von Hilde, sie waren mittlerweile ein Paar geworden, auf ihn war schon stark genug, um es zu verhindern. Gott sei Dank! Bis zu meinem Abgang zur schwarzen Reichswehr hat sich am Tagesablauf in Hindenburg nicht mehr viel geändert. Außer das wir in der Wolfgang-Grube in Schichten arbeiteten. Von 6.00 – 14.00 Uhr Frühschicht, 14.00 – 22.00 Uhr Spätschicht und von 22.00 – 6.00 Uhr Nachtschicht. Sonst verbrachten wir den Tag im Wald, in der Zentrale oder wir gingen einfach ins Kino oder ins Cafe. Wie schon gesagt, eher durch Zufall nahm ich im Oktober 1923 am niedergeschlagenen Küstriner Putschxi der Schwarzen Reichswehr teil. Aber das war mir alles zum damaligen Zeitpunkt völlig unbekannt. Auch die 7 anderen Hindenburger Jugendlichen, die im September mit mir zusammen im Auto nach Küstrin gefahren wurden, hatten von den politischen Motiven die hinter dem Putsch standen, nicht die geringste Ahnung. Woher sollten wir dieses Wissen auch haben. Für uns war der Putsch nichts Aufregendes. In Grunde genommen haben wir, außer ein paar kleinen Aufregungen, von der ganzen Sache nichts mitbekommen. Wir waren vor Küstrin untergebracht und mussten am 3. Oktober unsere Waffen wieder abgeben, die wir kurzzuvor, bei unserer Ankunft, erhalten hatten. Damit war der Putsch vorbei, ohne dass er für uns überhaupt richtig begonnen hatte. Nach der Entwaffnung sprach ein Feldwebel, sein Name war Voß, mit jedem, ob wir nicht zur Arbeitsgemeinschaft Rossbach nach Mecklenburg wollten. Die meisten sagten zu, ich auch, denn ich war zu stolz, um nach dieser kurzen Kampfepisode gleich wieder nach hause zu fahren. Voß redete irgendetwas über, er hätte von uns auch nichts anderes erwarte und der Kampf wird weitergehen. So kam ich, mit noch 8 anderen, als Freiarbeiter auf einen „Gutshof irgendwo bei Alt Schwerin“. Nordöstlich vom Plauer See in Mecklenburg gelegen. Hier sollte ich, am Anfang noch unbewusst, die Gelegenheit erhalten 2 Jahre und 2 Monate lang eine Keimzelle des Faschismus zu studieren. Feldwebel Voß wurde unser Arbeitsgruppenleiter. Er wohnte in einem nahe gelegenen Dorf, war dort verheiratet und hatte einen Sohn und eine Tochter. Feldwebel Voß, EK2 Träger des 1. Weltkrieges, war von Kopf bis Fuß Soldat und auf Krieg eingestellt. Sollte dieser Mensch mal keine „Feinde“ mehr haben, so machte er sie sich eben. Irgendwo fand dieser Mensch immer welche. Und wir sollten zu seinem willigen Fußvolk heranwachsen. Seine kleinen Pappsoldaten werden. Das war sicher auch der Hintergedanke zur Bildung solcher Arbeitsgemeinschaften, denn die Bildung von paramilitärischen Organisationen war verboten wurden. Man ließ sich etwas einfallen, um für die Zukunft zu Planen. Die wirtschaftliche Lage war schlecht, Arbeit gab es wenig, und so köderte man genug williges Fußvolk um es zu beeinflussen. Wir, 9 Freiarbeiter, wurden in einen umgebauten Stall auf dem Gutshof einquartiert. Es war sehr spontan, aber die Gegend war herrlich, viel Wald und der herrliche Plauer See. Man konnte viel wandern und baden, wenn man nicht auf dem Feld oder im Stall arbeiteten musste. Und noch einen kleinen Vorteil hatte das Quartier in Alt Schwerin, zumindest für mich, der Gutsherr hatte einige Bücher hier eingelagert. Er dachte bestimmt, die können sowieso nicht lesen, die Bauerntrampel. Trotzdem fragte ich ihn, ob ich seine Bücher lesen dürfte, und er sagte „wenn die Arbeit nicht darunter leide, habe er nichts dagegen.