Markus Blume führt dich durch die Zeit. Lüerß Werner

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Markus Blume führt dich durch die Zeit - Lüerß Werner

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Markus, trinken Sie erst mal einen Tee, dann werden Ihre Lebensgeister schon wieder erwachen!“ Erika lachte.

      Auf dem großen Eichentisch stand ein Bunter Teller mit Pfefferkuchen und ein Weihnachtskranz aus Holz, den Erika sich in den zwanziger Jahren bei einem Winterurlaub im Erzgebirge gekauft hatte. In den vergangenen Jahren hatte ich mich hier oft nach schweren Tagen eingefunden. Ich fühlte mich wohl bei ihr, eigentlich wie früher – daheim. Erika setzte sich mir gegenüber an den Tisch, schaute mich durch ihre starke Brille an. Schon als kleines Kind hatte sie Augengläser (Brille) tragen müssen.

      „Markus, etwas stimmt nicht mit Ihnen! Möchten Sie darüber sprechen?“

      Ich nickte, zum Sprechen war ich in diesem Moment nicht fähig. Erika war eine Frau, die warten konnte – oh ja, und wie! Es war ruhig im Haus, nur von weitem hörte man ab und zu ein Auto. Durch den Schnee war alles leiser als sonst. Ich versuchte, die Ereignisse in meinem Inneren chronologisch zu ordnen, schaffte es aber nicht. Ich räusperte mich noch einmal. Markus, lass einfach los!

      Ich begann ihr alles zu erzählen: von dem Haus, dem Kind, dem Mann, von der Bäckerei, von meinen Tränen und von den vielen Menschen. Zum Schluss vergaß ich natürlich auch nicht den Hund: wie er mich erkannt hatte und alles andere. Nachdem ich fertig war, ging Erika in die Küche und schenkte uns erst einmal einen großen Pott Tee ein.

      „Markus, was Sie mir da erzählen, das ist ja eine unglaubliche Geschichte.“

      „Ja, aber … Erika glauben Sie mir?“

      Sie sah meine flehenden Augen. Ein Lächeln huschte über Ihr Gesicht. „Markus, ja, ich fühle, dass Sie die Wahrheit sagen.“

      „Ich möchte wissen, warum der Hund mich erkannt hat. Erika, haben Sie dafür eine Erklärung?“

      „Dazu, Markus, fällt mir eine Geschichte ein. Vor langen Jahren war mein Vater mit seinem Bruder in den Bergen. Das Wetter änderte sich schlagartig: Sturm kam auf und die beiden waren den Unbilden der Natur hilflos ausgeliefert. Stunde um Stunde tobte der Sturm durch den Wald. Rennend erreichten Sie ein altes moosbewachsenes Haus. Fenster und Tür waren geschlossen. Beide waren völlig durchnässt und warfen sich gegen die Tür, die sofort aufbrach. Vor Schwäche stürzten sie zu Boden und lagen dort bestimmt einige Stunden. Vater ist dann als erster wach geworden, sein Bruder lag neben ihm, weiß im Gesicht. Vater hörte keinen Atem, er schüttelte ihn, aber er wurde nicht mehr wach. Vater weinte bitterlich, er hatte nicht erwartet, in dieser Stunde seinen Bruder zu verlieren! Auf einmal veränderte sich alles: Die Tür ging auf, zwei Männer kamen auf meinen Vater zu, hoben seinen Bruder empor, legten ihn auf den Eichentisch mitten im Raum und sprachen mit sonderbaren Lauten zueinander. Der eine hob seinen Kopf und flößte ihm einen Trank ein.

      Innerhalb weniger Sekunden war Vaters Bruder wieder wach, als wäre nichts geschehen. Seine roten Backen strahlten, wie immer. Die Gestalten aber, die dem Bruder neues Leben eingehaucht hatten, verschwanden im Nebel! Das Zimmer wurde wieder zur Nacht. Nachdem der Sturm sich am Morgen gelegt hat, sind beide wieder wohlbehalten zu Haus angekommen. Beide, Vater und Bruder Gustav, lebten noch viele Jahre in Berlin. Er hat mir dies alles erst an seinem Todestag erzählt.“

      „Vielleicht ist es die Magie der Tränen, welche die Menschen schützen und in sie dringen, an das Gute zu glauben?“

      „Ja, Markus, deine Tränen, sie haben diesen Hund zu deinem Freund gemacht! Lass nicht los, geh wieder hin! Mach deine Arbeit weiter! Aber erst müssen Sie mir eins versprechen, Markus: Erzählen Sie nur mir Ihre Geschichte. Sonst wird alles umsonst sein.“

      *

      Am nächsten Tag, dem 23. Dezember, meldete ich mich in der Firma und sagte, dass ich noch einen zweiten Außentermin in Pankow bräuchte, weil das Anwesen unerwartet weitläufig sei. Ich wollte die Akte „Wandlitzer Allee 32“ noch bis zum Heiligen Abend fertig stellen.

