Dantes Inferno I. Akron Frey
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DANTES WERK AUS MEINER PERSÖNLICHEN SICHT
Dantes Vorlage als apokryphes Modell
Kehren wir zu Dante zurück. Kaum einer hat wie er das gesamte Weltbild seiner Zeit in sich aufgenommen und es zu einem monumentalen Gebäude unvergänglicher Lettern vor der Geschichte aufgetürmt, keiner hat wie er das geschichtliche Geschehen seiner Zeit aktiv und passiv miterlebt, in seiner ganzen Tiefe durchlitten und es in ein glühendes Versmaß gestellt, das jahrhundertelang die Vorstellungen der Menschen bis an die Schwelle der Neuzeit prägte. An seiner Dichtung mißt sich die sprachliche Gestaltungskraft von Himmel und Hölle. Verglichen mit seinem Werk kann mein Bemühen natürlich nur der schwache Abglanz eines kreativen Zusammenmischens alten Weins in neuen Schläuchen sein. Um diesem Bemühen aber trotzdem einen kollektiven Sinn zu sichern, mußte ich mich dort, wo Dante in vierzehntausend Versen die ganze Schöpfung durchmaß, nach einem System umsehen, das mir Dantes komplettes Weltbild durch eine innere Struktur ersetzte, die es mir erlaubte, die verschiedenen Episoden wie die Perlen auf einer Gebetsschnur nebeneinander aufreihen zu können. Dafür erkor ich mir das astrologische Modell. Der Preis ist klar. Statt der großen Menschheitsbühne, der menschlichen Entwicklungsgalerie, auf der Dante sein monströses, sinnvolles und sinngebendes Opus vom Leben des «Homo sapiens» vollzieht, kann ich nur ein abstraktes Modell anbieten, das über die systemartigen Verknüpfungen in Zusammenhang mit meinen astrologischen Kenntnissen und Erfahrungen im besten Fall auf den Ansatz seelischer Vertiefungen in einem psychologischen Umfeld hinweist.
Trotzdem gab es keine bessere Lösung, weil ein Buch in Dantes epochalen Dimensionen einfach nicht anders möglich war. Deshalb war für mich das Ausweichen auf ein strukturierendes Modell ein letztlich doch befriedigender, weil unausweichlicher Kompromiß, und die Hinwendung an die Astrologie innerhalb ähnlicher Modelle für mich aufgrund meines Erfahrungspotentials interessant. Außerdem schien mir dieses System besonders geeignet zu sein, da es mir erlaubt, jede der Höllen mit einem astrologischen Inventar auszukleiden und mit den astrologischen Konfigurationen meiner LeserInnen in Verbindung zu bringen, die sich in der einen oder anderen Geschichte wiederfinden können.
Manche mögen es auch als eine Anmaßung empfinden, das vorliegende Buch Dante als eine esoterische Paraphrase zu unterstellen und es mit seinem Werk in Beziehung zu bringen. Ich kann sie verstehen. Wenn ich es nach reiflichem Überlegen trotzdem wage, meine Schilderungen im weitesten Sinne an Dantes «Inferno» anzulehnen, dann weniger in kulturpolitischer als mehr in persönlicher Weise. So wie der Dichter sich dem Höchsten in voller Selbsthingabe näherte, um sich im nächsten Augenblick mit den Widersprüchen christlicher Dogmen auseinanderzusetzen, oder wie er seiner großen Liebe Beatrice in der Jenseitswelt genauso wie im Leben verfiel, wobei er sie aber statt als erlösenden Engel bei ihrer Begegnung als unnahbare Madonna mit den moralischen Schuldzuweisungen theologischer Lehren im Mund charakterisierte, erkennen wir in ihm auch eine gebrochene, rückwärtsorientierte Gestalt. Diese kehrt nicht als Handelnde, sondern als Gehandelt-Werdende an den Schauplatz ihrer Erinnerungen zurück, um aus der psychotherapeutischen Sicht des Schauens die eigene Seelenlandschaft aufzuräumen. An diese nicht unwidersprüchliche, aber menschlich-ringende und letztlich sich selbst überwindende Seite von Dantes Wirken wollte ich mein persönliches «Inferno» herantragen: an das rückwärtsgerichtete Hinabsteigen in den dunklen Schacht, diesen abgespaltenen Teil der Seele, dessen schlummernde Erinnerungen erwachen und in visionären Träumen ins Bewußtsein eindringen, um es um diesen unerkannten Teil erweitern zu können.