“ Und so las ich das erste Mal in meinen Leben richtig viel. Es war zwar viel Schund dabei, aber auch einige Raritäten von Bebel, Rosa Luxenburg und über den Spartakusaufstand während der Römerzeit. So hat er ungewollt meine Bewusstsein mit Fragen konfrontiert, die ich mir bis zum lesen dieser Bücher nie gestellt hätte. Die Arbeit auf dem Feld und im Stall war zwar hart, aber durch meine Kaninchen- und Hühnererfahrungen hatte ich einen Vorteil gegenüber den anderen, die alle noch nie auf dem Feld arbeiteten, geschweige etwas mit Tieren zu tun hatten. Und da war noch etwas, der wichtigste Grund, der mich hat hier so lange festgehalten. Die Tochter von Feldwebel Voß. Sie arbeitete in der Küche des Gutshofes und wir hatten sofort ein Auge füreinander. Ich fühlte mich sofort zu ihr hingezogen und spürte auch keine Abneigung ihrerseits. Sie war zwar schon 17 Jahre, und hieß Bärbel. Zu jeder Essenszeit sahen wir uns und jeder hatte für den anderen ein Lächeln übrig. „Ohh, die macht mich fertig!“, dachte ich mir. Nicht nur ich hatte ein Auge auf sie, alle hier waren von ihr begeistert. Ihr Gesicht war nahezu perfekt. Sie hatte kurzes mittelblondes Haar, ihr Gesicht war wohl geformt, aus dem lustige blaue Augen schauten. Der Kopf war nicht zu dick und nicht zu dünn, die Anordnung von Mund, Nasse, Ohren, alles stimmte bis aufs I-Tüpfelchen. Wenn sie lächelte, zeigte sie ihre schönen weißen Zähne. Die Schürze, die sie meist trug, lag immer eng an ihren wohlgeformten Körber. Ihre Brüste waren deutlich zu erkennen. Wenn wir uns zum Essen trafen, suchten wir beide die Nähe. Berührten wir uns zufällig, hatte ich das Gefühl, dass Stromstöße durch meinen Körper fahren. Komisch wir berührten uns sehr oft. Alle wollten sie, aber nur ich bekam sie. Wir kamen langsam ins Gespräch, sie sagte mir, sie sei 17. Irgendwann fragte ich sie erst einmal nach ihrem Namen. Ich könne sie Bärbel nennen, meinte sie. Stück für Stück entstand eine richtige Jugendliebe zwischen uns. Am Anfang trafen wir uns immer heimlich am See und gingen spazieren. Vor allem ihr Vater durfte nichts davon wissen. Ich musste ihr vom Bergbau, von Hindenburg, von Hilde, von Vater und Mutter und meinen Freunden erzählen. Ich erzählte ihr von den Kinobesuchen und dem Cafe. Sie war ein williger Zuhörer und ich ein guter Erzähler. War sie doch in ihrem bisherigen Leben noch nie in einem Kino, geschweige in einem Cafe, gewesen. Ihre einzigste Abwechslung waren die Spaziergänge am See, oder im Wald, oder die Arbeit auf dem Gut. Sie erzählte mir auch von Ihrer Familie, die Ihr Vater wie eine Kaserne führte, wo sie die Soldaten sind und er der General. Alles ging streng nach militärischen Regeln zu und wehe man verstieß dagegen. Die Zeit wo sie auf dem Gutshof arbeitet, ist die reinste Erholung. Sie hatte Angst vor Ihren Vater. Alle zu hause hatten Angst und waren froh, wenn er weg war, besonders die Mutter, die er oft schlug. Wann immer wir uns die kommenden Monate trafen, es war für uns nie langweilig oder kurzlebig. Wir konnten das nächste