen langen Stahlseil hing, vom Förderturm aus gesteuert wurde. Bei der Fahrt nach unten tropfte Wasser auf unseren Körper. Es war das Grundwasser, welches hier überall aus den Wänden tropfte. Vater hatte zwar oft von der Grube erzählt, aber wenn man es selbst erlebt ist es doch ganz anders. Auf der Fahrt nach unter passierte man Stollen 1, man nahm es durch einen kurzen Lichtblitz war. Der Förderkorb verlangsamt sich und mit einem Klingeln hielt er in Stollen 2. Wir waren 640 m unter der Erde. Der Förderschacht ging noch etwa 30 m tiefer. Hier konnte sich das Grundwasser sammeln. Es wurde mit riesigen Pumpen abgesaugt. Die mussten immer funktionieren, sonst könnte es hier unten etwas feucht werden. Obersteiger Schröder öffnete den Förderkorb und wir gingen in eine riesige unterirdische Halle. So groß hatte ich es mir hier unten nicht vorgestellt. Es sah aus wie auf einen Bahnhof, überall waren Gleise, und darauf fuhren kleine Elektrozüge von Siemens, Lokomotiven mit Loren. Alle Gleise, egal wo sie herkamen endeten jedoch an diesen Förderschacht. Unser Flöz, wo wir arbeiten werden um Kohle zu fördern, befindet sich etwa 8 km von hier. Wir werden jetzt im Hauptstollen dorthin fahren. Links und rechts gehen die Flöze vom Hauptstollen ab in denen Kohle gefördert wird oder wurde. Die toten Flöze sind mit einem Holzkreuz und einem Totenkopf gekennzeichnet. Geht niemals dort hinein, denn dort haben sich giftige Gase gebildet. Das könnte euer letzter Gang sein, sagte Schröder. Wir stiegen in einen Transportzug. Es saßen jeweils 2 nebeneinander. Der Zug bestand aus einer kleinen E-Lok und 5 Wagen. Vor und hinten saß je ein Zugführer. Der Hauptstollen war wie ein durchgeschnittenes großes Rohr, alle 2 Meter durch bogenförmige Stahlträger gesichert, die so konstruiert waren, dass sie sich bei einem Bergrutsch ineinander schoben, sie funktionierten wie Gleitschienen. In dem Hauptstollen herrschte ein ziemlich starker Windzug, für die Belüftung äußerst wichtig. Der Hauptstollen wurde alle 500 Meter durch riesige Stahltore (Brandschutztore) unterbrochen, diese war zur Brandsicherung installiert. Der Zug musste hier immer 2-mal halten, zum öffnen und schließen der Tore. Dafür hatte jeder Zug 2 Zugführer. Es war schon enorm zu sehen, was der Mensch hier in Laufe der Jahre gebuttelt hat. Der Zug braucht gut eine Stunde bis zum Flöz, wo wir ab jetzt arbeiten sollten. Hier hatte Obersteiger Schröder die Verantwortung. Und es war sprichwörtlich eine riesen Verantwortung, denn er war nicht nur für den Ablauf der Kohleförderung zuständig, nein auch für die Einhaltung der gesamten Sicherheit. Und die ist für alle Bergleute hier unten Lebenswichtig. Er kontrollierte die Aufstellung der Stempel, änderte sie zur Not, achtete auf das richtige Luftgemisch. Er teilte die Bergleute zur Arbeit ein und achtete auf deren richtige Ausführung. Für diesen Posten brauch man viel Erfahrung und Fingerspitzengefühl. Unter den Bergleuten herrschte ein raues, aber sehr kameradschaftliches Verhältnis. Zumindest unter Tage konnte sich einer auf den anderen bedingungslos verlassen. Sie waren ja alle aufeinander angewiesen. Fehler konnten hier katastrophale Auswirkungen haben. Wir gehörten jetzt zu ihnen. Schröder führte uns noch 200 Meter in dem Flöz hinein bis zur eigentlichen Kohleförderung. Der Flöz war mit Holzstempel gesichert, die im Abstand von ca. 1 Meter aufgestellt waren. Unsere Aufgabe war die gehauene Kohle vom Flöz in den Hauptstollen zu transportierte. Hier wurde sie in einen Zug mit Loren verladen. An der Kohleförderung angekommen, zeigte uns Schröder kurz, wie diese funktionierte. Eine sehr schwarze, staubige und anstrengende Angelegenheit. Nach kurzer Zeit waren wir kaum noch von der Kohle zu unterscheiden, denn sofort setzte sich deren Staub an unseren schweißgebadeten Körber ab. Außerdem mussten wir die Holzstempel in den Flöz tragen. Eine Arbeit die wir oft in gebückter Haltung verrichteten. Hinzu kann, dass das Luftgemisch dünn und alles sehr staubig war. Die Züge mit den Loren brachten meist die Holzstempel mit und fuhren, gefüllt mit Kohle wieder weg, zum Förderturm. Hier ging’s mit Kohle nach oben und leer oder mit Holzstempeln oder anderen Dingen wieder nach unten. 