Zu dramatischen Ereignissen. Erich Honecker

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Zu dramatischen Ereignissen - Erich Honecker

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Oktober 1989 zur Wende, meinem Rücktritt auf dem 9. Plenum des Zentralkomitees am 18. Oktober 1989 verliefen folgerichtig in Richtung Systemwechsel. Die DDR wurde der BRD ausgeliefert und von der BRD okkupiert, auch wenn man das freiwilligen Anschluss nennt. Und heute zeigt sich, dass das nicht des Volkes Wille war, auch wenn später die Mehrheit die CDU/CSU wählte.

      Diesen Irrtum muss das Volk teuer bezahlen. Die Opferung der DDR ist das Schmerzlichste in meinem Leben, aber es bleibt die Zuversicht, die mit mir viele Menschen teilen: Der Sozialismus ist nicht von der Weltbühne verschwunden und er wird von ihr nicht abtreten.

      Trotz des vorläufigen Scheiterns des Versuchs der Errichtung einer sozialistischen Gesellschaft, trotz der gegenwärtigen politischen Verwirrungen wird der Wille zur Errichtung einer von Ausbeutung freien, gerechten und friedlichen Welt nicht zu brechen sein. Das Wichtigste ist und bleibt, dass unsere Bewegung nach ihrer größten Niederlage seit ihrer Existenz, dem Zusammenbruch der sozialistischen Länder in Mittel- und Osteuropa und der gegenwärtigen komplizierten Lage in der UdSSR und der damit eingetretenen Schwächung ihrer Position in der Welt neue Kräfte sammelt, dass sich die marxistischen Parteien wieder festigen, denn nur sie sind in der Lage, eine Politik in Übereinstimmung mit den gesellschaftlichen Entwicklungsgesetzen auszuarbeiten, auf die neu entstandenen Bedingungen und Probleme Antwort zu finden und trotz aller Widrigkeiten die sozialistische Idee in den Massen zum Tragen zu bringen.

      Der Sozialismus ist keine Utopie, er ist eine Wissenschaft, daran ändert auch die Tatsache nichts, dass es in Deutschland, dem Land, aus dem die Begründer des wissenschaftlichen Sozialismus stammen, »modern« geworden ist, dass »sozialistische Theoretiker« das in Frage stellen. Niederlagen muss man mit der Marxschen Methode analysieren, nur so lassen sich Lehren ziehen. So werden und können, wie Karl Liebknecht kurz vor seiner Ermordung schrieb, Niederlagen auch Siege sein, Niederlagen zu neuen Siegen führen.

      Natürlich war mir in den Oktobertagen des Jahres 1989 nicht so klar wie heute, dass durch die Verschiebung der weltpolitischen Konstellation für das Sein oder Nichtsein der DDR eine neue Situation eingetreten war. Das möchte ich auch den Mitgliedern und Kandidaten des Politbüros und des Zentralkomitees zugute halten. Denn sie konnten so wenig wie ich das Spiel durchschauen, das zu einer völligen Veränderung des Kräfteverhältnisses in der Welt führte. Ich bin mir gerade heute, wie bereits in der Sitzung des Politbüros vom 10. und 11. Oktober 1989, darüber im klaren, dass der in meiner Abwesenheit vorbereitete Beschluss für die »Wende« falsch war. Weder die Beschlüsse des 9. Plenums noch des 10. Plenums des Zentralkomitees der SED konnten die Lage positiv beeinflussen, da der DDR, die ein Ergebnis des 2. Weltkrieges und der Nachkriegsentwicklung war, bereits der Boden für ihre Existenz entzogen war. Sowohl die Partei als auch die staatlichen Organe wurden durch den Beschluss und seine Begleitumstände irritiert. Die dann eingeleitete Verleumdungskampagne gegen die »SED-Spitzen« auf den verschiedensten Ebenen hat für den »Systemwechsel« günstigen Boden bereitet. Das war nun das Verdienst der »demokratischen Sozialisten« in der Partei, die mit ihrem Ruf nach mehr »Demokratie«, was der Springer-Presse besonders gefiel, dazu beitrugen, die DDR in den Abgrund zu stürzen.

      Natürlich trugen unsere Fehler, unsere Mängel zu der eingetretenen Entwicklung bei. Beim Rückwärtsblicken sind sie heute auch klarer erkennbar. Klarer ist aber auch ersichtlich, dass der Warschauer Pakt die Aufgabe aufgeben wollte, zu deren Zweck er gegründet wurde: die Verteidigung der im Ergebnis des 2. Weltkrieges und der Nachkriegsentwicklung in Europa entstandenen sozialistischen Staatengemeinschaft gegenüber der aggressiven subversiven Politik der NATO, einschließlich ihrer Geheimorganisation, der »Gladio«. Leider fehlte es an der Bereitschaft, rechtzeitig über solche Pläne offen im politisch beratenden Ausschuss zu sprechen. Auch nicht, als es 1987 während der Kommandostabsübung »Meisterschaft« klar wurde, dass mit der neuen Militärdoktrin der Sowjetunion, der Doktrin der Konfliktvermeidung, der hinlänglichen Verteidigung im Ernstfall, die DDR der NATO preisgegeben würde. Unser Protest gegen eine solche Variante der Verteidigungsdoktrin wurde als Missverständnis, als eine irrtümliche Auslegung der neuen Militärdoktrin abgewehrt.

