Markus Blume führt dich durch die Zeit. Lüerß Werner
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Eine schwierige Aufgabe also, aber Ralf ließ sich nicht aus der Ruhe bringen. Seit einem dreiviertel Jahr hatten wir einen neuen Vorgesetzten, Herr Jansen. Ich mochte den Typen nicht. Seine ganze Art war mir zuwider. Auf freier Wildbahn ging ich solchen Menschen aus dem Weg. Ich wollte mir doch nicht den Tag versauen! Aber hier im Job ging es eben nicht, ich versuchte, mich halbwegs auf ihn einzustellen – Augen zu und durch. Auch wenn die Angriffe Jansens manchmal ein wenig weit gingen – Ralf und ich blieben immer gelassen.
Täglich um zehn war Besprechung im zehnten Stock bei Jansen – der ließ vielleicht den Chef raushängen! Er guckte immer in die Runde, als wolle er unsere armen Seelen fragen: „Seid Ihr auch alle fleißig gewesen, habt Ihr für mich brav die heißen Eisen aus den Kohlen geangelt?“
Kein Lächeln lag dabei auf seinem Mund, seine stahlgrauen Augen schauten uns nur grimmig an. Ralf sagte einmal zu mir: „Entweder hat er einen großen Drachen zu Hause oder er verstellt sich nur, um seine Schwächen nicht ans Tageslicht gelangen zu lassen!“
Ich antwortete: „Was er macht oder nicht, ist mir egal, mit dem Typen will ich außerhalb meiner Arbeitszeit nie was zu tun haben!“
*
Ralf und ich betraten das Sitzungszimmer, die anderen Kollegen waren schon da. Ich hörte Jansen von vorn rufen: „Meine Damen und Herrn, es muss besser werden, nehmen Sie Platz!“
Dann ging das Ganze fast eine Stunde, so wie dieses Frage-Antwort-Spiel aus der Grundschule: „Wie weit sind Sie? Was haben Sie gemacht? Welche Strategie verfolgen Sie?“
Ralf fragte er: „Wie sieht Ihre Prognose für die nächsten Tage aus, Herr Marloff?“
„Ganz gut, Herr Jansen“, antwortete Ralf, „ich habe die drei Dachgeschosswohnungen fast verkauft! Notarbedingte Bereiche sind noch abzuklären, aber in zwei Tagen ist die Sache dann erledigt.“
„Mal was Erfreuliches an so einem Tag“, knurrte Jansen lakonisch.
So ging es weiter, ein Kollege nach dem anderen kam an die Reihe. Manch einer hatte einen roten Kopf und Schweißperlen auf der Stirn. Warum sie schwitzten, konnte ich nur zu gut verstehen: Jansen war ein Arsch, er nutzte wirklich jede Schwäche aus. In Gedanken versunken, hatte ich nicht mitbekommen, dass ich selbst längst dran war. Jansen hatte mich angesprochen. Ralf zupfte mich am Ärmel: „He, Markus, du bist dran!“
„Ja, bitte, Herr Jansen, was haben Sie auf dem Herzen“, lächelte ich ihn freundlich an.
Diesen naiven Satz konnte er nicht vertragen, ich sah eine Zornesfalte auf seiner Stirn.
„Herr Blume“, bellte er mich an, „was ich auf dem Herzen habe, werde ich Ihnen ganz gewiss nicht sagen! Passen Sie gefälligst auf, wenn ich hier meine Arbeit mache! Schlafen können Sie zu Haus, ist das klar?“
„Verstanden, Herr Jansen“, rief ich. Bei diesem Typ kam man am besten weiter mit kurzen Sätzen. Ich hatte keine Lust, mich aufzuregen.
Jansen redete weiter. „Herr Blume, ich habe eine Immobilie vom Rathaus Pankow zur Bearbeitung erhalten. Seit mehr als zwei Jahren versucht das Amtsgericht, die Erben einer gewissen Familie Petach ausfindig zu machen. Sollen vor Jahren nach Australien ausgewandert sein. Es gibt hier wahrscheinlich niemand mehr von denen. Kümmern Sie sich mal um diesen Fall!“
Er warf einen halb zerfallenen Aktenordner vor sich auf den Tisch, den ich mir holen sollte. Wie immer war der Vorgang von seinem Büro keineswegs vorbereitet worden – alles war lose in die Akte geworfen. Jansens Sekretärin war selbst beim Laufen eine Bedrohung, eine absolute Null. Im Haus munkelten die Kollegen ohnehin, er habe sie nur zur seelischen und sonstigen Betreuung eingestellt. Wenn ich mir die Dame so ansah, musste es wohl stimmen …
Ich, der Pedant, der Ordnungsmensch, und dann dieses zerfallene Fragment! Es grauste mich schon, wahrscheinlich einen halben Tag an den Papieren zu arbeiten, um eine halbwegs arbeitsfähige Grundlage zu schaffen.