      Gegen zehn war ich wieder vor Ort. Der Schlüssel passte. Die Tür ging leicht auf. Sie klemmte nicht wie gestern. Alles war still. Ich ging nach oben, um meinen Bericht zu vervollständigen. An der Tür angekommen, wo gestern das Mädchen gespielt hatte, klopfte ich. Niemand antwortete. Mit Herzklopfen öffnete ich die Tür. Ich fand alles leer. So begann ich damit, Zimmer für Zimmer in meinen Protokollen festzuhalten.

      Zum Schluss vermaß ich den Verkaufsraum. Auch hier war alles leer – fast alles. In der Ecke, wo gestern das Mädchen mit dem alten Mann gesessen hatte, lag eine weiße Schleife. Ich bückte mich und steckte sie in die Seitentasche meines Mantels. Ich war glücklich, weil ich nun wusste, dass alles, was ich erlebt hatte, vielleicht doch real gewesen war.

      So verging der Tag.

      Ich wollte auch morgen nicht in die Firma. Ich hatte einfach keine Lust mehr, morgen noch für fünf Stunden ins Büro zu fahren! Ich rief Jansen an und meldete mich krank. Er war stinkig, schwafelte was von der Weihnachtsfeier. Mir doch egal, soll er doch seine blöde Weihnachtsfeier ohne mich machen! Ich hatte keine Lust, mir immer die gleichen Redensarten anzuhören. Der Typ ging mir wirklich auf den Keks.

      Endlich, der 24. Dezember. Weihnachten war da! Ich lag bis um zwei Uhr mittags im Bett und ließ fünfe gerade sein – das hatte mein Großvater immer gesagt, wenn er seine Seele baumeln lassen wollte. Nachdem ich mich so gegen drei fertig machten wollte, klingelte es an der Tür.

      Jochen stand draußen. „He, Markus, hast du vergessen, dass wir dich zum Essen eingeladen haben?“

      Ich wurde rot. „Scheiße, Jochen, ich habe es wirklich vergessen!“

      „Macht“ ja nichts. Los, altes Haus, rein in die Hosen und ab nach unten in die gute Stube!“

      Rums, und schon war er wieder weg. Ja, diese Rentner hatten wirklich keine Zeit!

      *

      Im Treppenhaus fühlte ich zum ersten Mal Weihnachten. Bei Lampe im Erdgeschoss klingelte ich nur einmal. Frau Lampe machte die Tür auf.

      „Kommen Sie rein, Markus.“

      Im Wohnzimmer waren alle da: Erika saß mit roten Wangen am Ofen, Heinz Grahn und seine Frau links neben Erika. Ich nahm den Platz rechts daneben. Vor dem Essen sangen wir. Es gab Ente mit Rotkohl und Wein. Der Nachtisch bestand aus Mandelpudding mit Sahne und einem kräftigen Schuss Rum.

      Wir redeten und lachten, es wurde ein schöner Abend. Schnell verging die Zeit; gegen neun verabschiedete ich mich. Ich wollte noch ein paar Briefe schreiben.

      In meiner Wohnung angekommen, fiel mir die weiße Schleife ein, die ich gestern gefunden hatte. Behutsam nahm ich sie aus der Seitentasche des Mantels und hielt sie in meinen warmen Händen. Ich wurde müde und ging schlafen. Lange lag ich auf dem Bett, konnte aber nicht einschlafen. Dreimal stand ich wieder auf.

       Markus, was ist mit dir? Wenn du nicht schlafen kannst, geh ein wenig spazieren und lass das Grübeln! Schon gut, hast ja Recht!

      Ich zog wieder meine Sachen an und machte mich daran, die Nacht meiner Seele zu spüren. Innerlich war ich von Unruhe erfüllt. Ich ging nach unten auf die Straße. Kein Mensch weit und breit. In den Fenstern leuchteten Sterne und Engel. Wie die Uhren die Zeit ließ mich ein innerer Antrieb einen Straßenzug nach dem anderen ablaufen, ohne Ziel. Als ich endlich auf die Uhr schaute, war es kurz vor zwei. Ich musste zurück nach Hause.

      Als ich meinen Kopf hob, oh Schreck, stand

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