14.00 Uhr war Feierabend, und wir fuhren in umgekehrter Richtung wieder aus der Grube heraus. Als ich den Förderturm an diesem 9. Mai 1921 verlassen hatte, sah ich die Welt mit anderen Augen. Wie schön war doch die Sonne. Alle sahen Schwarz vom Kohlendreck aus. Wir gingen in die Kaue, zogen uns aus und duschten. Es hat keinen mehr gestört, dass er nackt war. Wir waren alle zu kaputt, um uns noch zu beobachten. Nach der Dusche wechselten wir die Sachen am Seilzug mit Bügel, und verließen alle geschafft so gegen 16.00 Uhr die Grube. Das sollte nun mein Arbeitsalltag werden, an den ich mich erstaunlich schnell gewöhnte. Die harte Arbeit machte mir nicht viel aus. Schlimmer war, dass mir das Tageslicht fehlte. Auch musste ich mich erst an die Rattenplage gewöhnen, die unter Tage herrschte. Diese Tiere fühlten sich hier pudelwohl und vermehrten sich in rasender Geschwindigkeit. Essbare Sachen konnte man auf keinen Fall offen liegen lassen, sie waren in Minutenschnelle weg. Die Bergleute hatten aber eine effektive Methode entwickelt, um diese Rattenplage zumindestens in Grenzen zu halten. Eine Kohlelore stand immer etwas abseits. In ihr wurden Ratten gehalten. Dick und fett gefüttert. Hatten sie sich richtig vermehrt, wurde die Fütterung eingestellt. Irgendwann fingen die Ratten an sich gegenseitig zu fressen. Die letzten drei oder vier wurden dann frei gelassen. Sie fraßen nun mit vorliebe ihre Artgenossen. Es war effektiver als die Giftköter. Die Lore wurde in einem ständigen Kreislauf wieder zur Rattenaufzucht bestückt, für die nächste Generation von Kannibalen. Hilde wartete immer auf mich, wenn ich nach hause kann. Ich musste ihr jeden Tag einen Arbeitsbericht liefern. Ich glaube, irgendwann kannte sie sich dadurch besser in der Grube aus, als ich selbst. Staunend stellte sie immer öfter fest, wie ihr kleiner Bruder sich zu einem kräftigen Burschen entwickelte. Sie konnte im wahrsten Sinne des Wortes zusehen wie ich im Laufe der Zeit, ein richtiges Muskelpaket wurde. Bedingt durch die harte und gefährliche Arbeit unter Tage. Als Kumpel verrichtete ich ja jetzt täglich diese schwere Arbeit. Hilde und mich zog es nachmittags immer öfter in den Park neben der Kirche. Es war ja der Anlaufpunkt der hiesigen Dorfjugend. Jetzt gehörten wir auch hier dazu, denn wir waren keine Kinder mehr. Man stand einfach herum, knetschte, lachte und war eben froh unter anderen jugendlichen Freunden zu sein. Fast alle hier kannten sich ja schon ihr Leben lang. Hier lernte ich Willy Pudlo näher kennen, es entwickelte sich zwischen uns eine Freundschaft. Ich glaube aber, er hat auch ein Auge auf Hilde, mit der er in die gleiche Klasse gegangen war, geworfen. Hilde fand es ganz amüsant. Aber nicht nur Willi hatte ein Auge auf Hilde geworfen, auch Günter Bialas, er spielte immer Harmonika, und war der Musikus in unserer Runde, deshalb erinnere ich mich noch so gut an ihn. Ich würde mal sagen, dass sich Hilde zu einem wunderschönen Mädchen entwickelt hat, sie war 16, nicht zu groß, sehr gute Figur und im Gesicht gut anzuschauen. Außerdem war sie intelligent und immer sehr lustig. Durch die Sachen von Adelheid war sie auch immer sehr modisch gekleidet. Diesen Unterschied sah man schon gegenüber den anderen Mädchen. Ich glaube sie schielten immer etwas neidisch auf Hilde, da sie kaum die Möglichkeit hatten oder haben werden, solche Sachen je zu tragen. Erstens weil ihnen das Geld fehlte und zweitens weil diese nicht zu beschaffen waren. Ihnen eine Adelheid fehlte. Zu hause hatten wir nicht mehr so viel zu tun, weil Franz die Kaninchen und Hühner jetzt versorgte und auch unsere anderen Aufgaben im Haushalt größtenteils übernommen hatte. Dadurch bedingt konnten wir uns sehr viel im Park neben der Kirche aufhalten. Gesprächsstoff Nummer 1 war natürlich die sich anbahnende Zwangsumsiedlung. Alle Jugendlichen waren darüber sehr erbost, und es wurden viele Pläne geschmiedet, um etwas dagegen zu unternehmen. Schließlich beschlossen wir alle gemeinsam den „Selbstschutz Oberschlesien“ beizutreten. Der „Selbstschutz Oberschlesien“ stellte sich mutig den Polen entgegen, um unsere Heimat zu verteidigen. Deren Wegnahme noch zu verhindern. Hilde, Willy und ich nahmen Kontakt zum „Selbstschutz Oberschlesien“ auf. Wir fuhren an meinem ersten freien Tag, in Ihre Zentrale nach Hindenburg. Hier wurden wir sehr freundlich empfangen und unser Beschluss wurde unter Beifall der anwesenden Mitglieder begrüßt. Wir wurden mit Fragen, warum, weshalb, wie viele regelrecht bombardiert. Anschließend gingen wir zum ersten Male in unserem Leben in ein Kino und sahen uns einen Film an. Es ging um einen in den Karpaten lebenden Grafen Orlok, Orlok war ein Vampir, der nachts herumwanderte und Blut von anderen Menschen trank. Der Film hieß glaube ich: „Nosferatu, Eine Symphonie des Grauens“. Er war so spannend, dass Hilde vor Angst bald in die Hosen gemacht hätte. Wir gingen nach dem Film auch das erste Mal in ein Cafe um unsere aufgebauten Spannungen abzureagieren. Hätten uns über den Film fast tot gelacht. Bezahlt haben wir wohl um die 100.000 RM je Kinokarte, der Kaffee war nicht viel „billiger“.