„Meine Damen und Herren, an die Arbeit!“, rief Jansen.
*
Beim Verlassen des Besprechungszimmers wünschte ich allen einen guten Tag. Auf dem Weg ins Büro holte ich mir eine Tasse Kaffee aus dem Automaten. Das Gesöff konnte man eigentlich nicht trinken, aber ich tat es doch immer wieder. Vor meinem Zimmer flog mir der Becher beim Öffnen der Tür aus der Hand, brauner Kaffeeschwall ergoss sich über die Mahagonitür auf den braunen Teppich. Na ja, man sah es eigentlich kaum … Was für ein Mist passiert mir heute wohl noch? Soll sich doch die Putze darum kümmern, mir reicht es jetzt!
Im Zimmer schmiss ich die Akte erst einmal in hohen Bogen auf den Tisch. Ich musste mich für ein paar Minuten entspannen, die Augen schließen. Dann fiel mir ein, dass ich ja noch eine Flasche Wasser im Schrank hatte. Dieses Gesöff aus dem Automaten konnte mir für heute gestohlen bleiben.
Ich trank Wasser, schlenderte im Büro herum, sah aus dem Fenster. Ich hatte keine Lust, mit der Akte anzufangen. So gingen die Stunden dahin. Auf einmal kamen mir meine verflossenen Liebschaften in den Sinn. Alle Frauen, die ich bis jetzt kennengelernt habe, waren nach ein paar Wochen wieder ausgezogen. Im Grunde hatten Sie ja recht gehabt. Immer abwesend, nie Zeit, meine Gedanken immer dabei, andere Dinge zu klären, und die zwischenmenschlichen Beziehungen stets aus den Augen verloren.
„War schon okay, ihr Verhalten mir gegenüber.
Das hatte ich ihnen aber natürlich nicht erzählt; nach meiner Auffassung wäre es eine Bloßstellung gewesen. Nur ich muss wissen, was gut für mich ist. Ich brauche diesbezüglich all meine Kraft! Ha, ha, ich lachte selbst über meinen frauenfeindlichen Spruch.
Markus, mach dir nichts vor, du bist einsam, hörte ich meinen inneren Freund rufen. Ich habe meine Arbeit, basta, keilte ich zurück.
„Petach/Australien“ also war mein neuer Fall. Ich schaute aus dem Fenster. Überall weihnachtlich leuchtende Scheiben, glänzend in allen Farben. Ich seufzte und wandte mich wieder meinem Bürostuhl zu. Meine Hände umfassten die Lehne. Diesen Stuhl hatte ich schon ein paar Jahre, er war mir bei der Besichtigung einer alten Liegenschaft ans Herz gewachsen. Ich hatte ihn mitgenommen und von einem Polsterer aufarbeiten lassen. Wenn ich auf ihm saß und meine Arbeiten verrichtete, fühlte ich mich wohl. Meine Blicke streiften wieder die vergilbten Unterlagen. Minutenlang verharrte ich in dieser andächtigen Stellung, als ob sich eine Aura bilden würde um mich und um die alten Seiten, die da vor mir auf der Tischplatte lagen.
Nach meinen inneren Unterredungen meldete sich endlich Interesse in mir an der Geschichte. Eigentlich gar nicht uninteressant, dieser Fall! Ich musste sofort an die Akte aus Pankow! Seite für Seite durchforschte ich die Papiere, aß dabei mein Pausenbrot und trank wie immer meinen obligatorischen halben Liter Fruchtsaft.
Nachdem ich mich mit den Unterlagen etwas vertraut gemacht hatte, schrieben meine Hände eine Liste der zu klärenden Punkte auf. Ich fange meist mit dem Grundbuch an und setze meinen Weg dann systematisch in die Vergangenheit fort. Irgendwie ist es doch erstaunlich, welche Schaffenskraft der Mensch zu erreichen vermag.
„Komisch, der eine sucht den Weg, allem aus dem Weg zu gehen“. Andere suchen ihr Heil im Streit und Zerwürfnis. Der Dritte ist mehr mein Naturell: Er sucht nach dem verborgenen Schatz. Natürlich nicht den materiellen, nein, dazu ist die Zeit zu schade. Er sucht nach dem, was uns auszeichnet, nach dem Spürsinn, der kleinen Trüffelnase.
Das