Mal kaum erwarten. Es reifte in uns ein außerordentliches aber unstillbares Liebesverlangen heran, welches sich im Frühjahr 1924 entlud. Sie zog mich auf eine Wiese am Seeufer, setzte mich auf eine Bank und bedeutete mir, sie zu lieben. Ich zögerte einen Moment, dann tat ich es. Sie beugte sich zu mir, dass sich unsere Wangen berührten. Ihr Atem wurde immer schneller. Die Haut glühte, genau wie meine. Sie schloss ihre Augen und das war der Moment um sie zu küssen. Meine Lippen berührten ihren Mund. Ich merkte, dass sie ihre Lippen ein wenig öffnete. Ich merke wie sie innerlich zu glühen anfing und ihre Haut sich veränderte. Sie wollte es, ich wollte es, wir wollten es. Es war für sie das erste Mal und es war für mich das erste Mal. Bärbel stöhnte, nein sie schrie das Glück, die Freude, die Lust aus sich heraus, ich auch. Nur gut, dass wir am See waren und uns keiner hören konnte. Ein unvergesslicher Moment der Erkenntnis und viele Augenblicke reinen Glücks. Als ob alles um uns herum vor Liebesglück seufzte, die Natur, die Menschen, die Tiere, die Bäume, der Himmel, wir haben einfach mitgeseufzt. Jedoch wurde es nur ein kurzes Seufzen. Unsere Liebesspiele brauchten wir beiden ab jetzt wie ein Drogenabhängiger seine Droge. Bekommt er sie nicht, stellen sich Entzugserscheinungen ein. So war es zwischen Bärbel und mir. Trafen wir uns, genossen wir sie ausgiebig in allen Varianten, so oft es unsere Kraft zuließ. Keiner wollte je wieder darauf verzichten. Die Zeit bis zum nächsten Treffen verging für uns unendlich langsam. Wir verlangten einander und es wurde uns nie langweilig. Selbst Regen und Kälte hielten uns nicht ab. Keiner von uns beiden konnte im Voraus ahnen, dass so etwas Schönes und Intensives zwischen uns möglich ist. Diese intensiven Gefühle der Liebe konnte ich später nie mehr so spüren. Zwischen uns stimmte in jeder Beziehung die Chemie, sie war nur auf uns beide abgestimmt. Wenn Feldwebel Voß einmal in seinen beschiessenen Leben etwas gut gemacht hat, dann war es seine Tochter Bärbel, wofür ich ihm heute noch dankbar bin. Aber nur dafür. Voß sollte später im 3. Reich, wie so viele aus der Arbeitsgemeinschaft Roßbach, eine Kariere in der SS beginnen, gerade er brachte viele notwendige Voraussetzungen dafür mit. Er redete ständig zu uns, dass an allem nur die Juden schuld haben. Die Juden sind der Untergang von Deutschland, waren seine ständigen Worte. Wenn ich ihn dann fragte, wo Juden in dieser Gegend sind, die ihm schaden, oder welche anderen Juden es sind, wurde er unsicher und reagierte sehr böse. Ich kenne christliche, deutsche und polnische Familien, keine jüdischen. Juden kenne ich nur aus dem Geschichtsunterricht. Ich kenne keine Juden, sagte ich ihm. Höchstens die Ladenbesitzer in Bielschowitz, aber da weiß ich auch nicht genau, ob es welche sind. Zumindest habe ich es irgendwo mal gehört. Aber sie gaben uns als Kinder manches Stück Schokolade ohne uns dabei zu schaden. Auch wüsste ich nicht, dass ein Jude mir meinen Vater nahm. Dieser Satz war in den Augen von Voß schon ein halber Verrat am Vaterland. Oder was meinen sie dazu Feldwebel Voß? Und ich war mit ihm noch nicht fertig. Schon oft wurde in der Geschichte der Menschheit, meist in wirtschaftlich