Dantes Wurzeln
Wir können Dante Alighieri aber nicht verstehen, ohne uns nicht auch seinen Vorbildern zuzuwenden, den Grundlagen, auf denen er sein Werk aufbaut. Vor ihm ist in ähnlichem Sinne Vergils «Aeneis» entstanden, ein Werk, das sich an Homers «Ilias» anlehnt und seinen Schöpfer ebenfalls in die Unterwelt führt. Doch wo der antike Dichter als Person bescheiden im Hintergrund verbleibt und im Epos selbst nicht erscheint, manifestiert sich Dante selbst als der eigentliche Held seiner Geschichte, und damit bekommt die Kulturwelt ihren ersten menschlichen Sänger, der die ungeheuer gehäuften Handlungen der Menschen und ihre verstrickenden Beziehungen untereinander in sich hineinnimmt, in einem gewaltigen Epos zusammenrafft und wieder aus sich herauswirft. Diese selbstbezogene Dramatisierung ist Dantes spontane Fortsetzung griechischer Dichtung: die antike Vorlage aus persönlicher Sicht. Denn Dante ist «Wanderer» und «Weg». Er ist sein eigener Hauptdarsteller, und unter seiner Regie löst er sich aus der dramaturgischen Vorlage und gewinnt durch seine visionäre Präsenz die poetische Kraft, die selbst monströsestes Leiden virtuos und differenziert in Sprache packt. Die ganze menschliche Schöpfungsflamme steigt aus ihm empor, und im unerschöpflichen Ringen zwischen bewußtem Formulieren und unbewußtem Dahingetragenwerden entsteht hier allmählich ein Bewußtsein von Erkenntnis und göttlicher Besinnung, das sich durch die Höllen der Einsicht zu immer tieferem Erkennen vortastet. Es ist dies das Vermögen, in den menschlichen Abgründen die gesellschaftlichen Zusammenhänge zu sehen und sich damit über die kollektiven Muster und Verhaltensweisen hinwegzuheben. Es ist, als habe der unbewußte Dante hier Regie geführt, wenn er von seiner riesigen Gedankenfülle nicht erschlagen, sondern unter der kundigen Obhut seines Seelenbegleiters Vergil zur inneren Offenbarung und schließlich zu seinem eigentlichen Höheren Selbst getragen wird.
Dantes anderes Selbst
«Seelenbegleiter? Höheres Selbst?! Was für abgehobene Sichtweisen …», mögen sich die LeserInnen denken. Doch erinnern wir uns: Es ist dieses Ringen um das Höchste aus der Perspektive des kleinen, eigensinnigen Ich, dieses Vermischen von Persönlichem und Universalem, Emotionalem und Klerikalem, das Dantes Sicht diese epochale Bedeutung zuteil werden ließ, das den Künstler und Gelehrten neben seinem monumentalen Werk auch emotional und dadurch menschlich erscheinen läßt. Doch wie sollte Dantes kleines Ich die Unvergänglichkeit seines Werkes mit Atem füllen? Wie sollte das Numinose nicht das begrenzte Vorstellungsvermögen des Dichters sprengen? Dazu bedurfte es eines Größeren, denn Visionen dieses Ausmaßes stellen sich nicht ganz ohne unbewußten Beistand ein. Dante brauchte noch ein höheres Wesen, ein Medium, einen Brückenpfeiler zwischen den Welten, denn nicht nur die Reise scheint ein tiefer Abstieg in seelische Abgründe, sondern die Hölle selbst erscheint als eine im Vorgriff aufgerissene Seele. Wir können davon ausgehen, daß Dante genau spürte, daß die visionäre Verdichtung seiner Imaginationen auch aus Teilen seines Unbewußten strömte und er sich in seinen Gesichtern verstrickt hätte, wenn er sie in der Seele nicht hätte ausbrüten können. Deshalb bemühte er sich um einen mentalen Beschützer: Vergil, den er geistig ins Bild brachte und den er als seine eigene Schöpfung in visionärer Leibhaftigkeit durch die Jenseitswelt imaginierte. Die Wahl von Vergil lag – wie gesehen – auf der Hand: Vergil war wie Dante Dichter und begegnete in seinem Werk den Geistern der Abgeschiedenen in einer seelischen Rückschau. Außerdem ist er