Augenzeugenbericht des Häftling Nr. 738 im KZ Buchenwald 1937–1945. Alfred Michael Andreas Bunzol

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Augenzeugenbericht des Häftling Nr. 738 im KZ Buchenwald 1937–1945 - Alfred Michael Andreas Bunzol

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in dem Dorfladen. Freitags war immer Lohntag und dann sah man häufig wie verzweifelte Frauen versuchten den Männern das wenige Geld abzunehmen. Die Schulden waren in diesen Familien oft so hoch, das sie im Dorfladen keinen Kredit mehr für essen und trinken bekamen. Die letzte Stufe war dann meist, dass sie in die Sozialbaracken ziehen mussten, die am Rande von Bielschowitz standen, weil ihnen auch das Geld für die Miete fehlte. Die in diesen Baracken lebten waren gebranntmarkt, aus diesem Abstieg wieder herauszufinden war sehr, sehr schwer, wenn nicht unmöglich. Sie wurden als asozial angesehen. Auch unter uns Kindern. Es spielten sich oft schreckliche Szenen ab. Die Männer schlugen Ihre Frauen bis diese wieder verschwunden waren. Ihre harten Fäuste schlugen wie Schmiedehämmer auf sie ein. Da half auch die wöchentliche Beichte der Männer vor Gott, um Vergebung, die sie letztendlich immer von ihren Beichtvater bekamen, den Frauen und ihren Leiden nicht viel. Not und Leid der betroffenen Familien, die bei dem geringen Lohn der Bergleute ohnehin schon in dürftigen Verhältnissen lebten, war unbeschreiblich groß. Aber Vater war Gott sei Dank immer für unsere Familie da. Ich habe nie gesehen, dass er Mutter je geschlagen hat. Aber als Kind interessierten mich diese Schicksale wenig, für mich waren die Süßigkeiten wichtiger. Es war eben so wie es war, wir waren doch glücklich. Unser Leben war schön, sehr schön.

      Doch es bleibt nicht mehr lange schön, da der Krieg ausbrach. Im Juni 1914 begann er, er sollte für alle ein großer Krieg werden, er bekam später den Namen „der 1. Weltkrieg“. Weil die ganze Welt sich mehr oder weniger an ihm beteiligte. Es kam die allgemeine Mobilmachung. Die meisten Männer wurden Soldaten. Soldaten kämpfen für einen Herresführer, einen König oder einen Kaiser, denen die wenigsten von ihnen je begegnet sind, ihn nicht einmal kannten. Geschweige das sie wußten um was es für sie hier eigentlich geht. Sie gehorchen aber. Sind es Narren, oder was sind sie, das sie so blind gehorchen können. Viele von ihnen zogen sogar mit Hurra in diesen Krieg. Vater nicht. Für fast alle von ihnen war es ein Hurra auf nimmer wieder sehen.

      Für unsere Familie begann der 1. Weltkrieg am 3. August 1914. An dem Tag wurde unser lieber Vater in diesen sinnlosen Krieg eingezogen. Natürlich erinnere ich mich noch, wie Vater mit dem Zug ins Nirgendwo abtransportiert wurde, als wir ihn in Hindenburg am Bahnhof verabschiedeten. Es war sehr traurig. Für mich, damals erst 7 Jahre, war es jedoch noch nicht bewusst, was dies für unsere Familie, für unsere Zukunft bedeuten würde. Wir Kinder waren doch glücklich, in unserer Idylle von Bielschowitz. Die Väter wurden eingezogen, an die Front, die Front war weit weg. Die einzigste Verbindung für uns zur Front, zu unseren Vätern, waren Briefe und Telegramme. Bis zum September wurde Bielschowitz vom Krieg ja noch verschont, ab dann erinnerten die Todesanzeigen der gefallenen Soldaten jeden daran, dass der Tod auch in unserem idyllischen Dorf reiche Ernte halten sollte. Schon am 7. September, als einer der ersten Kriegstoten, fiel unser Vater in Frankreich. Dort liegen seine Gebeine für immer, irgendwo in einem Loch verscharrt. Wenn überhaupt. Fern von seiner Heimat. Fern von uns. Ich weiß noch als wäre es wie heute, als der Postbote kam und das Telegramm vom Kriegsministerium brachte. Sonst war es immer ein freudiges Ereignis, wenn man Post bekam. Aber dies sollte sich im Verlauf des 1. Weltkrieges schnell ändern. Der Postbote hatte immer mehr Telegramme und weniger Briefe auszutragen, je länger der Krieg dauerte. Er brachte mit dieser Nachricht Schmerz und Schrecken in die jeweiligen Familien. In Bielschowitz gab es zum Ende des Krieges keine Familie mehr die nicht ein Opfer zu beklagen hatte. Wie gesagt, uns traf es als erste hier. Mutter weinte wochenlang. Sie sagte immer wieder unter Tränen, Alfons wollte nicht in diesen Krieg, der nicht sein Krieg war. Aber es herrschte ja Kriegsrecht und Wehrdienstverweigerung gab es nicht. Entschloss man sich doch zu diesem Schritt, wurde man, ohne mit der Wimper zu zucken, erschossen. Oder man musste fliehen. Aber wohin sollte Vater fliehen, er hatte eine Familie. Der Krieg hat das Leben eines 32 jähriger Mannes, der in der Blüte seines Lebens stand, einfach so genommen. Und wofür? Und wer fragt jetzt schon oder noch, Alfons wofür bist Du gestorben, was hatte dein Tod für einen Sinn gehabt, was hat er bewirkt? Was hätte dieser Mann noch gutes in seinen Leben leisten können. Der Krieg hat unser Eltern ihrer Liebe beraubt, denn ich glaube sie haben sich sehr geliebt. Der frühe Tod unseres Vaters war nicht nur für Mutter ein riesiger Schmerz, nein, für die Familie fehlte über Nacht der Ernährer und das sollten wir bald zu spüren bekommen. Am Anfang wurden wir noch vom vielen Leuten im Dorf unterstützt. Den Umstand zu verdanken, und das trifft leider zu, dass einige in Bielschowitz zu Beginn des ersten Weltkriegs sich vorübergehend von der weit verbreiteten Kriegseuphorie für Kaiser, Volk und Vaterland anstecken ließen. Die jedoch nicht von langer Dauer sein sollte. Ich bin überzeugt, dass die meisten gar nicht wussten, um was es in diesen Krieg eigentlich ging. Wir Kinder schon gar nicht. Wir waren viel zu dumm, um den tödlichen Ernst zu begreifen. Für uns war Krieg nur ein Wort, mit dem wir nicht viel oder gar nichts anfangen konnten. Wenn überhaupt konnten wir Krieg mit der jährlichen Schlacht gegen die Stare in Verbindung bringen, die versuchten die Kirschen oder Birnen im Garten zu fressen. Hier verbrachten wir oft Stunden damit, sie zu verjagen. Es war aber meist ein aussichtsloser Kampf, da die Stare warten konnten und wir irgendwann schlafen mussten.