      Hinzu kommt, dass alle möglichen inneren und äußeren Gegner durch die in der Sowjetunion erneut aufgeworfenen Frage »Wer – Wen« zu noch massiveren Attacken gegen den Sozialismus ermuntert wurden. Es musste zu den großen Enttäuschungen der Menschen kommen, die ihre Zukunft, ihre Hoffnungen mit dem Sozialismus in der DDR verbanden.

      Trotz allem darf man die Situation, in der wir uns befinden, nicht verkennen. Neofaschistische Pogrome, nationalistische Exzesse, eine beispiellose antikommunistische Hexenjagd, nicht zuletzt auch Verrat an unserer Sache, dürfen den Blick nicht trüben für das, was sich gegenwärtig auf deutschem Boden, in Europa und in der Welt vollzieht.

      Aus Gründen des Profits und kapitalistischer Konkurrenz wurde bewusst der Ruin der DDR-Wirtschaft, der gewollte Zusammenbruch des Marktes organisiert: neben solchen Betrieben, die ohne staatliche Hilfe und andere Stimuli in der Marktwirtschaft nicht existenzfähig wären, werden massenweise auch technisch hochmoderne, nicht selten von westlichen Firmen errichtete leistungsfähige Betriebe regelrecht vernichtet. Der sich krass abzeichnende soziale Massenexitus, die Vernichtung sozialer Existenzen in Größenordnungen, der Zerfall von Ehen und Familien, die sich in der westlichen Lebensweise, die ihnen über Nacht übergestülpt wurde, nicht zurechtfinden, führt zu einer Explosion der Kriminalität und zu einer Besorgnis erregenden regelrechten Suizid-Epidemie. Der Zusammenbruch ganzer gesellschaftlicher Bereiche, wie zum Beispiel des Gesundheitswesens, der Kinder-, Jugend- und Altenbetreuung, die Abwicklung von Wissenschaft, Kultur und Volksbildung – all das steht in scharfem Kontrast zu den verlogenen Versprechungen der Herrschenden sowie zu den von den Medien geschürten, hochgeschraubten Erwartungen und falschen Hoffnungen einer großen Mehrheit. Noch gelingt es den Herrschenden in Bonn, soziale Proteste abzuwiegeln und einzudämmen. Die Staffelung der Maßnahmen zum rigorosen Sozialabbau und Teilzugeständnisse, die den Unternehmern abgerungen wurden, haben zu einer vorübergehenden Ruhe vor dem Sturm geführt – der aber ist unausbleiblich. Und niemand weiß, wo eine Radikalisierung enden könnte.

      Angesichts des politischen und ökonomischen Desasters, das sich am augenscheinlichsten in der ungeheuren Zahl von 3 Millionen Arbeitslosen in der ehemaligen DDR ausdrückt, fällt es der Kohl-Regierung immer schwerer, die Verantwortung auf DDR-Zeiten abzuwälzen. Der Protest lässt sich trotz der massiven Propaganda nicht mehr völlig nach hinten kanalisieren. Das mit Worten kaum qualifizierbare Auftreten bestimmter Wessis in der ehemaligen DDR, ihre Kolonialherren-Arroganz tun ihr Übriges, um immer mehr Menschen die Augen zu öffnen. Wenn die missbrauchten Mitläufer des November 1989 sagen, dass sie das alles nicht so gewollt haben, kann man ihnen glauben. Angesichts der gegenwärtigen Entwicklung und der noch bevorstehenden Talsohle der Krise wird doch immer durchschaubarer, dass es sich bei den uns alle tief bewegenden Ereignissen in Mittel- und Osteuropa um die Jahreswende 1989/90 um eine Konterrevolution handelte, deren Sieg durch den systematischen Abbau des Einflusses von marxistischen Parteien erleichtert wurde. Leider kommt diese Erkenntnis zu spät. Aber nicht zu spät, um Lehren für die Zukunft und für jetzt erforderliches entschlossenes Handeln innerhalb und außerhalb des Parlaments zu ziehen. Das Recht auf Arbeit, gleicher Lohn für gleiche Arbeit ohne Unterschied des Alters und Geschlechts, das Recht auf Bildung und Erholung, für jeden eine Wohnung – alles Dinge, die ich bereits 1945/46 für die junge Generation forderte. Diese Forderungen gelten für alle – heute erst recht.

      II. Die Veränderungen in der Weltarena – innere und äußere Bedingungen, die zum Systemwechsel führten

      1. Der Umbruch und die Dominanz

      In diesen Tagen erklärte ein Historiker, dass der Untergang der DDR, den er zutiefst bedaure, eingebettet war in den Zusammenbruch der sozialistischen Staatengemeinschaft in Europa, ihrer gesellschaftlichen und sozialen Ordnung. Dem zu widersprechen ist nur jenen vorbehalten, die aus diesem oder jenem Grund nicht bereit sind, die Lehren zu ziehen aus der Lage, in der wir uns befinden.

      Es war, dies muss man heute sagen, für viele ein Irrtum

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