      Krieg, was ist eigentlich Krieg? Das erste, was ich bei jedem Krieg bezweifle, von dem ich aus den letzten hundert Jahren weiß, ist, dass dort jemals für die Sache derjenigen gekämpft wurde, die in den Krieg zogen. Krieg ist ja nur ein Wort. Es wurde ja auch schon unendlich viel über ihn geschrieben. Aber, oder, auch unendlich wenig. Diese Bücher füllen Regale. Man kann ihn zwar beschreiben, man kann seine Entstehung analysieren, seine grausamen Auswirkungen zeigen, aber begreifen kann man ihn nicht. Denn im Krieg wird jeglicher Verstand der Menschheit außer Kraft gesetzt. Da spielt die Bildung des einzelnen in der Masse, kaum eine oder sogar keine Rolle. Es gibt ihn immer wieder, er kommt immer wieder, er ist immer wieder da, als Krieg. Wie das Unkraut auf den Feldern. Die Menschheit wird wohl nie in der Lage sein, ihn zu verhindern oder in die Geschichte zu Verbannen. In dieser Welt geht es um Macht oder Geld. Der Mensch tut doch wirklich alles um soviel wie möglich davon zu bekommen und schreckt dabei vor Nichts zurück. Der Krieg ist dabei nur die Spitze des Eisberges. Ich glaube dies galt für jeden alten Krieg von gestern, genau wie es für jeden neuen Krieg von heute und morgen gelten wird.

      Je länger dieser 1. Weltkrieg dauerte, wir waren ja nicht mehr die einigste Kriegsopferfamilie, ließ die Unterstützung, genauso wie die Kriegseuphorie, immer mehr nach. Es hatte nun jeder mit sich selbst zu tun. Es wurde alles immer knapper. Kaum noch Brot, kaum noch Heizmaterial. Hilde und ich mussten nun von Vater den Kaninchenbestand übernehmen und versorgen. Er hatte ca. 40 Kaninchen. Wer einmal Kaninchen gezüchtet hat, weiß was das für eine schwere Arbeit ist, zumal ich erst 7 Jahre war. Ich musste mit Hilde, die damals auch erst 9 Jahre war, lernen Gras zu mähen, und Heu zu trocknen. Es war wichtig für die Kaninchen neben den täglichen Fressen für einen entsprechenden Wintervorrat zu sorgen. Im Herbst gingen alle auf die abgeernteten Getreide- und Kartoffelfelder und sammelten Ähren und Kartoffeln, um für die Tiere genügend Winterfutter zu haben. Aber ich glaube, Hilde und mir hat es irgendwie Spaß gemacht. Paul war 15 Jahre und arbeitete in der gleichen Grube wie Vater. Er bekam eine Lehrstelle als Bergbauelektriker. Paul war sehr gut in der Schule, deshalb wurde ihm nach Schulabschluss diese Stelle von der Grubenleitung angeboten. Vielleicht aber auch nur aus Mitleid wegen Vater. Wichtiger für uns war aber, dass Paul Deputatsteinkohle bekam. Jetzt konnte unser Küchenherd, der Tag und Nacht, Sommer wie Winter, brannte, nicht mehr ausgehen. Auf Ihn wurde gekocht, hier wurde warmes Wasser zum Waschen bereitet und er spendete, wenn es kalt war, Wärme. Damit brauchten wir auch nicht mehr, wie viele anderen im Dorf, auf den aufgeschütteten Halden nach minderwertiger Kohle suchen. Keine Arbeit auf der Grube hieß, keine Deputatkohle, egal ob Krieg war. Nur wenige im Dorf hatten noch das Geld um die immer teuerer werdende Kohle zu bezahlen. Für die meisten langte es ja kaum noch um sich etwas zu essen zu kaufen. Zu Paul hatte ich nicht den Kontakt den man zu einem Bruder haben sollte. Erstens war der Altersunterschied schon ziemlich groß und bedingt durch seine Lehre war Paul ja auch kaum noch zu hause. Wenn dann meist um zu schlafen. Er hatte, auch verständlich, andere Interessen als wir. Er zog viel mit seinen Kameraden herum und hielt sich viel in diesen Freundeskreis auf. Auch hatte er schon eine Freundin, die Elfriede Nagel. Nagels wohnten zwei Häuser weiter, rechts von uns. Sie war sehr nett. Alle konnten sie gut leiden und sie war im Gegensatz zu Paul oft Gast in

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